Eine schier endlose Zahl an Dating Apps sollen uns das Suchen und Finden der Liebe in modernen Zeiten, in denen sich das Leben oftmals nur noch online abspielt, erleichtern. Mit Aussicht auf das perfekte Glück mit dem vielfach versprochenen Seelenverwandten schwingt für viele jedoch auch Frust, Verzweiflung und Angst mit, sich in den Netzwerken zu offenbaren und den Gefühlen auszuliefern. Mit ihrem Regiedebüt FRESH greift Mimi Cave solch ein Szenario aus der weiblichen Perspektive auf und inszeniert ein Katz- und Mausspiel, das zwischen leuchtender Rom-Com und Survival-Horrorthriller ordentlich Biss hat und ein Machtgefüge bebildert, das unstillbaren Appetit hat, sein Publikum an der Nase herumzuführen und damit gewaltig zu schocken.
Darum geht es…
Die Frustration ist Noa (Daisy Edgar-Jones) ins Gesicht geschrieben. Ein Date nach dem anderen entpuppt sich als Reinfall. So langsam verliert sie die Hoffnung daran, doch noch jemanden kennenzulernen, der nicht ein ums andere Mal nur den netten Traummann spielt. Gerade erst von einem Date enttäuscht, entschließt sich Noa das Online Dating vorerst sein zu lassen. Dann jedoch begegnet sie im Supermarkt dem charmanten Steve (Sebastian Stan). Der hat zwar einen ebenso lahmen Anmachspruch auf Lager, trotzdem überstrahlt seine spielerische nette Art den Fauxpas und Noa lässt sich dazu hinreißen, ihm ihre Nummer zu geben. Plötzlich von Gefühlen übermannt, kann sie ihre Spontanität selbst kaum fassen. Vorsätze und Vorbehalte über Bord geworfen, verbringt sie eine Nacht mit Steve. Als dieser sie kurz darauf zu einem Überraschungstrip einlädt, ist ihre beste Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) skeptisch und mahnt sie nicht nur einmal zur Vorsicht. Noa allerdings lässt sich nicht beirren. Was soll schon schiefgehen mit dem sympathischen Schönheitschirurgen, der ihr scheinbar ebenso verfallen ist wie sie ihm?
Rezension
Einiges wie sich herausstellen wird. Mimi Cave fällt allerdings nicht mit der Tür ins Haus. Denn zunächst gleicht FRESH erst einmal einer dynamisch bezaubernden Rom-Com. Eine in der Noa, leidgeplagt durch die Männer, für die sie im Restaurant bezahlt und sie danach direkt noch beschimpfen oder ihr nach kurzer unverfänglicher Anmache dann doch gleich ein Dickpick hinterherschicken, schon fast die Hoffnung aufgegeben hat. Viele aktuelle Themen streut die Regisseurin in ihre Exposition, ohne uns Problematiken in Form von Belehrungen unter die Nase zu reiben. Vielmehr ist es das Gefühl, das viele Frauen tagtäglich begleitet. Die ständige Vorsicht, die Zurückhaltung, die Angst, sich anders verhalten zu müssen, um sich selbst zu beschützen, weil man nie weiß auf wen man stößt. Die eng umklammerten Schlüssel in der Hand der jungen Frau auf dem Weg zum Auto sind nur ein kurzes, wenngleich ebenso beklemmendes Zeugnis dessen. Diese Abwehrhaltung gibt sie Noa zunächst auch noch beim Aufeinandertreffen mit Steve mit. Allerdings erliegt nicht nur die junge Frau dem Charme von Sebastian Stan. Wir ebenso.
So fiebert man den beiden die gute erste halbe Stunde wirklich mit. Lässt sich gefangen nehmen von der intimen Kameraarbeit und den leuchtenden Farben, die die beiden unerlässlich umspielen. Dabei nimmt Cave für uns eine beobachtende Haltung ein, zeigt uns unter der Dusche am Morgen danach, was Noa so sehr vermisst hat und sie in den wenigen Stunden, in denen sie Steve kennt, wie ein Schwamm aufgesogen hat. Die zärtlichen Berührungen, das Gefühl von sanfter Zuneigung. All das spiegelt sich in den Bildern wieder, ohne dass es dazu Dialoge braucht. Gleichzeitig läuft im Hintergrund der Szenerie eine fantastische Playlist ab, die einem unweigerlich ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Nicht zuletzt auch wenn nach einem gemeinsamen Dinner, die beiden miteinander flirten und im Wohnzimmer eine kleine Tanzeinlage schieben. Vermutlich hätte an dieser Stelle niemand etwas dagegen, den beiden weiter dabei zuzusehen, wie sie auf ein verdientes Happy End zusteuern würden.
