„Bei Pixar entsteht alles unter einem Dach in Emeryville“, erzählt Produzentin Mary Alice Drumm im exklusiven Interview über die Produktionsweise von Disneys Animationsschmiede und warum sie Geschichtenerzählen als etwas zutiefst Menschliches erachtet.

Pixar gilt als einer der führenden Player im internationalen Animationsmarkt. Mit ELIO bringt das Studio nun eine Science-Fiction-Komödie in die Kinos, die von einem elfjährigen Jungen handelt, der sich plötzlich als Botschafter der Erde wiederfindet. Produziert wurde ELIO unter anderem von Mary Alice Drumm, die seit über zwei Jahrzehnten in der Animationsbranche tätig ist und bei Pixar zuletzt als Associate Producer bei COCO und ARLO & SPOT Verantwortung trug. Unser Chefredakteur Michel Rieck traf Mary Alice Drumm im Rahmen eines exklusiven Screenings in München und sprach mit ihr über die Entstehung des Films, die Zusammenarbeit der verschiedenen Kreativteams und ob man bei Pixar bereits künstliche Intelligenz bei den Animationsfilmen verwendet.

–  Übersetzt und zusammengetragen von Toni Schindele  –

Michel Rieck: Es gab einen Regiewechsel bei ELIO. Wie wirkt sich das auf den Film aus?

Mary Alice Drumm: Ich hatte das Privileg, mit Adrian Molina an COCO zu arbeiten, und ich liebe ihn. Er und Lee Unkrich haben COCO erschaffen, also wollte er da weitermachen, als COCO 2 bei Pixar begann. Aber er hat eine großartige Beziehung zu Madeline Sharafian und Domee Shi, deshalb hat es Sinn gemacht, dass sie den Film zu Ende bringen. Alle Regisseur*innen haben den Film beeinflusst. Maddie brachte zum Beispiel die Idee ein: Was wäre, wenn Elio wirklich ins All wollte? Deshalb spürt man im Film ein bisschen von allen dreien.

Michel Rieck: Pixars Chief Creative Officer Pete Docter sagte, dass Einsamkeit eine wichtige Rolle in ELIO spiele. Könnte man sagen, die Aliens stehen für diese Einsamkeit?

Mary Alice Drumm: Vielleicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, aber Einsamkeit ist, wie die Angst in ALLES STEHT KOPF 2, ein Gefühl, das wir alle kennen. Das Gefühl des Nicht-Dazugehörens, das Elio empfindet, betrifft auch einige der Aliens. Bei Lord Grigon etwa sieht man, dass er sich ebenfalls nach Zugehörigkeit sehnt. Also hoffentlich ist es ein Thema, mit dem sich jeder identifizieren kann.

Das vollständige Interview steht auch als Video bereit:

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Michel Rieck: Was macht Elio zu einem besonderen Pixar-Charakter?

Mary Alice Drumm: Elio ist sehr neugierig und interessiert sich für Aliens und den Weltraum. Er ist unglaublich kreativ. Seine Bereitschaft, sich hineinzustürzen und alles wahr werden zu lassen, ist faszinierend – er ist mutiger, als er selbst glaubt. Das macht ihn für mich zu einem sehr inspirierenden Pixar-Charakter.

Michel Rieck: Ihr habt Glordon erschaffen, eine Figur ohne Augen. Warum war das eine besondere Herausforderung?

Elio

© The Walt Disney Company

Mary Alice Drumm: Wenn wir sprechen, nutzen wir auch unsere Augen, um uns auszudrücken. Bei Pixar-Charakteren wie Elio erzählen schon Augenbewegungen viel. Ohne Augen ist das eine Herausforderung. Trotzdem ist Glordon sehr ausdrucksstark. Man spürt seine Emotionen auch ohne Augen. Das war eine tolle Gelegenheit für uns.

Michel Rieck: Gab es neue Animationstechniken, die ihr für ELIO genutzt habt?

Mary Alice Drumm: Ja, bei ELIO haben wir neue Technologien genutzt, vor allem im Hintergrund. Lichtsetzung und Layout waren viel früher sichtbar, was der Animation geholfen hat. So konnte das Team enger zusammenarbeiten. Die Figur OOOOO war technisch spannend: Eigentlich könnte man meinen, sie bestünde aus Wasser wie Wade aus ELEMENTAL. Aber das Team hat eine organische Lösung gefunden. OOOOO besteht aus Blobs, die die Animator*innen beliebig formen können.

