Menschliche Schicksale eingebettet in der Tragik der Realität, der starren (selbst gewählten) Monotonie des Seins und des mystischen Horrors der Psyche. Mit Ulrich Seidl und Veronica Franz (ICH SEH ICH SEH) stecken zwei bekannten Namen im Produktionsteam, die durchaus andeuten, was sich hinter dem mittlerweile fünften Film von Regisseur Peter Brunner verbergen könnte. Denn der Blick für das Außergewöhnliche fernab von starren Strukturen, einzigartige Charaktere und inszenatorische Finesse, die Genres ineinanderfließen lässt, finden sich in unterschiedlichen Ausprägungen in den Werken aller drei Filmschaffenden aus Österreich wieder. Das harte Familiendrama LUZIFER von Brunner, das mit Obsession und Exorzismus auf einer abgelegenen Alm im Zillertal am nervenaufreibenden Horror entlang schrammt, wurde 2021 auf dem Filmfest Locarno uraufgeführt und gewann dort den Preis für die beste Regie. Peter Brunner, Regielehrling von Michael Haneke, inszeniert hier eine Geschichte voller Symboliken, Fanatismus und imposanten Naturbildern, die sich jedoch derart darin verliert, dass bei LUZIFER der Teufel wahrhaftig im Detail steckt.
Darum geht es
Im selbst gewählten Exil lebt Maria (Susanne Jensen) mit ihrem kognitiv beeinträchtigten Sohn Johannes (Franz Rogowski). In einer kleinen Hütte umgeben die beiden Tag für Tag die hohen Berge und die Einsamkeit. Für Maria, die nach ihrer Alkoholsucht ihre Rettung im Glauben fand, sind Rituale und Gebete dabei fester Bestandteil des täglichen, minimalistischen Lebens, in denen auch ihr Sohn Johannes eine große Rolle spielt und von ihr indoktriniert wird. Die Existenz wird jedoch zunehmend bedroht, denn die ersten Bäume des angrenzenden Waldes werden für eine neu vorgesehene Skistrecke gerodet und Maria von Männern dazu gedrängt, das Stück Land zum Verkauf freizugeben. Johannes, dessen kindlicher Geist im Körper eines Erwachsenen steckt, kann die Situation für sie beide nur schwer deuten. Zwischen religiösem Fanatismus seiner Mutter und dem unheimlichen Fremden wird Johannes zum Spielball des Teufels und ungeahnt selbst zur drohenden Gefahr für Maria.
Rezension
Kreischende, bedrohliche Klänge scheinen aus den Tiefen des Gesteins zu entweichen, bäumen sich auf, während die Kamera die zart rosa gefärbten wolkenverhangenen Bergspitzen einfängt, sich dann durch Wurzelgeflecht windet und schließlich unter einer schwermütigen, drückenden Melodie Maria zeigt, die in ihren Gebeten nach Seelenfrieden fleht. Glücklich möchte sie sein. Der einzige Wunsch, den sie formuliert, während sie sich Metallspitzen in den Rücken bohren. Eine alarmierende, fast erdrückende Szene, mit der LUZIFER beinah auch mystisch beginnt und Erinnerungen an Folklore- Horrorfilme wie HAGAZUSSA oder THE WITCH wachrufen. Ganz so atmosphärisch dicht wird LUZIFER jedoch bei Weitem nicht.
Szenen werden vielfach lediglich aneinandergereiht, während Maria aus dem Off immer wieder nach dem Teufel fragt. Die Bebilderung dieser steten Frage, die über allem, was sie oder ihr Sohn tun schwebt, lässt eine alternative Deutung kaum mehr zu. Und dabei wird nichts verschont. Da ist es die Bedrohung, die Versuchung von außen, die moderne Technik in Form von Drohnen, die in das Leben von Mutter und Sohn eindringen, die Unbekannten, die den Wald abholzen, die Höhle im Gestein und auch Johannes Körper. Egal was es ist, immer und überall ist er da, der, der Böses bringt, Böses tut. Für Johannes, der die Welt kaum versteht und nicht viel mehr als einzelne Worte spricht, problematisch, wenn starre Rituale und Waschungen zur Teufelsaustreibung ein Weltverständnis formen, wo Komplexität der Einfachheit von religiösem Fanatismus weicht.
Von der Spitze geht es nur noch Berg ab
Franz Rogowski, der zuletzt in GROẞE FREIHEIT und IN DEN GÄNGEN brillierte, kann in Brunners Film hingegen nicht überzeugen. Als Gegenstück zu Susanne Jensen, die als Laiendarstellerin ihre eigene Vergangenheitsbewältigung auf die Leinwand bannt und fortlaufend starke Augenblicke für ihren Charakter heraufbeschwört, wirkt Rogowski fast verloren. Das liegt nicht nur an der Figurenausarbeitung, sondern auch daran, wie der Regisseur seine Darsteller in intimen Momenten miteinander agieren lässt. Dabei ist die Mutter Sohn Beziehung noch nachvollziehbar und über weite Strecken, jedoch vor allem im letzten Drittel, mehr als tragisch. Die Liebeserfahrung mit der einheimischen Tierärztin erscheint vergleichsweise überflüssig und spürbar erzwungen. Peter Brunner spinnt für seine Figuren ein visuelles Netz aus Ängsten, Vorahnungen und mystischem Unbekannten, das dabei viel zu oft durch Bergpanoramen und Adlerflüge unterbrochen wird, um je die volle Schwere der Tragik, den Schmerz des Verlustes und der Entbehrungen oder die erdrückende Angst, die in Maria schwelt, tatsächlich auszuspielen.
Wo ausladende Kameraschwenks oder Drohnenaufnahmen eine spürbar unbequeme Unruhe heraufbeschwören, die auch die Hauptfiguren zu ergreifen scheint, wirkt die wackelige Handkamera, die Johannes mehrfach begleitet und Spannung sowie Unbehagen erzeugen möchte, lediglich wie eine inszenatorische Spielerei, die die Inkonsequenz des gesamten Films in sich aufnimmt. LUZIFER drängt sich selbst innerhalb der überschaubaren Laufzeit immer weiter in die Ecke, um am Ende von der Hölle verschlungen zu werden.
Fazit
Charakterlich zu eindimensional und oberflächlich, merklich überambitioniert, ertränkt in symbolträchtigen Bildern, dennoch inszenatorisch inkonsequent, überfrachtet und oft spürbar spannungsarm. Bei all dem ist LUZIFER dann auch noch einfach zu deuten und durchweg durchschaubar. Ein nahezu quälend langes Drama, das sich an der Symbolik verhebt und kaum mehr als ein paar beeindruckende Landschaftsaufnahmen zu bieten hat.
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Originaltitel | Luzifer |
Kinostart | 28.04.2022 |
Länge | ca. 103 Minuten |
Produktionsland | Österreich |
Genre | Drama | Horror |
Verleih | Drop-Out Cinema |
FSK |
Regie | Peter Brunner |
Drehbuch | Peter Brunner |
Produzierende | Georg Aschauer | Ulrich Seidl |
Musik | Tim Hecker |
Kamera | Peter Flinckenberg |
Besetzung | Rolle |
Susanne Jensen | Maria |
Franz Rogowski | Johannes |
Theo Blaickner | Einsiedler |
Monika Hinterhuber | Tierärztin |
Erwin Geisler | Landvermesser |
Clemens Göbl | Landvermesser |
Markus Eibl | Einsiedler |
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