Das Streben nach ewiger Jugend ist schon immer ein Thema, dass die Menschheit begleitet. Ein kurzer Blick in das heimische TV-Gerät oder auf das Smartphone in der Hand reicht aus um zu sehen, dass das Anpreisen von Schönheit und jugendlichem Aussehen allgegenwärtig ist. Wir werden überflutet von manipulativen Schönheitsidealen auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Tik-Tok, aufdringlichen Werbungspots für Anti-Aging Cremes, um dem Alterungsprozess entgegenzuwirken und Stars und Sternchen, die durch regelmäßige Botox-Behandlungen und Schönheits-Op’s keinen Tag zu altern scheinen. Doch das Verlangen, seine Jugend auch noch bis ins hohe Alter zu erhalten, ist kein neuzeitliches Phänomen, sondern zieht sich schon durch die gesamte Menschheitsgeschichte. So gibt es Überlieferungen aus dem 16. Jahrhundert über die ungarische Gräfin Elisabeth Báthory, die im Blut junger Frauen gebadet haben soll, nachdem sie diese ermordete – kein Preis scheint zu hoch für die ewige Schönheit.
Wieso Menschen damals schon dazu bereit waren, alle moralischen Werte über Bord zu werfen, wenn es um die eigene Jugend geht? Die Antwort ist simpel: Angst – die Angst vor dem Älterwerden. Also die perfekte Ausgangslage für einen Horrorfilm! Das dachte sich auch der spanische Regisseur Paco Plaza, der sich gemeinsam mit seinem Regie-Kollegen Jaume Balagueró mit den verstörenden [REC]-Filmen einen Namen machte und später auch als Solo-Regisseur mit VERONICA einen Horror-Erfolg erzielen konnte. Mit seinem jüngsten Werk LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH zeigt der Grusel-Experte aus Spanien trotz spanender Ausgangslage nun leider erste Ermüdungserscheinungen, auch wenn der ruhige Horrorfilm definitiv seine Stärken hat.
Darum geht es…
Susanne (Almudena Amor) steht in der Blüte ihres Lebens. Auch wenn Sie mir ihren vierundzwanzig Jahren zu den älteren Models in der Branche gehört, führt sie ein glamouröses Leben als aufstrebendes Werbegesicht in der Modewelt von Paris. Die einzige Verbindung zu ihrem früheren Leben in ihrer Heimatstadt Madrid ist ihre Großmutter Pilar (Vera Valdez) mit der sie regelmäßigen Kontakt per Telefon pflegt. Ihre Eltern hat Susanne vor vielen Jahren bei einem Autounfall verloren, seither ist Pilar eine wichtige Bezugsperson für sie. Als diese eines Nachts eine Gehirnblutung erleidet, lässt Susanne alles stehen und liegen, um sich um ihre Großmutter zu kümmern – zumindest solange, bis sie eine passende Pflegekraft gefunden hat, die sich um die hilflose alte Dame kümmert. Pilar ist an den Rollstuhl gefesselt, kann sich weder bewegen noch sprechen und benötigt rund um die Uhr Betreuung. Doch die körperliche und seelische Belastung, die die Pflege eines Angehörigen mit sich bringt, soll nicht alles sein, was Susanne zu schaffen macht. Seit sie bei ihrer Großmutter eingezogen ist, plagen sie schreckliche Albträume und Visionen. Es scheint, als habe es eine unsichtbare Kraft auf sie abgesehen!
Rezension
„Moral ist die letzte Zuflucht derer, die die Schönheit nicht begreifen.“ Das Zitat des irischen Schriftstellers Oscar Wilde lässt sich wunderbar auf LA ABUELA übertragen. Was ist, wenn die eigene Schönheit alles ist, nach dem wir streben? Bleibt überhaupt noch Platz für Moral, wenn es darum geht, die eigene Jugend wiederzuerlangen? Und wie weit ist der Mensch bereit dafür zu gehen? Der spanische Horrorfilm bedient sich dieser interessanten, im Horror-Genre aber nicht unbekannten Fragen und inszeniert sie als ruhigen, reduzierten Gruselfilm der seinen Fokus weniger auf Schockeffekte als auf das menschliche Drama legt. Dabei gelingt es Paco Plaza aber lange Zeit nicht, eine ausreichend dichte Atmosphäre zu erzeugen, um das Publikum wirklich in den Bann ziehen zu können. Für einen Slow-Burner dieser Art ist es essenziell über subtile Hinweise und atmosphärische Bilder eine gewisse Spannung zu erzeugen, die sich gemächlich ausbreitet um im Schlussakt nochmal deutlich angezogen zu werden. Die solide Kamera und der angepasste Score reichen leider nicht aus, um den vorhersehbaren Plot vollständig zu tragen. So ist LA ABUELA lange Zeit sehr zäh und träge erzählt, ohne dabei ein Gefühl von greifbarem Horror zu erzeugen.
