Als eine der prägendsten Filmschaffenden des (italienischen) Horrorfilms, insbesondere des Giallo-Thrillers, inszenierte Dario Argento in den 1970er und 1980er Jahren Klassiker wie VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT, SUSPIRIA und TERROR IN DER OPER. Von dieser frühen Klasse entfernte sich der Regisseur spätestens mit seinen nur äußerst mäßig und zum Teil vernichtend aufgenommenen Mysterythrillern der 2000er. Nach zehnjähriger Schaffenspause als Regisseur feierte sein neuster italienisch-französischer Horrorthriller bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen in Berlin Premiere. An seine frühere Arbeit heranreichen kann auch dieser Horrorfilm nicht. Zwar lässt DARK GLASSES altbekannte Stilistiken Argentos klar und deutlich durchschimmern, herausragend ist der Film dadurch jedoch zu keinem Zeitpunkt. Neben Argentos Tochter Asia Argento (MARIE ANTOINETTE, MISSVERSTANDEN) sind Illenia Pastorelli, Andrea Gherpelli und Jungdarsteller Xinyu Zhang zu sehen.
Darum geht es
In Rom treibt ein Serienmörder sein grausames Unwesen. Er hat es auf Prostituierte abgesehen, denen er nachstellt und die er anschließend mit einer Cellosaite erwürgt. In sein Visier gerät die Sexarbeiterin Diana, die durch einen Fluchtversuch vor dem Killer in einen verheerenden Autounfall verwickelt wird. Daraufhin verliert sie ihr Augenlicht, und sie muss sich fortan ohne Sehvermögen durchs Leben schlagen. Ihr Schicksal kreuzt sich mit dem eines chinesisch-stämmigen Jungen namens Chin, der bei dem Verkehrsunfall seine Familie verloren hat. Zwischen den beiden entsteht eine besondere Bindung, die von dem Wahnsinnigen in Schatten gestellt wird, der immer noch Jagd auf Diana macht …
Rezension
Subtil sind in DARK GLASSES die wenigsten Momente. Weder die Spannungs- und Gruselsequenzen noch die psychologischen Folgen oder physiologischen Einschränkungen der Hauptfiguren. Verkürzt und simplifiziert finden neben einem unausgegorenen Kriminalfall verschiedenste Konfliktthemen bis hin zu sexistisch missbräuchlichen und rassistischen Begegnungen ihren Weg in Argentos neusten Streifen. Oberflächlich zusammengezimmert ist sein aktuellstes Werk in erster Linie ein recht konventioneller Flickenteppich, welches neben vagen Figurenzeichnungen unheilvollen, aber ebenso effekthascherischen Grusel bietet.
Der wirksame und stimmungsvolle (Retro-) Soundtrack treibt die Spielminuten unnachlässig voran, eifert stellenweise den Herzschlag seiner Protagonist*innen nach, fährt erschrocken auf, wenn ein Mord geschieht und sorgt nicht zuletzt für befremdliche Situationen, wenn Frauen in der Begleitung von hipper poppiger Musik das Zeitliche segnen. Das Blut spritzt, es wird hysterisch geschrien und gegen Ende irren Figuren hastig durch einen finsteren Wald. DARK GLASSES bietet Grusel aus der schlichten Trickkiste, der zwar für einige Momente Referenzen an andere Horrorfilme einstreuen und auch Spannung erzeugen kann, doch nicht dauerhaft um die Protagonist*innen und deren Schicksale bangen lässt.
Der Film als Blindgänger
Weder Dianas Erblindung und ihr Lernen, mit der eigenen Blindheit umzugehen, noch die steife Verbindung ihres Handlungsstrangs mit dem des Waisenjungen Chin ist wirklich authentisch oder glaubwürdig. Stattdessen sind die Gesprächsversuche und die zwischenmenschliche Aufgeschlossenheit merklich überhastet und hölzern und ihre Zusammenführung ein simples und wenig originelles Aufeinandertreffen zweier grundverschiedener, jedoch nur unzureichend beobachteter Lebensrealitäten. Für eine eingespielte Dynamik zwischen den beiden Figuren hat DARK GLASSES kein Skript und keine Zeit, ebenso wenig für tiefere Beweggründe, Emotionen oder klügere Überlegungen der Charaktere.
Die hin und wieder in Ermittlungsarbeiten eingebettete Hatz des Killers und die übereilten Flucht- sowie Gegenwehrversuche der Protagonist*innen sind effektiv und in überschaubaren anderthalb Stunden auch kurzweilig in Szene gesetzt, stiften in ihrer häufigen Unfokussierung aber auch Verwirrung. Vor allem bei der Frage, was der Film mit all seinen willkürlich angerissen erscheinenden Thematiken überhaupt erzählen möchte und ob inszenatorische und narrative Irritationen nun gewollter Teil der Horrorvision oder doch nur Teil eines in die Jahre gekommenen Handwerkes sind.
Fazit
Wäre vom Namen Argentos nichts zu lesen, würde DARK GLASSES wohl deutlich weniger Aufmerksamkeit zu Teil. Dann wäre er vermutlich einer von vielen durchschnittlichen Horrorfilmen, ohne die Erwartung oder zumindest die kleine Hoffnung, eine fesselnde Belebung des Genres zu erfahren. Zwar reizt der aktuellste Film des ikonischen Regisseurs seine Thematiken nie auf eine unzumutbare Spielzeit aus, es fehlt ihm jedoch häufig an nervenaufreibender Spannung, plausibler Tiefe und Stringenz. Zeitweise zeigt sich die blutdurchtränkte Handschrift Argentos durchaus, jedoch ohne den Film in einen mehrschichtigen, eindringlichen und originellen Albtraum umschreiben zu können.
Originaltitel | Occhiali neri |
Kinostart | 16.06.2022 |
Länge | ca. 86 Minuten |
Produktionsland | Italien | Frankreich |
Genre | Horror | Mystery | Thriller |
Verleih | Pierrot Le Fou |
FSK |
Regie | Dario Argento |
Drehbuch | Dario Argento | Franco Ferrini |
Produzierende | Conchita Airoldi | Asia Argento | Brahim Chioua | Noémie Devide | Laurentina Guidotti | Vincent Maraval |
Musik | Arnaud Rebotini |
Kamera | Matteo Cocco |
Schnitt | Flora Volpelière |
Besetzung | Rolle |
Ilenia Pastorelli | Diana |
Asia Argento | Rita |
Andrea Gherpelli | Matteo |
Maria Rosaria Russo | Ispettrice Bajani |
Gennaro Iaccarino | Ispettore Baldacci |
Andrea Zhang | Chin |
Ivan Alovisio | Medico Oftalmico |
Fabrizio Eleuteri | |
Mario Pirello | |
Guglielmo Favilla | Jerry |
Gianluca Giugliarelli | Pardi |
Christiano Simone Iannone | Padre Eclissi |
Viktorie Ignoto | Escort |
Maurizio Jiritano | Cliente Escort |
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