Kinostart: 27.02.2020
DVD/Blu-ray – Release: 09.07.2020
Länge: ca. 125 Minuten
Produktionsland: USA
Regie: Leigh Whannell
Schauspieler:innen: Elisabeth Moss | Oliver Jackson-Cohen | Harriet Dyer
Genre: Horror | Thriller | Psycho
Verleih: Universal Pictures Germany
Mein Credo ist häufig: die besten Geschichten schreibt das Leben selbst – und in den meisten Fällen stimmt dies auch tatsächlich. Doch gibt es auch großartige Geschichten aus anderer Hand, so zum Beispiel von Büchern wie H. G. Wells Roman DER UNSICHTBARE aus dem Jahr 1897. In Deutschland erschien das Werk erstmalig 1911 auf dem Markt und gehört nicht zu den groß bepreisten Publikationen. Dennoch fanden vor allem Filmemacher ihren Reiz an diesem Schriftstück. So war es der Schriftsteller selbst, der 1933 den ersten Spielfilm mit dem gleichen Titel verfilmte. Es folgten mehrere verschiedene Werke, die sich im Wesentlichen um die Grundidee herum abspielten, unter anderem DER UNSICHTBARE AGENT, DER UNSICHTBARE MENSCH und JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN.
Es war einmal..
In der früheren Geschichte ging es um einen Wissenschaftler, der eine chemische Formel entdeckt, mit der er Gegenstände unsichtbar machen kann. Irgendwann probierte er diese Formel auch an sich sehr erfolgreich aus, muss jedoch kurze Zeit später feststellen, dass es ihm nicht gelingt diesen Effekt wieder rückgängig zu machen. Nun muss er also mit seinem neuen Leben arrangieren und gegen die Verzweiflung im Alltagsleben ankämpfen. Dieser Aufgabe ist er jedoch nicht gewachsen und wird zunehmend krimineller. Das Buch beschreibt somit eine Art Charakterstudie einer völlig vereinsamten Person die keinen Ausweg aus einer misslichen Lage findet.
Der aktuelle Film hat auch schon eine recht umfassende Vergangenheit hinter sich gebracht, denn die Entwicklung des neuen DER UNSICHTBARE-Films begann schon 2007 und verzögerte sich immer wieder vor allem durch Misserfolge anderer Universal Studios Produktionen. Ursprünglich sollte die Geschichte nämlich ein Teil des Dark Universe werden und sich damit in eine Geschichtenübergreifende Story eingliedern. Diese Idee ging jedoch zu Grunde und man entschied sich die Werke doch besser einzeln zu produzieren und damit fokussierter auf die einzelnen Filme einzugehen.
Darum geht es…
Weit draußen auf dem Land in einem äußerst luxuriösen Haus schleicht Cecilia Kass eines Nachts davon, um sich vor ihrem Partner in Sicherheit zu bringen. Dies gelingt auch anfangs recht gut, denn sie kennt das Haus und dessen geheime Ecken eigentlich bestens. Doch scheint das Vorhaben zu scheitern, als ihr gemeinsamer Hund sie bemerkt und die kommende Flucht seinem Herrchen verkündet. In einer dramatischen Flucht gelingt es ihr dem gewalttätigen und brillanten Wissenschaftler zu entkommen und bei einem Freund ihrer Schwester unterzutauchen.
Ein Leben voller Angst ist jedoch die Folge, denn paranoid wie sie ist, glaubt sie überall ihren Ex zu sehen. Erst als die Nachricht seines Todes ihr zu Ohren kommt, beginnt sie etwas durchzuatmen und sich wieder in den Alltag zu integrieren. Doch war das alles nur eine List? Nach einigen seltsamen Ereignissen scheint ihr die Anwesenheit dieses Mannes gegenwärtiger als je zuvor.
Rezension
Packend und spannend von der ersten Sekunde an macht der Profi für Horrorgeschichten Leigh Whannell so einiges richtig. Ohne viel Tam Tam leitet er die Geschichte von DER UNSICHTBARE mit einer rasanten dramatischen Verfolgungsjagd ein und macht von der Sekunde an klar, dass dies kein langweiliger 0815-Horror-Thriller wird, mit denen Blumhouse-Productions den Markt in den letzten Jahren so großzügig überschwemmt hat.
