Die europäische Kultur ist geprägt von den Geschichten unserer Urahnen. Bis heute werden epische Sagen von ruhmreichen Rittern erzählt. Doch während es damals reisende Geschichtenerzähler gab, hat sich über die Jahrhunderte immer wieder das Medium geändert. Die Gebrüder Grimm haben Märchen auf ihren Reisen gesammelt und in Büchern niedergeschrieben. Auch heute werden noch einige dieser alten Werke gelesen, aber sie finden auch ihren Weg in die Filmwelt. Zwei der bekanntesten Vertreter in den letzten Jahren waren THE GREEN KNIGHT von David Lowery aus dem Jahr 2021, in dem ein Teil der Artus-Sage erzählt wird, und THE NORTHMAN von Robert Eggers, der uns in die Welt der Wikinger entführt. Bisher waren Sagen aus dem baskischen Raum kaum zu sehen, das hat sich auch der spanische Regisseur Paul Urkijo Alijo gedacht und den Film IRATI inszeniert. Der Film basiert auf der Graphic Novel El Ciclo de Erati und wurde erstmals 2022 auf dem Sitges Film Festival gezeigt.
Darum geht es…
Es ist das Jahr 778 in den baskischen Pyrenäen. Mittlerweile ist das Christentum zur vorherrschenden Religion geworden und hat den heidnischen Naturglauben fast vollständig verdrängt. Gleichzeitig wird die Region von den Armeen Karls des Großen verwüstet. Der Kampf gegen diese Übermacht scheint aussichtslos, doch König Ximeno (Iñigo Beraetxe) des Ebro-Tals will sich nicht geschlagen geben und greift zu Mitteln, die seinem Glauben eigentlich widerstreben. Nachts besucht er die heidnische Priesterin Luxa (Elena Uritz), die ihm mit ihrer Magie zum Sieg verhelfen soll. Der Sieg hat einen hohen Preis: das Leben des Königs. Dieser hinterlässt seinen Sohn Eneko (Eneko Sagardoy), der nun später Thronfolger werden soll, sobald er das richtige Alter erreicht hat. Solange wird sein Großvater herrschen. Als Eneko 15 Jahre später, nach dem Tod seines Großvaters, die Krone übernehmen will, machen ihm Intriganten sein Geburtsrecht streitig. Mit Hilfe von Luxa und ihrer Adoptivtochter Irati (Edurne Azkarate) setzt Eneko alles daran, die Verräter zu vertreiben.
Rezension:
Mit IRATI ist Paul Urkijo Alijo ein erstaunlicher Film gelungen. Gerade was die gesamte Präsentation des Films betrifft, kann man kaum fassen, wie es dem Regisseur mit einem Budget von 4,3 Millionen Euro gelungen ist. Der Film gehört zwar zu den teuersten baskischen Produktionen aller Zeiten. Im Vergleich dazu hat THE GREEN KNIGHT das Dreifache und THE NORTHMAN sogar mehr als das Zehnfache gekostet. Obwohl man bei IRATI immer wieder merkt, dass es sich nicht um einen hochbudgetierten Hollywood-Blockbuster handelt, versteht es der Regisseur geschickt, seine Mittel einzusetzen. Anstatt stark auf CGI zu setzen, wurden echte Drehorte und natürliches Licht bevorzugt. Dadurch ist die Produktion zwar von den äußeren Bedingungen abhängig, aber wir sehen eine glaubwürdige Welt, die lebendig wirkt. Wir sehen das Leben im Schloss, sattgrüne Weiden, Berglandschaften, dichte magische Wälder – eine Welt voller verschiedener Facetten.
Neben den beeindruckenden Bildern präsentiert uns IRATI eine mythologische Welt, die den meisten wahrscheinlich verschlossen bleibt. Wir sehen seltsame Monster, eine Göttin und Wassergeister, die Männer mit ihrer Schönheit ins Wasser locken. Die visuelle Darstellung dieser Sagengestalten könnte direkt aus einem Albtraum der Gebrüder Grimm stammen. Leider kann der Film jedoch mit seiner Umsetzung nicht vollständig überzeugen. In den Szenen, in denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, versucht man offensichtlich, das begrenzte Budget zu kaschieren. Häufig wird bei Schlägen weggeschnitten, und man sieht nie direkte Treffer. Wenn eine Figur von einer Axt in die Brust getroffen wird, sieht man nur den Rücken der Figur und einen digitalen Blutspritzer. Natürlich ist dies auf die begrenzten Mittel zurückzuführen, dennoch verliert IRATI dadurch einen Teil seiner Wirkung.