Michel Rieck: Spielt Künstliche Intelligenz schon eine Rolle in der Produktion bei Pixar?

Mary Alice Drumm: Bei Pixar entsteht alles unter einem Dach in Emeryville. Jeder Teil des Films wird von Künstler*innen und Techniker*innen liebevoll bearbeitet. Deshalb spürt man in jedem Bild von ELIO die Liebe zum Detail. Das ist alles Handarbeit von Menschen. Jemand scherzte neulich, wir hätten uns erhofft, dass Technologie oder KI nur unser Haus putzen, nicht unsere Geschichten erzählen. Für mich ist Geschichtenerzählen menschlich und ELIO ist ein Film von Menschen aus Emeryville.

Michel Rieck: Viele Programme ermöglichen heute das Erstellen von Disney-ähnlichen Bildern. Beunruhigt Dich diese Entwicklung?

Elio

© 2024 Disney/Pixar. All Rights Reserved.

Mary Alice Drumm: Mich erinnert das daran, als im Supermarkt billige Versionen von Filmen auftauchten. Aber diese Geschichten waren meist nicht so tief, nicht so persönlich und die Details fehlten. Für mich ist es das beste Kinoerlebnis, wenn mich eine Geschichte überrascht und emotional berührt. Das suche ich in Kunst und Film, und ich glaube, das gelingt uns sehr gut.

Michel Rieck: Wie merkt ihr, ob eine Szene funktioniert?

Mary Alice Drumm: Ein Freund von mir, Roger Guillotte, der Visual-Effects-Supervisor ist und an vielen STAR WARS-Filmen gearbeitet hat, sagte einmal – du änderst einen Schnitt, einen Ton oder die Musik und plötzlich funktioniert es. Aber es ist nicht nur eine Sache, sondern eine Mischung verschiedener Elemente. Bei Pixar fragen wir uns immer: Spüren wir das? Funktioniert die Szene? Am Ende geht es um ein Gefühl – und um das Teilen mit dem Publikum, das uns mit seiner Reaktion bestätigt. Das ist unser bester Maßstab.

 

Michel Rieck: Wie war dein Eindruck nach der Vorführung des ersten Filmmaterials heute?

Mary Alice Drumm: Es ist toll, das Material mit einem Publikum zu erleben. Ich achte immer darauf, wann das erste Lachen kommt. Du bist hyperaufmerksam auf alle Reaktionen. Und heute schien es, als ob die Leute wirklich in das Material eingetaucht sind. Also war es wirklich befriedigend.

Michel Rieck: Rob Simonson ist für die Musik verantwortlich. Was erwartet das Publikum musikalisch in ELIO?

Elio

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Mary Alice Drumm: Rob Simonson ist ein Genie. Wir sind so froh, ihn dabei zu haben. Er ist ein großartiger Partner. Der letzte Einsatz im Film war so emotional, dass wir alle geweint haben. Rob bringt viele Ideen ein – Er ist sowohl großartig mit Synthesizern als auch mit Orchester. Für ELIO nutzte er sogar Boomwhackers für spezielle Sounds. Außerdem hat er Lautsprecher von Teenage Engineering verwendet, die in Holzpuppen eingebaut sind und programmiert werden können. Sie bilden einen Cuminiverse-Chor für einen besonderen Sound, wenn Elio ankommt. Das sind nur einige der Dinge, die Rob beigetragen hat.

Michel Rieck: Die zentrale Frage im Film lautet: „Was, wenn wir nicht allein sind?“ Wie würdest du das beantworten?

Mary Alice Drumm: Wir hatten die Gelegenheit, mit Jill Tarter von der SETI-Organisation zusammenzuarbeiten. Und eine Sache, die sie uns erzählt hat, ist, dass, wenn man hinaus in das riesige Universum schaut, es überwältigend sein kann und wir uns manchmal klein fühlen. und dass wir alle zusammen auf der Erde sind – wir sind alle Erdlinge. Deshalb glaube ich nicht, dass wir im Universum oder hier auf der Erde wirklich allein sind. Wir müssen nur die Hand ausstrecken und uns verbinden.