Originaltitel: Ein bisschen bleiben wir noch
Kinostart: 02.09.2021
Länge: ca. 102 Minuten
Produktionsland: Österreich
Regie: Arash T. Riahi
Schauspieler:innen: Rosa Zant | Leopold Pallua | Ines Miro
Genre: Drama
Verleih: Film Kino Text
Es sind viele schwerwiegende Themen, mit denen sich Regisseur Arash T. Riahi in seinem zweiten Spielfilm auseinandersetzt. Es geht um Immigration und Inklusion, um Suizidgedanken, um Identität, Persönlichkeit und Familienzusammenhalt. Schwerpunkte, die den Film als Spielfilmdrama für ein erwachsenes Publikum charakterisieren, wenngleich er aus der unschuldigen Perspektive zweier Kinder erzählt ist. Lose basierend auf der Buchvorlage „Oskar und Lilli“ von Monika Helfer inszeniert Riahi einen einfühlsamen und aussagekräftigen Film, in welchen er Migrationserfahrungen und aktuelle politische Botschaften einfließen lässt.
Mit seinem österreichischen Spielfilm feierte Arash T. Riahi vergangenes Jahr beim Max-Ophüls-Preis Premiere, bei dem EIN BISSCHEN BLEIBEN WIR NOCH mit dem Publikumspreis Spielfilm ausgezeichnet wurde. Nach EIN AUGENBLICK FREIHEIT, einst österreichischer Oscarbeitrag in der Kategorie Bester Fremdsprachiger Film, sieht der Regisseur diesen Film als den zweiten Teil einer thematisch zusammenhängenden „Flucht-Trilogie“.
Als Film greift EIN BISSCHEN BLEIBEN WIR NOCH zeitlose gesellschaftspolitische Themen auf, mit einem, wie es Regisseur Riahi selbst beschreibt, „Zukunft blickenden und poetischen Zugang“. Im September diesen Jahres kommt das Filmdrama nun nach langen Verschiebungen auch in die deutschen Kinos.
Darum geht es..
Oskar und seine Schwester Lilli sind bereits vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter aus Tschetschenien nach Österreich geflüchtet. Mittlerweile sprechen sie fließend deutsch und haben sich in ihrer neuen Heimat zurecht gefunden, als ihrer kleinen Familie die Abschiebung droht. Nach einem Selbstmordversuch der Mutter und ihrer anschließenden Einweisung in eine psychiatrische Klinik werden die beiden Kinder voneinander getrennt und bei unterschiedlichen Pflegefamilien untergebracht. Oskar kommt in die Familie eines Lehrerehepaars, deren Lebensweise ihm zunächst fremd und deren Mitglieder ihm seltsam vorkommen. Lilli hingegen kommt bei einer Pflegemama unter und hat recht schnell mit anderen Problemen zu kämpfen. Doch beide Geschwister sehnen sich nach einem Leben mit ihrer leiblichen Mutter und beginnen heimlich Pläne zu schmieden, zueinander zurückzufinden und ihre Mutter aus der Psychiatrie zu holen …
Rezension
Auch wenn sich der Film mit seiner Altersfreigabe ab sechs Jahren bereits an ein jüngeres Publikum richtet, so ist er kein Kinder- und lockerer Familienfilm im herkömmlichen Sinne. Er beschäftigt sich mit ernsten und folgenschweren Themen, obschon durch die Augen der zwei Hauptcharaktere Oskar und Lilli eine eigensinnige und weniger erdrückende Betrachtungsweise entsteht. Die Jungschauspieler Leopold Pallua und Rosa Zant tragen den Film auf ihren Schultern und überzeugen vor allem in ihren gemeinsamen und eindringlichen Szenen als ein glaubwürdiges und eng zusammenstehendes Geschwisterpaar.