Satte Bilder, blasse Figuren.
Auch wenn IRATI in seiner Präsentation sehr überzeugen kann, gibt es doch einige Abzüge, was die Handlung des Films betrifft. Letztendlich verfolgt die Hauptfigur Eneko eine sehr gradlinige Aufgabe, ohne größere Wendungen. Er soll mit seiner Begleiterin IRATI zu einer Höhle reisen, um danach mit seiner Beute zum Schloss zurückzukehren und dadurch sein Anrecht auf die Krone zu erlangen. Dabei gibt es ein paar Widersacher, die den beiden Steine in den Weg legen wollen. Der Film erzählt jedoch nicht viel mehr als das. Es wäre sehr spannend gewesen, mehr über die baskische Mythologie zu erfahren. Immer wieder werden Erzählungen über Mari und die anderen Götter erwähnt, jedoch verkommen sie eher zu einem netten Beiwerk anstatt zu einem zentralen Handlungselement. Auch die beiden Hauptfiguren, Eneko und Irati, bleiben eher blass. Gerade Eneko wird zu einem eindimensionalen Stichwortgeber, mit dem man sich nur schwer identifizieren kann.
Trotzdem erzählt der Film auf der Metaebene eine interessante Geschichte über die Ausbeutung der Natur. Im Wald bluten die Bäume, wenn sie von den Menschen für neue, größere Bauwerke verwendet werden. So wird IRATI zu einem Film, der den Überfluss der Menschen kritisiert. Auf der anderen Seite nimmt der Film den missionarischen Ansatz der Religionen ins Visier. Das Christentum verdrängt die ursprünglichen Naturreligionen immer mehr. Stattdessen versammelt man sich unter dem Dach der katholischen Kirche und muss immer mehr neue Gotteshäuser errichten, um sich den Weg ins Paradies zu sichern. Alle Andersdenkenden werden dabei an den Pranger gestellt und/oder getötet.
Fazit:
Gerade wenn man sich die geringen Mittel von IRATI vor Augen führt, ist es beeindruckend, was dem Regisseur hier gelungen ist. Es handelt sich zwar keineswegs um einen perfekten Film, das zeigt sich insbesondere in einigen erzählerischen Schwächen. Dennoch sollte man diesem kleinen Film eine Chance geben. Der Film entführt uns in eine unbekannte Welt, die allerdings gar nicht so weit von uns entfernt ist, und bietet uns einen spannenden Einblick in die europäische Geschichte. Das Ganze wird dabei in eine Abenteuerhandlung eingebettet, sodass der Film größtenteils spannend ist. Es wäre zwar schön gewesen, noch mehr über die baskische Sagenwelt zu erfahren, doch dieser erste Blick durch den Türspalt öffnet eine neue Welt, die es nun zu erkunden gilt.
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Originaltitel | Irati |
Kinostart | 24.2.2023 |
Länge: | 112 minuten |
Produktionsland | France |
Genre: | Drama | Abenteuer | Fantasy |
Regie | Paul Urkijo Alijo |
Executive Producer | Jone Miren Goenaga |
Producer | Juanjo Landa | Iñaki Burutxaga | Paul Urkijo Alijo | Jokin Etcheverria |
Kamera | Gorka Gómez Andreu |
Visual Effects | Mariano García Ojeda | David Heras | Laura Gómez Beltrán | Iñaki «Ketxu» Gil | Luis Tinoco | Ignacio Lacosta | Jon Serrano Serván |
Musik | Aránzazu Calleja | Maite Arrotajauregi |
Cast | Eneko Sagardoy, Edurne Azkarate, Itziar Ituño, Ramon Agirre, Patxi Bisquert, Karlos Arguiñano, Elena Uriz, Kepa Errasti, Nagore Aranburu, Iñigo Aranbarri, Iñaki Beraetxe, Josu Eguskiza, Unax Hayden, Miren Tirapu, Aitor Echarte, Gaizka Chamizo, Jean-Michel Bereau, Leire Indurain, Asier Hernández, Asier Alustiza |
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