Beziehungen sind ein fester Bestandteil des Menschseins. Wo viele Tiere als Einzelgänger auftreten, organisiert sich unsere Spezies in Gruppen und hat, unter anderem dadurch, geschafft an die Spitze der Nahrungskette zu kommen. Schon damals haben sich die menschlichen Stämme nach Stärken organisiert, um so das beste Ergebnis für die Gemeinschaft zu erzielen. Auch heutzutage findet man solche Verbünde, beispielsweise in Unternehmen. Wir bewerben uns mit unseren Fähigkeiten auf eine Stelle, um so in einer gewinnorientierten Gemeinschaft für das beste Ergebnis zu sorgen. Viel wichtiger ist für uns aber der soziale Faktor. Wenn wir uns gut mit unseren Kolleg*innen verstehen, entstehen Freundschaften, vielleicht sogar Liebesbeziehungen. Im Film ALICE, DARLING, geht es um eine Liebesbeziehung, in der ein starkes Ungleichgewicht herrscht. Heute würde man von einer toxischen Beziehung sprechen. Es handelt sich bei dem Film um die erste Regiearbeit von Mary Nighy, der Tochter der beiden britischen Schauspieler*innen Bill Nighy und Diana Quick.
Darum geht es…
Alice (Anna Kendrick) lebt in einer Beziehung mit dem Künstler Simon (Charlie Carrick). Als sie sich nach längerer Zeit mit ihren Freundinnen Tess (Kaniehiio Horn) und Sophie (Wonmi Mosaku) trifft, läutet permanent ihr Handy. Simon schreibt ihr Nachrichten und fragt sie, wann sie sich wieder auf den Weg macht. So beschließt Alice früher die Bar zu verlassen, um ihren Partner nicht zu verärgern. Einige Tage später reisen die drei Freundinnen in eine Hütte am See, um Tess Geburtstag zu feiern. Auch hier wird Alice mit Nachrichten von Simon bombardiert. Sie beschließt wieder früher zu gehen und es kommt zu einem Streit zwischen den drei Freundinnen. Alice fühlt sich in die Ecke gedrängt und bricht zusammen, sie will weder ihre Freundinnen verlieren noch ihren geliebten Simon. Als Tess und Sophie dann aber herausfinden, dass Alice panische Angst vor Simon hat, versuchen sie ihrer Freundin zu helfen.
Rezension
Der Film beginnt, wir sehen Alice in einem Auto sitzen. Sie fährt zu einem Treffen mit ihren beiden Freundinnen und ist sichtlich angespannt. Dabei wickelt sie sich dabei Haarsträhnen auf dem Zeigefinger auf und zieht kräftig daran. Sie fährt zu einer Verabredung, auf die sich die meisten Menschen vermutlich freuen würden, ein Treffen mit den besten Freund*innen, doch sie scheint es gar nicht erwarten zu können, wieder nachhause zu kommen. Bereits in den ersten Momenten von ALICE, DARLING macht uns Regisseurin Mary Nighy klar, dass ihr Film die Spannung aus den kleinen Momenten zieht. So wird der Film zu einem, der seine großen Stärken aus der Interaktion der einzelnen Figuren zieht. Wahrscheinlich kennt jede*r von uns Personen, die sich durch eine Beziehung verändert haben, hier wird dieses Phänomen allerdings auf die Spitze getrieben.
Die größte Stärke von ALICE, DARLING ist dabei Alice selbst. Anna Kendrick hat sich in der Vergangenheit eher einen Namen durch locker-leichte Rollen gemacht. Ihre größte Rolle bisher war vermutlich ihre Hauptrolle in den PITCH PERFECT Filmen. Bereits 2021 hat sie im Science-Fiction-Drama STOWAWAY gezeigt, dass sie mehr kann, als nur A capella Stücke in die Kamera zu singen. Auch in ALICE, DARLING stellt sie ihr schauspielerisches Können unter Beweis. Mit Alice schlüpft sie in mehrere Rollen. Wir sehen sie, wie sie vor Simon versucht alles zu tun, um ihm zu gefallen und nicht erneut von ihm niedergemacht zu werden. Vor Tess und Sophie ist sie dann wieder eine andere Figur, die sich eher Fallen lassen kann. In den Momenten, in denen wir Alice allein sehen, entsteht das Bild einer vollkommen gebrochenen Frau, die in der Falle sitzt. Sie ist psychisch am Ende, hat aber Angst sich zu öffnen. Diese Unsicherheiten brechen immer wieder bei ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten durch. Das Lügenkonstrukt, hinter dem sich Alice verbirgt, ist voller Risse.
