Bhutan, Snowman-Trek, Lunana-Region an den Hängen des Himalaya. Für Trekking-Enthusiasten ein Tourenfavourit, für Wandermuffel ein Albtraum mit Panoramaaussicht. Reiseprogramme werben mit seltener Flora und jahrtausendealten Gletschern, zwischendrin ein paar vereinzelte abgelegene Dörfer. In etwa 4000 Meter Höhe liegt das Dörfchen Lhedi, bestehend aus wenigen Häusern, einer kleinen Krankenstation und einer Schule. Um das Dorf zu erreichen, braucht es einen mehrtägigen Wandermarsch mit Lasttieren, unruhigen Reisebedingungen und Zwischenstopps in Zelten. In einem großbebilderten Regiedebüt stemmen Pawo Choyning Dorji und sein Team, nur mit Solartechnik ausgestattet, den rund einwöchigen Aufstieg, um Einblicke in eine ungewöhnliche Region festzuhalten, welche das Kino hierzulande nur äußerst selten zu Gesicht bekommt.
Jüngst auf der Shortlist für eine mögliche Oscar®-Nominierung als Bester Internationaler Film gelandet, konnte LUNANA – DAS GLÜCK LIEGT IM HIMALAYA bereits in Innsbruck und auf der Filmkunstmesse in Leipzig, auf der er zum Publikumsliebling gewählt wurde, begeistern. Das größtenteils mit Laiendarsteller*innen, die sich im Dörfchen Lhedi selbst spielen, gedrehte, stellenweise dokumentarisch anmutende Abenteuerdrama erzählt eine unaufgeregte Geschichte vor fabelhaften Landschaftsaufnahmen und einer charmanten Auseinandersetzung mit dem Glücksbegriff.
Darum geht es…
In Thimphu, der Hauptstadt Bhutans, lebt Ugyen. Der junge Mann, der am Ende seiner Ausbildung als Lehrer steht, träumt von seiner Zukunft in Australien und einer Karriere als Musiker. Plötzlich soll er jedoch den Rest seiner Ausbildung im Dörfchen Lhedi verbringen, wo auf 4.000 Metern Höhe die wohl abgelegenste Schule der Welt nach einem Lehrer sucht. Widerwillig verschiebt Ugyen sein Fernweh und macht sich auf die schwierige Reise in das abgeschiedene Dorf. Die Dorfbewohner begrüßen ihn nach einem achttägigen Treck mit Freude und Respekt und bringen ihm nach und nach ihre Lebensweise näher …
Rezension
Bevor Ugyen zum ersten Mal das kleine Klassenzimmer in Lhedi betritt, dem in der englischsprachigen Titelübersetzung A YAK IN THE CLASSROOM eine ganz besondere Bedeutung zukommt, widmet sich das erste Drittel des Films der Exposition seines Hauptcharakters und dessen beschwerlichen Aufstieg. Letzterem deutlich ausführlicher als der eigentlichen Ausgangslage des jungen Mannes, die in der Interaktion mit einzelnen Nebenfiguren eher oberflächlich und vor allem handlungsgetrieben abgearbeitet wird. Nach rund zehn Minuten steht die Hauptfigur, ihr Ziel, der innere Konflikt und auch die Richtung, in die sich die Geschichte entwickeln wird: natürlich wird die anfängliche Ablehnung und reservierte Haltung Ugyens eine Wandlung durchlaufen, sich gegenüber seiner neuen Umwelt und der Dorfbewohner*innen Lhedis öffnen.
Viel interessanter ist die Frage, wie diese Entwicklung vonstatten geht und was sie mit dem Protagonisten macht. So illustriert der zwanzigminütige Aufstieg zwar eindrucksvoll die Beschwerlichkeiten der Reise, bietet aber gleich zu Beginn wenig Fortschritt, nur viel Unbeholfenheit eines formelhaften Städters. Ein wenig vor sich hin schleppende Filmminuten, die dem Dorfporträt und einigen weiteren Charakteren im weiteren Verlauf wertvolle Zeit kosten.