Vom (Un-)Gleichgewicht Der Welten
Ihr Blickwinkel zieht sich beinah durch den gesamten Film, weicht nur selten vor dem der Erwachsenen zurück und kreiert hin und wieder fantasiereiche Lösungen für die verfahrenen Probleme ihres erwachsenen Umfeldes. Einige Elemente wie der Suizidversuch der Mutter zu Beginn und die zwanghafte Trennung der Familie werfen tiefschwarze, freudlose Schatten über die kindliche Welt, die sich jedoch niemals übermannen lässt. Es muss nur einmal darauf geachtet werden, wie viele versteckte Gesichter, lachende Smileys oder ähnliches, sich in bestimmten Aufnahmen, an Wänden und in Gestalt von Mülleimern verbergen. Arash T. Riahi schafft ein beeindruckendes Gleichgewicht zwischen der fantasievollen Zuversicht, Unschuld und Naivität seiner Protagonist*innen und der emotionalen Härte und Ernsthaftigkeit des Stoffes.
Jenes Gleichgewicht entsteht eher seltener, wenn sich der Film den erwachsenen Nebenfiguren annimmt, die durch eher oberflächliche Eigenschaften (zum Beispiel das umweltbewusst lebende Lehrerehepaar) in plumpere Momente driften und im Laufe des Films ein paar merkwürdige und nur schwer nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Ines Miro als Mutter und Bindeglied der Familie hingegen überzeugt in ihren wenigen Szenen, in denen sie gezielt in Stadien der Benommenheit und Hilflosigkeit, zwischen Trauma und ehrlicher Fürsorge wandelt.
In all seinen Aussagen und Themen, die er teilweise visionsartig einstreut oder nur impulshaft an die Zuschauer*innen aussendet, scheint sich der Film in manchen Momenten fast zu übernehmen. So kratzt ein Nebenhandlungsstrang Lillis an der Oberflächliche zu einem Drogendrama, welches es in Anbetracht der dichten Erzählung gar nicht gebraucht hätte. Solche Elemente lassen sich auch in Oskars Familienstrang finden, die im Gesamtkontext nur unzureichend aufgearbeitet werden, obwohl sie ebenfalls Diskussionsstoff bieten.
Wenn sich der Film jedoch auf seine Kernthematiken besinnt und das Geschwisterpaar in ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Identität, Vergangenheit und auch in gewisser Weise ihrer Zukunft zeigt, dann zündet die Erzählung nicht zuletzt durch die Inszenierung. Diese erzeugt von Beginn an eine dichte und dringliche Atmosphäre, ein packender Ton und gelungene Stadt- und Innenaufnahmen unterstreichen den Kinocharakter des Films. Die gesamte Optik ist eher düster, als Motive ziehen sich Gesichter und Spiegelbilder durch die Bildsprache und das Spiel mit Perspektiven und einzelne Momente erzählerischer Schwerelosigkeit geben viel zu entdecken und zu überlegen. Mit dem offenen Ende entfacht die Geschichte das Nachdenken der Zuschauer*innen auch über den Film hinaus, sodass einzelne Gedanken sich im Kopf festsetzen und zu sagen scheinen: „Ein bisschen bleiben wir noch“.
Fazit
EIN BISSCHEN BLEIBEN WIR NOCH wohnt Aktualität und Zeitgeist Inne, getragen von zwei überzeugenden Jungdarsteller*innen und einem Kern an tiefsinnigen Themen. Nicht jeder Handlungsstrang und Nebencharakter ist dabei gleichsam tiefgründig, und die Vielzahl an Elementen wiegt schwer auf der Handlung. Mit seiner packenden und stellenweise schon magisch realistischen Inszenierung und den Denkanstößen sowie Diskussionsgrundlagen ist der Film dennoch relevant und sehenswert.
Schauspieler:in | Rolle |
Rosa Zant | Lilli |
Leopold Pallua | Oskar |
Anna Fenderl | Betty |
Simone Fuith | Rut |
Viktor Krüger | Polizist |
Ines Miro | Mutter |
Alexandra Maria Nutz | Lehrerin |
Christine Ostermayer | Erika |
Karim Rahoma | Concierge |
Sonja Romei | Leherin |
Alice Marie Schneider | Bettys Mutter |
Rainer Wöss | Georg |
Markus Zett | Lehrer |
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