Technisch rundum gelungen
Schon in der ersten großen Szene wird zudem klar, dass die Kamera, sowohl in der Perspektive als auch der Kameraführung, wesentliche Anteile zum Storytelling beitragen würde. Beginnend mit mehreren Supertotalen des Inneren des Hauses wird zum einen schnell bewusst, dass die Protagonistin versucht heimlich zu fliehen und gleichzeitig der Zuschauer in eine allmächtige Position versetzt, der theoretisch alles sehen und wahrnehmen könnte und dann doch vom Regisseur zurecht gewiesen wird, dass er eigentlich gar nichts sieht. Mehrfach wird damit der Eindruck erweckt – schau hin, ich zeige dir etwas mehr, damit du im Gegenteil zur Hauptfigur schon erahnen kannst was geschieht – um dann doch nichts oder etwas völlig anderes geschehen zu lassen. Dieser Kniff ist brillant und erzielt gleich mehrfach den gewünschten Effekt.
Ein weiterer sehr funktionaler Kameraeffekt sind die sehr ruhigen Bilder, die häufig sogar vom Stativ zukommen scheinen. Geschickt werden dabei Kameraschwenks in die Handlung integriert und teilweise vor einem Geschehen bereits auf ein neues Motiv gerichtet, womit ebenfalls der Eindruck aufkommt – hier müsse doch nun etwas geschehen. Gleichzeitig wird die Kamera jedoch auch für die Spannungserzeugung zum Teil wieder gar nicht gedreht, womit die fokussierte Handlung außerhalb des Bildbereichs wandert, ohne dass dieser gefolgt wird. Simpel, aber verdammt effektiv.
Ein Schocker der Extraklasse
Doch die Kamera ist nicht das einzige sehr effektive Mittel. Typisch für einen Film dieses Genres spielen viele Szenen im Dunkeln oder zumindest in dunklen Räumlichkeiten mit spärlicher Beleuchtung, die jedoch nicht unbedingt zwingend notwendig gewesen wäre. Doch verstärkt die Dunkelheit durchaus den beklemmenden Eindruck, den der restliche Film anhand der sehr starken Tonabmischung und der bedränglich basslastigen Hintergrundmusik, sowieso schon trägt. Dieser Soundunterlegung passt sich stets dem Charakter des Bildes genial an, so dass diese über weite Strecken gar nicht wahrgenommen wird und dennoch stets die richtige Atmosphäre ausstrahlen kann.
Zudem muss man das Drehbuch sehr loben, denn weitestgehend folgen auf teilweise unlogische Handlungen, die durchaus auch mal im Rahmen der Möglichkeiten sind, zumeist sehr durchdachte Taten der Figuren. Das wiederum zeigt, dass es Leute gab, die sich wirklich mit dem Film beschäftigt haben und sich Mühe gegeben haben, dem Zuschauer endlich mal wieder ein beklemmendes, angsterfülltes Gefühl zu vermitteln, ohne dabei einzig und allein auf die Effekte zu setzen. Scheinbar werden mit diesen Geschehnissen tatsächlich auch einige Seitenhiebe auf vergleichbare Filme ausgeteilt, die sich doch eher dazu hinreißen ließen, dem Weg der irrsinnigen Handlung zu folgen. Zudem spielt der Film geschickt mit den drei Genres Horror, Thriller und Psycho und wechselt kontinuierlich von Einem ins Andere.
Wie zeigt sich das Spiel mit der Psyche?
Im folgenden Spoiler bekommt ihr einmal einen Eindruck einer sehr starken erzeugten Erwartungshaltung, die immer wieder geschickt vernichtet wird und trotzdem viel Spannung erzeugt.
