Review
DER MANN MIT DER STAHLKRALLE unterscheidet sich stark von den bitterernsten Nachkriegsfilmen wie RAMBO, APOCALYPSE NOW oder FULL METAL JACKET. Im Gegensatz zu diesen fast schon depressiven und traurigen Filmen, die sich auf den Wahnsinn des Krieges, gebrochene Soldaten und die Verachtung durch die Zivilisten konzentrieren, schafft dieser Film eine bunte und fröhliche Stimmung für die Heimkehrer. Erst das Rachemotiv lässt den Film düsterer werden und sorgt dafür, dass der Bezug zum Vietnamkrieg austauschbar wirkt.
Als ob der erste Akt aus dem Pentagon stammt
Der erste Akt ist das größte Problem des Films. Die heimkehrenden Veteranen werden von Menschenmassen und einem Schulchor wie Kriegshelden und Sieger begrüßt. Es gibt Ehrungen, viele Danksagungen und natürlich Geschenke für die ach so tapferen Kampfpiloten. Nichts wird kritisiert oder hinterfragt. Die Offiziere werden fast schon so heldenhaft wie die Götter in den Olymp eingeflogen. Das hat schon einen faden Beigeschmack, wenn das Publikum gleichzeitig die Bilder kennt, in denen die USA in Vietnam Napalm, Entlaubungsmittel und andere Chemikalien mit Luftangriffen eingesetzt haben.
Auch abseits davon tut sich DER MANN MIT DER STAHLKRALLE schwer, den Vietnamkrieg zu kritisieren. Traumatische Erlebnisse werden nur ansatzweise angekratzt, aber im Vergleich zu Filmen wie RAMBO niemals ernst behandelt. William Devane spricht sogar davon, dass er die Folter lieben gelernt hat, damit der Viet cong mit seinen eigenen Mitteln geschlagen wird. Für die Zuschauenden wirkt das alles andere als glaubwürdig und schafft bei diesen eher den Verdacht, dass der Film ein Wohlfühlkino für das US-Publikum sein soll, damit der Vietnamkrieg doch wie ein heroischer Sieg wirken kann.
Interessant ist jedoch, dass der Film die Veränderung in den sieben Jahren Gefangenschaft aufgreift und dass diese natürlich irritierend für die Veteranen sein kann. Das Publikum freut sich darüber, wenn sich William Devane mit seiner Frau über die neuen Kleidungsstile, weibliche Freiheit durch das Weglassen eines BHs oder weitere neue Kleinigkeiten spricht. Zudem ist er vereinzelt ein stiller Beobachter, der die Menschenmassen, das Miteinander und die Tatsache, dass seine Familie so nicht mehr existiert, erst einmal verarbeiten muss. Das Dilemma des Heimkehrers macht kurzzeitig Freude, wobei der Film leider nicht genug darauf eingeht.
Diese Thematik hätte die heroische Darstellung des Krieges wenigstens ansatzweise übertönen können, scheitert aber daran, wodurch der erste Akt sich zu lange zieht. Weiterhin stört die Länge, da es trotz der überschaubaren Laufzeit von 100 Minuten eine halbe Stunde braucht, bis endlich etwas nennenswertes passiert, was die Handlung vorantreibt und für das Rachemotiv von William Devane sorgt.
Verspätete, aber unterhaltsame Action
Die Effekte von DER MANN MIT DER STAHLKRALLE sind für heutige Maßstäbe nicht gut gealtert. Das Publikum erkennt sofort, dass Wiliam Devane seine Hand nicht verloren hat und die Prothese nur über diese rüber gestülpt wurde. Bluteffekte sehen nach einer explodierten Ketchupflasche aus und die Foltern mit beispielsweise einem Feuerzeug sind klar als Schauspiel erkennbar, da der Film eine Illusion mit Kamerawinkeln erschaffen will, diese Winkel aber nicht trifft. Für die Zuschauenden ist dies schade, da so niemals der Grusel durch die Folter oder Verluste aufkommen kann.
