Welcher Animationsfilm für die ganze Familie referenziert schon Regiegrößen wie Alfred Hitchcock, Federico Fellini und Agnes Varda? Richtig, die größte und bunteste Sause, die es vergangenes Jahr im amerikanischen Animationsfilm zu sehen gab und die neben Filmen wie ENCANTO und FLEE zu Recht für den diesjährigen Oscar® in der Kategorie Best Animated Feature nominiert ist. DIE MITCHELLS GEGEN DIE MASCHINEN ist nicht nur Spielfilmdebüt des Amerikaners Michael Rianda, sondern auch der aktuellste Film von Produzenten Phil Lord und Chris Miller, die zuvor an den THE LEGO MOVIE – Ablegern und 2018 am oscarprämierten SPIDERMAN: A NEW UNIVERSE beteiligt gewesen waren.
Wie im ersten animierten Kinoabenteuer des beliebten Superhelden ist das Tempo in DIE MITCHELLS GEGEN DIE MASCHINEN hoch, regelrecht rasant. Anders als der erfolgreiche Spiderman-Vertreter konnte Michael Riandas Mischung aus Science-Fiction, Coming of Age und Abenteuergeschichte jedoch nie im Kino, sondern nur beim Streaminganbieter Netflix, der sich nach mehreren pandemiebedingten Verschiebungen die weltweiten Rechte sicherte, bestaunt werden. Bedauerlich, denn ausgerechnet dieser Animationsfilm gehört innerhalb seines Genres wohl zum besten, was in den letzten Jahren im Kino und auf anderen VoD-Diensten erschienen ist.
Darum geht es
Katie Mitchell ist eine junge Hobby-Filmemacherin und in heller Vorfreude: einer ihrer größten Träume wird wahr, denn sie wurde an einer Filmschule in Kalifornien angenommen. Um den Familienzusammenhalt zu stärken, beschließt ihr Vater, ein gutmütiger Technologiemuffel, ihren Flug in die neue Heimat zu stornieren und sie gemeinsam mit Ehefrau Linda und ihrem kleinen Bruder Aaron ans andere Ende der Vereinigten Staaten zu fahren. Katie ist zunächst entsetzt über die Entscheidung, hat aber schnell andere Probleme: im ganzen Land beginnen Roboter die Macht zu übernehmen, das Großprojekt eines Technologie-Unternehmers gerät außer Kontrolle. Plötzlich ist an den tollpatschigen Mitchells, die Welt wieder in Ordnung zu bringen und im Chaos des Weltuntergangs ihren Zusammenhalt zu beweisen …
Rezension
Der Trailer, der den Film vor gut zwei Jahren im Kino noch unter dem Titel CONNECTED – FAMILIE VERBINDET ankündigte, ließ noch reichlich Argwohn offen: überladene Themen, sabbernde Sidekicks, visuelle Hyperaktivität. Das Endprodukt ist wesentlich stimmiger und erfrischender, als es diese Kurzausschnitte verrieten. Der Film bleibt ein rasantes Auf und Ab, ein visuell forderndes Farbgewitter, weiß mit seinen Themen jedoch umzugehen wie selten ein Genrevertreter zuvor.
Porträt einer bunten Familie in Flammen
Herzstück des Films ist seine titelgebende Familie oder viel mehr die Dynamiken zwischen den einzelnen Mitgliedern. Zwar sind sie im Einzelnen häufig wenig originell, ihr Miteinander umso stärker. Die Vater-Tochter-Beziehung schafft eine glaubhafte Wechselwirkung in der beide Seiten ihre nachvollziehbaren Beweggründe zeigen können und auch das Geschwistergespann agiert nicht klischeebelastet, stattdessen ehrlich und authentisch. Auf physisch normierte Charakterdarstellungen wird größtenteils verzichtet, die vermeintlich behindernde Fehlerhaftigkeit der Mitchells hingegen immer wieder in den Vordergrund gerückt. Das macht sie nicht nur deutlich nachfühlbar und aufrichtig, sondern sorgt auch für die amüsantesten Momente des Films.
Ebenfalls zu erwähnen: Hauptfigur Katie, im Original gesprochen von Abbi Jacobson (BAD NEIGHBORS 2), wird niemals nur auf eine bestimmte Problematik heruntergebrochen. Ihre Liebe zum Film, ihre eigene Kreativität, die Abkapselung von aber auch die unverkennbare Verbundenheit zu ihrer Familie bewegen sich in einem ständigen Spannungsfeld, welches obendrein niemals Katies Sexualität problematisiert, geschweige denn überhaupt zentriert. Eine beispielhafte Form der Repräsentation, wie sie unaufdringlich und gegeben in den filmverliebten Alltag einer Teenagerin einfließt.