Kein Weg zurück
Ist Lhedi jedoch einmal erreicht, beginnt sich der Film förmlich zu entfalten, schüttelt die meisten ungelenken Stereotypen von sich ab und zeigt seinen ganz eigenen, nahbaren und liebenswürdigen Charme. LUNANA – DAS GLÜCK LIEGT IM HIMALAYA versteift sich nicht auf einen platten Culture-Clash, sondern lässt beide Seiten mit Respekt, Neugier und im Verlauf des Films auch großer Lernbereitschaft gegenübertreten. Aus der Beobachter- und Fremdenperspektive des Protagonisten lernt das Publikum den Alltag und einzelne Bewohner*innen des abgelegenen Dorfes kennen, ihre Traditionen und Gepflogenheit verstehen und ihren Spirit fühlen. Dorji zeigt ein behutsames Porträt einer weit entfernten Lebensweise mit vielen musikalischen Einflüssen und vor wortwörtlich überragender Kulisse.
Die prophezeite Wandlung des Protagonisten geschieht leise und natürlich, wie viele der Situationen, die vor allem durch die Lebensenergie und Sympathie ihrer Figuren funktionieren. Das Glück, wie es seinen Weg in den deutschen Titel gefunden hat und mit dem Bruttonationalglück (= Erfassung des Lebensstandards etwa durch ökologische Nachhaltigkeit und Förderung des Kulturlebens) eine außergewöhnliche Stellung im Königreich Bhutan einnimmt, scheint in LUNANA greifbar und gleichzeitig ambivalent persönlich. Dass der Film nicht auf einer ausschließlich von Glück erfüllten Note endet, ist in seiner tonal wie erzählerisch recht vorhersehbaren Geschichte, in der etwa die schwierigen Seiten des Dorflebens bei Krankheit und kaltem Wetter nur kurz angedeutet werden, durchaus angenehm.
Fazit
LUNANA – DAS GLÜCK LIEGT IM HIMALAYA ist ein seltener Kinoeinblick ins südasiatische Bhutan, genauer gesagt ins von Bergen umringte Dörfchen Ledhi. Ein leises, unaufgeregtes Abenteuer- und Familiendrama, welches nach einem ungeschliffenen und stellenweise zäh erzählten Beginn die einfühlsame und gutherzige Geschichte eines Lehrers wider Willen erzählt. Der Film ist wunderschön gefilmt, von traditioneller Musik durchzogen, nicht immer tiefgründig in seiner Charakterzeichnung, in seiner Lebhaftigkeit jedoch deutlich spürbar. Ernstzunehmende Wetterveränderungen und schwierige Lebensumstände sind in der häufig von Glück beseelten Lockerheit und Bildgewalt nur Randerscheinung, was der Geschichte Authentizität kostet. Diese fordert der Film mit der Spielfreude seiner Laiendarsteller*innen und einer Handvoll herzerwärmender Momente zurück.
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Originaltitel | Lunana: A Yak in the Classroom |
Kinostart | 13.01.2022 |
Länge | ca. 110 Minuten |
Produktionsland | Buthan | China |
Genre | Drama | Familie |
Verleih | Kairos Filmverleih |
FSK | unbekannt |
Regie | Pawo Choyning Dorji |
Drehbuch | Pawo Choyning Dorji |
Produzierende | Pawo Choyning Dorji | Tshering Dorji | Jia Honglin | Stephanie Lai | Yijing Li | Shaokun Xiang |
Kamera | Jigme Tenzing |
Schnitt | Hsiao-Yun Ku |
Besetzung | Rolle |
Sherab Dorji | Ugyen Dorji |
Ugyen Norbu Lhendup | Michen |
Kelden Lhamo Gurung | Saldon |
Pem Zam | Pem Zam |
Sangay Lham | Kencho |
Chimi Dem | Pema |
Oriana Chen | Extra |
Tashi Dema | Lhamo |
Dophu | Phurba |
Tshering Dorji | Singye |
Art Finch | Bartender in Sydney |
Dorji Om | Education Secretary |
Tandin Sonam | Tashi |
Sonam Tashi | Tandin |
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