Kicking the Clouds

Kicking the Clouds ©Sky Hopinka

Kicking the Clouds

Benenne etwas, damit es existiert. Nenne es, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Eine 50 Jahre alte Aufnahme lehrt die Zuhörer und Zuhörerinnen ein paar Worte in einer anderen Sprache. Sky Hopinkas Wurzeln gehen zurück auf die Pechanga Gruppe der Luiseño Native Americans. Auf der Aufnahme lehrt die Urgroßmutter des Regisseurs die Großmutter diese Pechanga Sprache.

KICKING THE CLOUDS ist vieles. Sky Hopinka erzählt, im Gespräch mit seiner Mutter von seiner Herkunft, seiner Familie, vom Land und dem Land über dem Land, von den Wolken. Und mit den Bildern driften wir. Wir driften durch Felder, Wälder, Wolken. KICKING THE CLOUDS wirkt atmosphärisch. Ordnet sich auf den ersten Blick als Experimentalstück ein. Ein dokumentarisches Kurzstück ist es, in dem Sinne, dass es etwas zu vermitteln sucht, das da ist, aber kaum bebildert werden kann. Zugehörigkeit, Herkunft, Identität, Erinnerungen. All das, was tief in der Wahrnehmung der Beteiligten verwurzelt ist. Hopinka verantwortet die Kameraarbeit, den Schnitt und den Ton, dabei drängt er uns nicht die Bürde des Verstehen müssen auf. Im Wesen ist KICKING THE CLOUDS dann doch nicht nur Film, nicht nur Überlieferung, nicht nur Weitergabe an eine weitere Generation. Hopinka öffnet sich und setzt die Elemente zu einem Gedicht um.




Tinashé

Tinashé ©Tig Terera

Tinashé (Sektion Generation 14plus Kurzfilm)

TINASHÉ muss flügge werden. Die Mutter schmeißt ihn raus. Er kommt beim besten Freund unter. Das ist die Grundsituation. TINASHÉ driftet durchs Leben. Arbeit, Geld, Freundschaften. Seine Bedürfnisse und die der Freunde kennen und respektieren. Ein Zurück in die Hängematte ist keine Option. Er wirkt gutherzig, aber etwas verloren. Der Regisseur Tig Terera fokussiert auf die Selbstwahrnehmung, das sich selbst kennenlernen. Selbstwahrnehmung, Außenwahrnehmung, das steht im Mittelpunkt, das vermittelt die Kameraarbeit von Jesse Lane.

TINASHÉ hatte seine Weltpremiere im Heimatland, in Sydney und kam dort unter die Finalisten für den “Best Live Action Australian Short Award”. Terera, Jahrgang 1996, schöpfte für seine Hauptfigur aus den Erfahrungen, die er selbst als 19-Jähriger gemacht hatte. Ohne die Verbindung zu seinen Freunden ist man weniger, das ist, was man hier mitnehmen kann. Das ist, was Terera vermittelt. Terera, der bereits ein paar Kurzfilme gedreht hat, sieht TINASHÉ als seine Master-Arbeit an. 16 Drehtage mit einer Canon C500 Mark 2, gedreht mit Freunden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Voller Einsatz. Im Programm von Generation 14plus ist er Kurzfilm gut aufgehoben.




Haulout

Haulout ©Maxim Arbugaev

Haulout

Der folgende Kurzdokumentarfilm führt das Publikum in die russische Arktis, nach Chukotka. Jedes Jahr verbringt der Meeresbiologe Maxim Chakilev die drei Monate des Herbstes in einer abgelegenen Hütte. Was er dort tut und warum er diese Einsamkeit wählt, bleibt zuerst außen vor. Bis sich von einer Nacht zum Tag der Strand mit Walrössern gefüllt hat. Jedes Jahr findet ein Spektakel statt, das inzwischen in viel zu vielen Fällen tödlich endet. Der internationale Titel dieser russisch-britischen Koproduktion bezieht sich auf den Begriff “Hauling-out”. So bezeichnet die Wissenschaft das ans Land gehen der Flossenfüßler. Entweder um sich auszuruhen oder sich zum Beispiel zu paaren. Das “Haul-Out” steht für die Ansammlung der Tiere, wenn sie zu Ruhephasen an Land gehen. Mit dem schwindenden Eis bleibt vermehrt nur noch das Land. 2020, als diese Aufnahmen entstanden, war die See komplett frei von Eis.

