Rezension
Sexualpräferenzen wie Sadomasochismus werden in Hollywood-Filmen häufig als erotisch, romantisch und aufregend romantisch dargestellt. Grenzen werden erforscht, eine aufreibende Szene reiht sich an die nächste und – im besten Fall – ist die Chemie zwischen den beiden Protagonisten von Anfang an unschlagbar. Negativbeispiel für diese Art von Erotikfilmen ist zum Beispiel die FIFTY SHADES OF GREY-Trilogie, die das Spiel der Dominanz und Submission fast schon ins Lächerliche zieht. Unterschiedlicher könnte das Spielfilmdebüt der amerikanischen Dokumentar- und Kurzfilmregisseurin Joanna Arnow nicht sein. Unter dem locker von den Lippen gehende Titel DIESES GEFÜHL, DASS DIE ZEIT, ETWAS ZU TUN, VORBEI IST porträtiert Arnow das Leben einer einfachen Frau in ihren Dreißigern, die ihren Alltag zwischen einer BDSM-Beziehung, einem langweiligen Büro-Job und einer zänkischen Familie mit Konfliktpotenzial balanciert.
Ungewohnte Erzählweise und ultra-trockener Humor
Besonders ungewöhnlich gestaltet sich diese Komödie in der Art, wie sie gefilmt und geschnitten ist. Die kurz gehaltenen Szenen folgen beinahe schon willkürlich und zusammenhangslos aufeinander ab, während die Kameraposition fast immer statisch und regungslos bleibt. Wie ein entfernter Beobachter im Leben von Hauptprotagonistin Ann, die von Regisseurin und Drehbuchautorin Joanna Arnow dargestellt wird, nistet man sich ein.
Vergleichen kann lässt sich ein derartiger komödiantischer Stil, gepaart mit einer erwachsenen Coming-of-Age-Story einer etwas anderen Art, mit etwaigen Werken von Lena Dunham oder gar Noah Baumbach. Der Humor ist dabei super trocken: Bei einigen wird er Wirkung zeigen, bei anderen wird die Geduld zum Äußersten strapaziert. Genau dort liegt folglich die Schwäche von DIESES GEFÜHL, DASS DIE ZEIT, ETWAS ZU TUN, VORBEI IST. Der Streifen ist zu unlustig, um mit der gelieferten Handlung eine gute Zeit zu haben. Konkret müsste eine solche deprimierende Alltagskomödie mehr Gags und Witze darbieten. Herzhaft lachen muss man eher selten, viel häufiger runzelt man die Stirn beim Versuch, die mosaikartigen Momente zusammenzusetzen, sodass sie einen Sinn ergeben. Stattdessen hinterlässt der Film nach dem Anschauen ein Gefühl von Gleichgültigkeit und Neutralität zurück.
Leere statt Tiefe
Viele können sich höchstwahrscheinlich mit einem zwischenzeitlichen Gefühlszustand der Einöde oder Sinnlosigkeit identifizieren – braucht es also unbedingt einen trockenen Film, der uns zeigt, dass es anderen, uns unbekannten Menschen, auch so geht? Die völlig absurden sexuellen Szenen, in denen Ann fast immer komplett nackt ist, hinterlassen einen genauso kleinen Eindruck wie die seltenen Momente, die die Hauptfigur mit ihren Eltern verbringt. Diese wurden übrigens von Joanna Arnows tatsächlichen Eltern inszeniert.
In die Tiefe geht der Film schon gar nicht, wir erfahren nichts über ihre Arbeit oder andere Hobbies und Tätigkeiten außerhalb ihrer Beziehungen. Natürlich kann man hier entgegnen, dass der komplette Sinn hinter dem Streifen ist, uns zu zeigen, wie monoton und öde Anns Leben ist. Doch ist ein Film, der Langeweile als Emotion beim Publikum erwecken will, wirklich sehenswert?
Von Hoffnung und Rückfall
Doch natürlich ist nicht alles an DIESES GEFÜHL, DASS DIE ZEIT, ETWAS ZU TUN, VORBEI IST uninteressant und bedeutungslos. Nachdem sie einen bestimmten neuen Partner trifft, der ihre sexuellen Vorlieben nicht teilt, dafür aber ein wahrhaftig guter Mensch ist und sich charakterlich mit ihr auf einer Wellenlänge befindet, blüht sie ein wenig auf. Zum ersten Mal lacht sie und kommt ein Stück aus sich heraus. Der Anschein wird erweckt, dass daraufhin ein Happy End folgt und sie mit ihrer neuen Beziehung ein neuer und glücklicher Mensch wird – Fehlanzeige. Das Ende ist unerwartet und ernüchternd, wenngleich auch thematisch vollends passend. Es soll zeigen, wie wir uns in bekannten Verhaltensmustern wohler fühlen und eher eine Akzeptanz für einen deprimierende psychische Verfassung entwickeln, als aktiv etwas daran ändern zu wollen.
Generell muss man dem Film zugutehalten, dass der Begriff Konventionalität augenscheinlich für Arnow ein Fremdwort ist. Die Art wie sie die kurzweiligen Sketches, die man in etwa so ähnlich aus SNL oder Knallerfrauen kennt, zu einem Langfilm zusammenfügt, ist erfrischend und neuartig. Dass sie zu den aufregenderen Gesichtern im amerikanischen Indie-Kino gehört, steht fest. So wurde der Film jüngst bei den Independent Spirit Awards als bestes erstes Drehbuch nominiert. Außerdem wurde ihr Erstlingswerk unter anderem von Sean Baker mitproduziert, der mit seinem neuen Film ANORA gerade von Preisen und Nominierungen überhäuft wird und zu den ernsthaften Oscar-Kandidaten gehört.
Fazit
Wie der Titel bereits vermuten lässt, bietet der Film einen einzigartigen und unkonventionellen Einblick in das alltägliche Leben einer gelangweilten Frau, die sich in ihren sexuellen, familiären und beruflichen Beziehungen gefangen fühlt – und nach sich selbst sucht. Nicht für alle wird die Mischung aus trockenen Witzen und dem fast schon dokumentarischen Stil Anklang finden. Dennoch gehört Arnow mit ihrem mutigen Auftreten und klaren Gespür dafür, was sie zeigen will, zu den innovativeren neuen Persönlichkeiten in der Filmbranche abseits vom Hollywood-Glamour. Bleibt es also abzuwarten, was wir in Zukunft von ihr sehen werden.
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Originaltitel | The Feeling That the Time for Doing Something Has Passed |
Kinostart | 26.4.2024 |
Länge: | 89 minuten |
Produktionsland | United States of America |
Genre: | Komödie |
Regie | Joanna Arnow |
Executive Producer | Robert Mirels | Sean Baker | Adam Mirels |
Producer | Mila Matveeva | Daniel Ryniker | Graham Swon | Pierce Varous |
Kamera | Barton Cortright |
Cast | Joanna Arnow, Scott Cohen, Babak Tafti, Peter Vack, Michael Cyril Creighton, Alysia Reiner, Parish Bradley, Tanya Thompson, Barbara Weiserbs, David Arnow, Keith Poulson, Bingham Bryant, Amy Zimmer, C. Mason Wells, Shuchi Talati |
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