Rezension
FALLENDE BLÄTTER mag Elemente vorheriger Filme seicht abwandeln, bleibt jedoch ein unverwechselbarer Eintrag in Aki Kaurismäkis umfangreiche Filmografie, die über Jahrzehnte hinweg ihre eigene Formel für Charakterisierungen und Milieuskizzen ausgeprägt hat. Die Kulissen und ihre Farben wirken vertraut, der Soundtrack ebenso, selbst die Gesichter, obwohl längst nicht mehr Kaurismäkis Stammcast vor der Kamera steht, scheinen die gleichen zu sein. Es ist ein Mikrokosmos des finnischen Regisseurs wie man ihn kennt: lakonisch, entschleunigt, von einsamen Gestalten besiedelt, fortschrittsarm und weitestgehend abgeschottet. Gegenwärtige Ereignisse zeigen zwar Einfluss, wirklich behandelt werden sie in der tragischkomischen Geschichte allerdings nie.
Diese verlässt sich wie Ambiente und Erzähltempo auf bekannte Motive und Stilmittel, die vorangegangene Filme wie SCHATTEN IM PARADIES oder LICHTER DER VORSTADT zu melancholischen Leben erweckten. Auf wenige Figuren und deren Außenseitergeschichten, eine nüchterne Romanze, Glück und Sehnsüchte als zweischneidiges Schwert und eine Welt durchtränkt von Einsamkeit. So schlendert das neuste, längst vielfach prämierte Werk des finnischen Ausnahmefilmers entschleunigt vor sich hin, ohne die funktionierenden Stilelemente und Figurenkonstellationen gegenüber anderen Filmen weiterzuentwickeln oder die sozialkritischen Untertöne, die sich früher als noch ausgefeilter erwiesen haben, wirksam zu vertiefen.
Harte Kerle singen nicht
Am Rande dringen die Nachrichten vom Krieg in der Ukraine aus dem Radio, doch die Figuren, deren subtil sehnliche und destruktive Facetten der Film auszutasten versucht, haben längst gelernt abzuschalten. Sowohl wortwörtlich als auch im übertragenen Sinne, denn eine Flucht aus ihrem Alltag scheint ebenso wenig möglich wie ein Ausbruch des Films aus seiner altbewährten Formel. Je kürzer Kaurismäkis Filme zurückliegen, umso größer die Spannweite zwischen der Zeit, die man sieht und der Zeit, in der das elegische Stück eigentlich spielt. Das mag für einzelne Inhalte wie die oberflächliche Thematisierung von Ausbeutungsmechanismen, Konsum- und Kapitalismuskritik sowie bestimmte Figurentypen Kaurismäkis längst funktionieren, scheut sich jedoch ebenso vor einigen ehrlichen, komplexen Auseinandersetzungen mit der gegenwärtigen Lebensrealität.
Mäandernd verschwimmen die kühlen und mit trockenen Humor angereicherten Dialoge mit einem gewohnt gut ausgewählten Soundtrack zu einer stimmungsvollen Alltagselegie. Jene mündet in einem Ende, welches vor Jahrzehnten noch ganz anders ausgefallen wäre. Aber wie Kaurismäki selbst zusammenfasste, ist in Zeiten, in denen die Hoffnung schwindet, kein Platz mehr für Pessimismus. Wohl aber für eine Flucht in eine altmodische, atmosphärische Welt mit dezenten Liebesbeweisen, Hunden und Alkohol. Und mit Figuren, die gegenüber realen Ereignissen genauso reaktionsarm bleiben wie der Film selbst, die sich stattdessen eigene, bessere Nachrichten ausmalen, mit Figuren, die Abrisse so vieler Charaktere zuvor verkörpern und Figuren, die kaum Emotionen äußern. Es sei denn sie haben gerade THE DEAD DON’T DIE im Kino gesehen.
Fazit
Alles beim Alten: sowohl die abgeschirmten Lebenswelten, die launischen Figuren und der trockene Humor, als auch die kaum aus der Ruhe zu bringende, ungemein atmosphärische Inszenierungs- und Erzählweise. Wie gewohnt sind es auch in FALLENDE BLÄTTER kleine Variationen, die das aktuelle Werk von anderen Filmen Kaurismäkis unterscheiden, aber nie groß genug sind, um aus der stimmungsvollen Formelhaftigkeit tiefgründige Entwicklungen sowie mehr als die angerissene Konsum- und Gesellschaftskritik zu entwickeln.
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Originaltitel | Kuolleet lehdet |
Kinostart | 14.9.2023 |
Länge: | 81 minuten |
Produktionsland | Finland |
Genre: | Liebesfilm | Komödie | Drama |
Regie | Aki Kaurismäki |
Producer | Misha Jaari | Mark Lwoff | Aki Kaurismäki | Reinhard Brundig |
Kamera | Timo Salminen |
Cast | Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu, Mia Snellman, Mikko Mykkänen, Sherwan Haji, Karar Al-Bazoon, Toni Buckman, Mika Nikander, Evi Salmelin, Aapo Penttilä, Antti Määttänen, Matti Onnismaa, Simon Al-Bazoon, Martti Suosalo, Mitja Tuurala, Sami Muttilainen, Leo Laitinen, Jaakko Ranta |
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