Von den Darstellern ist vor allem Nebendarsteller Aldis Hodge zu nennen, der sich mit seiner Rolle voll ins Zeug gelegt hat und alles aus seiner Figur herausholt, was nur möglich war. Im direkten Vergleich hat er Elisabeth Moss ziemlich alt aussehen lassen, was jedoch auch an ihrer enormen Leinwandpräsenz liegen kann. Mrs. Moss ist fast ausnahmslos die gesamte Zeit zu sehen und kann daher nicht immer so ganz überzeugen, auch wenn verschiedene Kampfszenen für mich deutlich besser als ein berühmter Kampf eines Oscarpreisträgers mit einem Bären gespielt sind.
Nicht alles ist perfekt
Soviel wie ich nun gelobt habe, so viel muss jedoch auch kritisiert werden, denn vieles was in der ersten Hälfte einfach auf den Punkt gestimmt hat, wird in der zweiten doch deutlich vergurkt. Es schleichen sich einige logische Löcher ein, die auch im weiteren Verlauf des Films nicht mehr gestopft werden. So wird zum Beispiel ein Tisch umgerissen, als würde Hulk sich im Raum austoben, während in der nächsten Perspektive eine Figur an dessen Bein festhält und der Tisch sich kein bisschen rührt. Zudem ist der finale Twist leider absolut kein überraschender mehr, da man diesen eigentlich schon nach dem ersten Viertel des Films erahnen kann.
In der Folge davon kommen immer mehr Inszenierungen wo man sich nur noch fragt: Warum? Musste das jetzt sein? Diese lückenhafte Erzählweise führt zudem dazu, dass sowohl der Angstfaktor immer weiter sinkt als auch der dramatische Handlungsbogen deutlich abflacht. Die zweite Hälfte trägt eine völlig andere Handschrift und wirkt nicht mehr wie vom gleichen Regisseur produziert. Sollte hier das Produktionsstudio seine Finger im Spiel gehabt haben mit einigen Vorgaben, die erfüllt werden mussten, so war dies ein riesiger Fehler. Zwar schafft es der erste Part des Films deutlich intensiver im Gedächtnis zu bleiben und somit den Zweiten etwas zu überdecken, doch bleibt immer ein unangenehmer Beigeschmack. Sehr schade!
Meckern auf hohem Niveau
Hierbei sei jedoch gesagt, dass auf hohem Niveau gemeckert wird, denn selbst der eigentlich völlig vergeigte Schluss wirkt noch immer deutlich besser als viele weitere Produktionen der gleichen Sparte. Somit ist dies nur für diesen Film und nicht im Generellen ein schlechter Filmausklang. Insgesamt sollte also noch einmal ein Lob ausgesprochen werden, denn die spürbar angespannte Atmosphäre im Kinosaal hat sich so derb auf mich niedergeschlagen, dass es einige Passagen gab, die mir die Tränen in die Augen gedrückt haben vor Nervosität und Fassungslosigkeit.
Das Horror und Psychothriller-Genre sind zwei, in denen häufig sehr viel ziemlich falsch gemacht wird. Hier jedoch ist es weitestgehend der gegenteilige Fall. Von der ersten Minute an wird eine extrem hohe Grundspannung erzeugt, die sich durch nahezu den gesamten Film hindurch zieht und den Zuschauer nicht mehr loslässt. Brillant inszeniert wird der Puls der Zuschauer immer wieder in die Höhe getrieben. In weiten Teilen der Geschichte wird eine Erwartungshaltung beim Zuschauer erzeugt, die unerfüllt bleibt, was in diesem Fall durchaus kein negativer Aspekt ist, denn im gleichen Zug geschieht etwas völlig anderes, völlig Unerwartetes. Dafür tragen vor allem Sound und Kamera Sorge, die mit simplen Mitteln weit mehr Atmosphäre aus dem Film herausholen als sonst etwas.
Leider schleichen sich – im Gegensatz zum sehr durchdachten Anfang des Films – gen Ende hin einige massive Logikfehler ein, die eine Erklärung benötigt hätten und somit das Gesamtfilmerlebnis etwas schmälern. Doch abgesehen davon ist und bleibt dies einer der besten Psycho-Thriller der letzten Jahre neben dem für mich letztjährigen Erfolg GRETA.