Und doch ist die Action stimmig, wenn William Devane zum namensgebenden Mann mit der Stahlkralle wird. Das ist nicht zuletzt dem Finale geschuldet, in dem er mit Tommy Lee Jones Seite an Seite kämpft. Die Action hat zwar immer noch einen Hang zum Trash, es gibt Overacting, aber auch unerwartet brutale Momente, die dem Publikum ein Staunen hervorlocken können. Gleichzeitig erfreut dieses sich daran, dass der Protagonist trotz seiner Selbstjustiz sympathisch ist und seine Beweggründe verständlich sind.
Das liegt unter anderem an seinem respektvollen Umgang mit Frauen. Die Zuschauenden rechnen eigentlich damit, dass William Devane tobt, wenn seine Frau ihm von ihrem neuen Liebhaber erzählt. Aber er bleibt gelassen und zeigt sogar Verständnis. Auch seine Begleiteren Linda Haynes betrachtet er bis auf ein paar Streitereien und die Tatsache, dass er sie zu spät in den Plan einweiht, auf Augenhöhe und respektvoll. Er nutzt ihre Liebe zu ihm nicht aus und wird niemals übergriffig. Eine angenehme Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehung der Beiden.
Eine Synchronisation zum Abraten
DER MANN MIT DER STAHKRALLE ist für Menschen, die Filme am liebsten in deutscher Synchronisation schauen leider gar nicht zu empfehlen. Die Synchronsprechenden nuscheln teils, sind zu leise und wirken gerade in der ersten Hälfte des Films ziemlich gelangweilt. Auch passen diese teils nicht. Der Sohn soll um die circa acht oder neun Jahre alt sein, klingt aber eher wie ein 13-jähriger. Bei diesem klingt der Ton auch so dumpf, als ob ein Tuch über das Mikrofon gelegt wurde.
Viel schlimmer für Liebhabende deutscher Synchronfassungen ist aber die Häufigkeit nicht synchronisierter Szenen. Es handelt sich auch nicht um Nebenschauplätze, die ignoriert werden können, sondern um wichtige Elemente, wie die Bindung zu der Familie. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Untertitel nicht nur unpräzise, sondern teilweise auch einfach falsch sind. Es gibt beispielsweise eine Szene im O-Ton, in der sich Linda Haynes in ihrer Jugend als Tomboy – eine Bezeichnung für Mädchen und Frauen, die gegen das Rollenbild der Gesellschaft leben und sich männlich gelesen geben – bezeichnet. Der Film übersetzt dies mit „Wildfang“. Solche Fehler tauchen öfter auf und zerstören den Kontext der Originalaussagen.
Fazit
Auch wenn Quentin Tarantino DER MANN MIT DER STAHLKRALLE als einen seiner Lieblingsfilme und den besten Rachefilm bezeichnet, muss ihm hier zumindest bei dem zweiten Punkt widersprochen werden. Zu sehr lastet die Problematik des Pathos und der heldenhaften Darstellung der Veteranen auf den Film. Die Action ist zwar unterhaltsam und sehenswert, lässt aber durch einen viel zu langen ersten Akt auf sich warten. Durch die Lauflänge von 100 Minuten fühlt sich die Überlänge noch nicht wie Arbeit an und der Film dürfte gute Unterhaltung für einen lockeren Filmabend mit ein paar Freund*innen bieten.
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Originaltitel | Rolling Thunder |
Kinostart | 2.11.1977 |
Länge: | 100 minuten |
Produktionsland | United States of America |
Genre: | Action | Drama | Krimi |
Regie | John Flynn |
Executive Producer | Samuel Z. Arkoff | Lawrence Gordon |
Producer | Norman T. Herman |
Kamera | Jordan Cronenweth |
Musik | Barry De Vorzon |
Cast | William Devane, Tommy Lee Jones, Linda Haynes, James Best, Dabney Coleman, Lisa Blake Richards, Luke Askew, Lawrason Driscoll, James Victor, Cassie Yates, Jordan Gerler, Jane Abbott, Jerry Brown, Jacque Burandt, Anthony Castillo, Charles Escamilla, Rudy T. Gonzales, Robert K. Guthrie, Ray Gutierrez, James N. Harrell |
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