Was es LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH an Atmosphäre und Spannung fehlt, macht er mit Bildsprache, Symbolik und inhaltlicher Tiefe wieder wett. Susanna ist jung, hübsch und begehrt. Doch all das war ihre Großmutter vor vielen Jahr auch, bevor die Zeit ihren Tribut verlangte und sie in die gebrechliche alte Dame verwandelte, die sie heute ist. Die Fotos an den Wänden erinnern an alte Tage, als sie selbst eine schöne, makellose Frau war. Eine Zeit vor den Gebrechen des Alters, vor der schrumpeligen Haut überall an ihrem Körper und vor den von tiefen Falten gerahmten Augen, deren Feuer längst erloschen scheint. Ihr körperlicher Zerfall spiegelt sich auch in ihrer Wohnung wieder. Die Pflanzen sind verdorrt, die Einrichtung verlebt und der Spiegel im Badezimmer übermalt, aus Angst davor, der Realität in die Augen schauen zu müssen. LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH erzählt viel über seine Bilder, ohne sich in unnötige Erklärungen zu verstricken.
Der Horror des Älterwerdens
Auch wenn LA ABUALA – SIE WARTET AUF DICH als übernatürlicher Horrorfilm kaum nennenswerte Akzente setzten kann, ist es der reale Horror, der für Gänsehaut sorgt. Die wahre Schreckensquelle des Films ist nämlich das Alter selbst und der damit verbundene Verlust von Selbstbestimmung und geistiger Klarheit – und nicht etwa der Verlust der Schönheit! Wenn das schallende Gelächter von Susannes Großmutter beim gemeinsamen Fernsehabend auch dann noch anhält, als ihre Enkelin das TV-Gerät ausstellt und sich fast schon in hysterisches Kreischen verwandelt, während ihre leeren Augen durch den schwarzen Bildschirm hindurch ins Nichts starrt, ist das ein schreckliches Bild, das an die Nieren geht. Von diesen starken Szenen gibt es leider viel zu wenige in Paco Plaza’s Werk, sodass man sich als Zuschauer*in wünscht man hätte den Fokus mehr auf das eigentliche Drama – den geistigen Zerfall – und nicht auf den übersinnlichen Part gelegt.
Während Filme mit ähnlichem thematischen Hintergrund, die aus Spoiler-Gründen nicht genannt werden, ihre Motive lange Zeit verborgen halten, offenbart LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH schon mit der ersten Szene, wo die Reise hingehen wird. Im Anbetracht der eher generischen Abhandlung bekannter Horror-Klischees hätte LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH eine weitere Ebene wie das Miträtseln bei einem Mysterium gutgetan. So bleibt neben der erwähnten Bildsprache und dem spannenden Motiv nur noch der Cast, der Akzente setzen kann. Während sich die bereits 85-jährige Vera Valdez als Großmutter Pilar vor allem durch ihre fragile physische Präsenz als Idealbesetzung der gebrechlichen, durchaus beängstigenden Frau herausstellt, ist es die Hauptdarstellerin Almudena Amor, die der Figur Susanne durch eine glaubhafte Performance genügend Leben einhaucht, um mit dem jungen Model mitfühlen zu können.
Fazit
Die Unsterblichkeit hat ihren Preis – und sie kennt keine Moral! LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH funktioniert immer dann am besten, wenn Regisseur Paco Plaza den echten Horror des Älterwerdens in den Fokus rückt und eine bedrückende Geschichte über eine Enkelin erzählt, die dem körperlichen und geistigen Druck ausgesetzt wird, die die Pflege eines geliebten Angehörigen mit sich bringt. Als übernatürlicher Horrorfilm kann der spanische Gruselfilm hingegen wenig überzeugen. Dafür wird der lineare Plot viel zu spannungs- und überraschungsarm abgehandelt. Die generische Inszenierung bekannter Horror-Klischees trübt die eigentlichen Stärken und macht LA ABUELA – SIE WARTET AUF DICH zu einem durchschnittlichen Genrefilm, der sein volles Potenzial leider nie ganz ausspielen kann.
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Originaltitel | La abuela |
DVD/Blu-ray – Release | 17.03.2022 |
Länge | ca. 100 Minuten |
Produktionsland | Spanien | Frankreich | Belgien |
Genre | Horror |
Verleih | Koch Films |
FSK |
Regie | Paco Plaza |
Drehbuch | Carlos Vermut |
Produzierende | Alejandro Arenas | Sandra Condito | Enrique López Lavigne | Sylvie Pialat | Pilar Robia |
Musik | Fatima Al Qadiri |
Kamera | Daniel Fernández Abelló |
Schnitt | David Gallart |
Besetzung | Rolle |
Almudena Amor | Susana |
Vera Valdez | Pilar |
Karina Kolokolchykova | Eva |
Marina Gutiérrez | Adela |
Berta Sánchez | Susana niña |
Alba Bonnin | Eva niña |
Gabriela Calonfirescu | Julia |
Ileana Wilson | Doctora Romero |
Chacha Huang | Camarera |
Lle Godoy | Persona Agencia |
Pia Hessel | Persona Agencia |
Marta Crespo | Enfermera |
Esther Vaquero | Presentadora Informativo |
José Gimeno | Conductor Coche Accidente |
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