Maxim Chakilev beobachtet Walrösser und mit dem Mangel an Eisschollen werden es jährlich mehr. “Haulout” öffnet mit der tosenden See und konfrontiert uns dann mit der heulenden Wucht zehntausender Walrösser, die eng an eng liegen. So dicht, dass der Mensch in der Hütte diese nicht verlassen kann und aufs Dach klettern muss. Die Dokumentation von Evgenia Arbugaeva und Maxim Arbugaev nimmt eine beobachtende Rolle ein. Beide stammen aus Tiksi in der russischen Arktis und sind ihrer Heimat auch beruflich verbunden. Die Kamera ist zusammen mit dem Forscher im “Auge des Sturms”. Die Kamera vermittelt sowohl die Masse der Tiere als auch die Unterlegenheit des Forschers, der diese beobachtet. Der Mensch wirkt so klein, die Station geradezu zerbrechlich. Und der Lärm der Tiere hält an. Bis alles vorbei ist. Bis Maxim Chakilev hinaus kann um zu zählen, wie viele Tiere von ihren Artgenossen erdrückt worden sind. Und es werden immer mehr. “Haulout” vermittelt eine wichtige Botschaft. Nicht eine Handlung steht im Mittelpunkt, sondern mit schaurig-schönen Bildern wird uns der Klimawandel in der arktischen See verdeutlicht.




Retreat

Retreat ©Anabela Angelovska

Retreat

Auf eine andere Facette des globalen Wandels macht uns die Regisseurin Anabela Angelovska in einem kurzen Dokumentarfilm aufmerksam. Gemeint ist hier ein gesellschaftlicher Wandel. Angelovska stellt uns in Kumanovo, der zweitgrößten Stadt in Mazedonien mitten zwischen die Bauarbeiten. Ein regelrechter Bauboom sei ausgebrochen. Neben den teilweise noch unbefestigten Straßen werden kleine Paläste hochgezogen. Angelovska erklärt es uns mit einem geflügelten Satz, denn in Mazedonien sagt man, wenn man kein Haus gebaut hätte, habe man nicht gelebt.

Die Regisseurin hat diese Fährte aufgenommen und sie hört den Mazedoniern zu. Die Erklärung ist so einfach wie auch ambivalent. In den letzten so und so viel Jahren wurden Tausende junge Leute von den Amerikanern angeheuert in Afghanistan oder im Irak für sie zu arbeiten. Den Lohn schickten sie nach Hause. Diese Arbeitsmigration förderte in der Heimat eine Gentrifizierung. Doch auch damit ist nicht alles gesagt. Bekanntlich haben die Amerikaner Afghanistan verlassen. Die Mazedonier und Mazedonierinnen kehren in ihre Heimat zurück, sind jedoch vom Krieg geprägt. Es ist nicht nur das Geld, das in Europa, quasi gleich um die Ecke einen Wandel bewirkt, es ist eine vom Krieg geprägte Generation, die sich erst einmal wieder einfinden muss. Das wiederum kann dauern.

Anabela Angelovska hört den Menschen zu. Sie zeigt ohne Kommentar die Armut, die herrscht, und den Reichtum, den der Einsatz im Ausland bescherte. Sie wertet nicht. Sie stellt interessante Zusammenhänge her, die nachdenklich stimmen, denn Mazedonien ist sicherlich kein Einzelfall.