Eine neue Perspektive
Aber weit gefehlt: Nach knapp 30 Minuten reißt einen der Titel aus dem hypnotisch romantischen Sog. Während Noa am Anfang noch das Gespräch ihres missglückten Dates ausblendet und abschweift, stehen der dumpfe Ton und die getrübte Wahrnehmung beim gemeinsamen Abend mit Steve jetzt nicht mehr unter ihrer Entscheidungsgewalt. Ein Ereignis, auf das eine beängstigende Erkenntnis folgt, die in FRESH ab jetzt alles auf den Kopf stellt. Verfolgt man die Szenerie aufmerksam, wird man bemerken, dass die Regisseurin schon Momente zuvor ihr Perspektive in kurzen Sequenzen ändern wird. Vom Beobachter zum Beobachtenden. Ganz plötzlich sieht man das, was Noa sieht.
Folgt ihrem Blick zu den Dingen, die ihr während des Trips ins Auge fallen, was sie interessiert und was für sie später noch überlebenswichtig werden soll. Während die Credits nun aus dem Nichts auftauchen und verschwimmen, etabliert FRESH eine unheilvolle, furchteinflößendere und düstere Atmosphäre. Nichts wird mehr so sein, wie es vorher war. Trotzdem darf man es sich gemütlich machen, den nächsten Gang des Menüs in Empfang nehmen und sich angesichts der ungewöhnlichen und extravaganten Zutaten ordentlich überraschen lassen. Vielleicht ist FRESH am Ende nicht für jeden etwas. Sebastian Stan genüsslich dabei zusehen, wie er nach PAM UND TOMMY erneut seine Kochkünste, aber erstmalig seine psychopathische Seite unter Beweis stellt, und Noa sich danach wahrscheinlich wirklich von sämtlichen Dating-Apps verabschiedet, ist aber dennoch ungemein unterhaltsam und herausfordern unbequem.
Fazit
FRESH ist bizarr und dabei unglaublich clever. Eine brillante Mischung aus PET, HANNIBAL und PROMISING YOUNG WOMAN, die gekonnt zwischen Rom-Com und Survivalhorrorthriller in den verschiedensten Nuancen an den Geschmacksknospen kitzelt. Ein überraschendes Menü ganz ohne Kalorien und ohne schlechtes Gewissen, das unfassbar viel Spaß macht und genau die richtigen Punkte trifft, um einem dennoch den kalten Schauer über den Rücken zu jagen.
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Originaltitel | Fresh |
Streaming – Release | 15.04.2022 |
Länge | ca. 114 Minuten |
Produktionsland | USA |
Genre | Komödie | Horror | Thriller |
Verleih | Walt Disney |
FSK | unbekannt |
Regie | Mimi Cave |
Drehbuch | Lauryn Kahn |
Produzierende | Lauryn Kahn | Maeve Cullinane | Natalie Haack Flores | Adam McKay | Ron McLeod | Ali Mendes | Kevin J. Messick | Valerie Flueger Veras |
Musik | Alex Somers |
Kamera | Pawel Pogorzelski |
Schnitt | Martin Pensa |
Besetzung | Rolle |
Daisy Edgar-Jones | Noa |
Sebastian Stan | Steve |
Jojo T. Gibbs | Mollie |
Andrea Bang | Penny |
Dayo Okeniyi | Paul |
Charlotte Le Bon | Ann |
Brett Dier | Chad |
Alina Maris | Melissa |
William Belleau | Man |
Lachlan Quarmby | Instructor |
Sunghee Lapell | Waitress |
Arghavan Jenati | Cashier |
Anthony F. Ingram | Grocery Man |
Frances Leigh | Mannequin Woman |
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