Großartige Hauptfigur, blasse Nebenfiguren
Leider bleiben die anderen Figuren neben Alice etwas blass. ALICE, DARLING erzählt uns weder etwas über die Hintergründe der Freundschaft zwischen Alice, Tess und Sophie, noch über den Weg zur Beziehung mit Simon. So verkommen interessante Figuren zu eindimensionalen Handlungselementen, denen es etwas an Lebendigkeit fehlt. Tess und Sophie lernt man dabei noch etwas genauer kennen, da sich ein großer Teil der Handlung im Haus am See abspielt. Bei Simon sieht die Sacher allerdings anders aus. Wir sehen hier eine Figur mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die ein Tyrann sein muss, um sich zumindest über eine Person erheben zu können. Es wäre sehr spannend geworden noch mehr über Simon zu erfahren. Woher kommt seine Unsicherheit? Was lässt ihn zu diesem unangenehmen Schurken werden? Simon selbst wird großartig von Mark Winnick verkörpert, der seine Figur sehr unangenehm macht, allerdings fehlt es an einigen Stellen an Fleisch.
Trotzdem schafft es Mary Nighy ihrem Film ALICE, DARLING die nötige Spannung zu geben, sodass man konstant dranbleibt. Der Film erinnert dabei optisch an Thriller-Urgestein David Fincher. Die Farben sind entsättigt und spiegeln damit das Innenleben der Hauptfigur. Am Rand des Bildes sehen wir häufig dunkle Vignetten, die uns ein Gefühl von Enge vermitteln sollen. Untermalt wird das Geschehen von einem Soundtrack, der mit seinen hohen Streichern an die Filme von Alfred Hitchcock erinnert. Die Musik ist dabei nicht überladen und wird in den richtigen Momenten runtergedreht. Gerade gegen Ende des Films gibt es einige unangenehme Situationen, die nochmal stärker Wirken durch die Abwesenheit von Musik.
Fazit:
Mit ALICE, DARLING ist Mary Nighy ein sehr sehenswertes Debut gelungen, dass auf mehr hoffen lässt. Der Film präsentiert uns eine großartige Anna Kendrick, die hier vielleicht eine ihrer besten Performances darbietet. Zwar mangelt es bei den anderen Figuren an Hintergründen, dennoch bleibt man konstant von der kleinen, aber sehr spannenden Handlung gefesselt. ALICE, DARLING ist ein kleiner Film ohne Bombast, der ein sehr eindrucksvolles Bild über toxische Beziehungen und Co-Abhängigkeit zeichnet.
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Originaltitel | Alice, Darling |
Kinostart | 30.12.2022 |
Länge: | 89 minuten |
Produktionsland | Canada |
Genre: | Thriller | Drama | Liebesfilm |
Regie | Mary Nighy |
Executive Producer | Anna Kendrick | Sam Tipper-Hale | Laurie May | Adrian Love |
Producer | Lindsay Tapscott | Christina Piovesan | Noah Segal | Katie Bird Nolan |
Kamera | Mike McLaughlin |
Musik | Owen Pallett |
Cast | Anna Kendrick, Wunmi Mosaku, Kaniehtiio Horn, Charlie Carrick, Markjan Winnick, Daniel Stolfi, Carolyn Fe, Gordon Harper, Viviana Zarrillo, Mairi Babb, Susan Applewhaite, Ethan Mitchell, James M. Jenkinson, Lindsay Leese, Toni Ellwand, Deborah Grover, Sara Bradeen, Farah Merani, Emily Abbate |
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