Rezension
Es sei das größte Abenteuer ihres Lebens, verrät ein Bilderbuch euphemistisch über das bevorstehende Kind der schwangeren Valeria. Die Realität der jungen Frau, die sich mit ihrem Mann Raúl mitten in der Vorbereitung auf den ersten Nachwuchs befindet, kann es damit nicht im Ansatz bebildern. Näher kommt dieser die mexikanische Volkssage um La Huesera, DIE KNOCHENFRAU, die Knochen junger Frauen einsammelt, um sie zu einem neuen Skelett zusammenzusetzen. Deren schaurige Elemente fügen sich mit der Zeit nahtlos in den von multiplen Erwartungen und Stressoren eingeschnürten Alltag der Protagonistin und damit auch in Michelle Garza Cerveras eindringliches Spielfilmdebüt ein.
Trotz klarer Genremomente ist der bereits 2022 hierzulande auf dem Fantasy Filmfest gezeigte Film aber kein reiner Horrorfilm geworden. Stattdessen demaskieren sich Familienidyll und Urteile des Umfeldes gemächlich und treiben den steten, wenngleich zweckmäßigen Spannungsaufbau schwelend voran. Mit Natalia Soliáns eindringlich verkörperter Figur Valeria steht eine Frau im Zentrum der Geschichte, deren komplexen Gefühle und Kämpfe, bedingt durch innere, persönliche aber auch äußere, gesellschaftliche Vorgänge, der Film immer weiter zu ergründen versucht. Figurenstudie, allen voran intensive Gesichtsausdrücke und Einblicke in die Psyche der Hauptfigur, Gesellschaftsskizzen, Mystery und Body-Horror verflechten sich zu einem gediegenen Gruselstück, welches seine fantastischen Elemente nie zum Selbstzweck verarbeitet oder als banale Jumpscares überreizt.
Viel mehr erhalten diese in wenigen Szenen auch ganz abgesehen vom interpretatorischen Unterbau rundum patriarchale Zwänge eine wirksame Präsenz: in Form einzelner albtraumhafter Bilder und Symbole und auch auf tonaler Ebene. Knochenknacken gibt nicht nur dem Titel des Films einen zermürbenden Klang, das Sounddesign intensiviert sowohl die schummrige, durch die enge Verknüpfung von realen und folkloren Elemente zwielichtig erscheinende Atmosphäre als auch das angerissene Figurenporträt der Frau zwischen zukunftsorientierten Vorstellungen, zurückliegenden Geschehnissen, keimender Einsamkeit und leeren Mutterschaftsversprechungen. Deren Horror erweist sich in den überwiegend unauffälligen Bildern letztlich als vielfältiger als es der schematische Titel vermuten lässt, – und steht damit stellvertretend für eine Handvoll Elemente, Hauptfigur, Gefühle sowie Entscheidungen, des spanischen Debütfilms.
Fazit
Ein langsames, atmosphärisches und eingehend gespieltes Gruseldrama, wie es der Flut an inhaltlich belanglosen und effekthascherischen (Direct-To-DVD-) Genrefilmen immer wieder guttut.
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Originaltitel | Huesera |
Kinostart | 10.2.2023 |
Länge: | 97 minuten |
Produktionsland | Mexico |
Genre: | Horror | Mystery | Drama |
Regie | Michelle Garza Cervera |
Executive Producer | David Bond | Omar Lara | Eduardo Lecuona | Javier Sepulveda | Francisco Sánchez Solís |
Producer | Paulina Villavicencio | Edher Campos | Lorena Ugarteche |
Kamera | Nur Rubio Sherwell |
Visual Effects | Raúl Prado |
Cast | Natalia Solián, Alfonso Dosal, Mayra Batalla, Mercedes Hernández, Sonia Couoh, Aida López, Anahí Allue, Martha Claudia Moreno, Emilram Cossío, Norma Reyna, Gina Morett, Rocío Belmont, Camila Leoneé, Luciano Marti, Enoc Leaño, Laura de Ita, Carlos Orozco, Gabriela Velaverde, Isabel Luna, Luisa Almaguer |
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