Ready Player Mitchells
Katie Mitchells Leidenschaft für den Film überträgt sich auf die gesamte Gestalt des Films. Nicht nur wird mit den Eigenschaften von Videoaufnahmen gespielt und ihre eigenen Kurzfilme immer wieder eingebunden, auch auf Desktophintergründen und großen Monitoren sprießen Filmzitate und Easter Eggs. Sei es ihr Bruder, der sich auf einem Thumbnail für ein Q&A als Agnes Varda verkleidet, das Filmplakat zu PORTRÄT EINES IDIOTEN IN FLAMMEN, die Referenzierung von Rainer Werner Fassbinders ANGST ESSEN SEELE AUF und die Offenbarung nur vorzugeben, die Filme des italienischen Filmemachers Federico Fellini zu mögen, – DIE MITCHELLS GEGEN DIE MASCHINEN ist randvoll gefüllt mit Anspielungen und Hommagen, die liebevoll in den Hintergrund eingearbeitet sind und nur selten plump (Stichwort: Furby) in den Vordergrund treten.
Trotz seines enormen Tempos, insbesondere in den Actionsequenzen, verliert der Film nie den Überblick über die Geschehnisse. Stilsicher feuert er zahlreiche kreative Einfälle auf den Bildschirm, verbunden mit visuellen Witz und einem bemerkenswerten Gespür für das richtige Timing. Keine Minute seiner Laufzeit wird verschwendet, keine der Ideen wird überstrapaziert, selbst der Familienhund verkommt nicht zum bedeutungslosen und nervigen Sidekick. Vor allem aber sieht er davon ab, Technologie und Soziale Medien grundsätzlich zu verurteilen und zu dämonisieren. DIE MITCHELLS GEGEN DIE MASCHINEN stellt sich nicht gegen den Fortschritt und die technologischen Entwicklungen, sondern versucht zu vermitteln und damit Botschaften an jede Generation zu senden.
Fazit
DIE MITCHELLS GEGEN DIE MASCHINEN ist ein unterhaltsamer und stilsicherer Familien-Roadtrip, gepaart mit temporeicher Weltuntergangsaction und einem unverwechselbaren Look. Jede der 104 aufgeregten Spielminuten strotzt vor Kreativität und Einfallsreichtum, während der Film glücklicherweise davon absieht, moderne Technologien grundlegend zu verteufeln, ohne ihre negativen Einflüsse zu beschönigen. Stattdessen hat er ein sympathisches und ehrliches Familiengefüge, eine glaubhaft charakterisierte Teenagerin und die Liebe zum Kino im Mittelpunkt seiner furiosen Laufzeit stehen. Und wenn dann in hoher Geschwindigkeit doch das ein oder andere Detail verloren geht, kann ein Rewatch insbesondere für Filmliebhaber*innen große Entdeckungsfreude ermöglichen.
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Originaltitel | The Mitchells vs the Machines |
Streaming – Release | 27.02.2021 |
Länge | ca. 113 Minuten |
Produktionsland | USA | Hongkong |
Genre | Animation | Abenteuer | Komödie |
Verleih | Netflix |
FSK | unbekannt |
Regie | Michael Rianda | Jeff Rowe |
Drehbuch | Michael Rianda | Jeff Rowe | Peter Szilagyi | Alex Hirsch |
Produzierende | Kurt Albrecht | Will Allegra | Vanessa Choy | Daniel Chuba | Louis Koo | Phil Lord | Christopher Miller | Carey Smith |
Musik | Mark Mothersbaugh |
Kamera | Greg Levitan |
Schnitt | Brittany N. Grooms | Mary Hidalgo | Tamara Hunter |
Besetzung | Rolle |
Abbi Jacobson | Katie |
Danny McBride | Rick |
Maya Rudolph | Linda |
Michael Rianda | Aaron |
Eric André | Mark |
Olivia Colman | PAL |
Fred Armisen | Deborahbot 5000 |
Beck Bennett | Eric |
Chrissy Teigen | Hailey Posey |
John Legend | Jim Posey |
Charlyne Yi | Abbey Posey |
Blake Griffin | PAL MAX Prime |
Conan O’Brien | Glaxxon 5000 |
Doug the Pug | Monchi |
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