Den wenigsten muss man wahrscheinlich erzählen, dass Regisseur David Lynch als künstlerisches Universalgenie gilt. Er hat in der Vergangenheit nicht nur großartige Filme wie ERASERHEAD, LOST HIGHWAY oder DER ELEFANTENMENSCH gedreht, sondern ist auch im Bereich der Musik, der bildenden Künste und der Literatur tätig und deckt damit so gut wie jeden Bereich ab, in dem man sich künstlerisch ausdrücken kann. Lynch ist einer der bedeutendsten Filmemacher seiner Zeit, unter anderem, weil er immer wieder mit den Konventionen des Kinos bricht und Filme auf die Leinwand gebracht hat, die etwas ganz Besonderes sind, so auch MULHOLLAND DRIVE. Während des Erfolgs von seiner Serie Twin Peaks hat Lynch parallel an der Pilotepisode zu einer neuen Serie geschrieben, die auf dem Sender ABC laufen sollte.
1999 wurde diese Episode gedreht, mit Naomi Watts, Laura Harring und Justin Theroux in den Hauptrollen. Wie es für eine Serie üblich ist, wurden diverse Charaktere eingeführt, deren Geschichten in weiteren Folgen auserzählt werden sollte. Dann kam aber alles anders als geplant. Der Sender war nicht überzeugt vom Piloten und damit wurde das Projekt auf Eis gelegt. Doch Lynch hat an MULHOLLAND DRIVE geglaubt und mit der französischen Produktionsfirma StudioCanal einen Abnehmer für seine Geschichte gefunden, allerdings nicht als Serie, sondern als Spielfilm. Folglich kam es zu Nachdrehs in denen die Geschichte abgeschlossen wurde. Als der Film in die Kinos kam, ist eine große Fangemeinde um ihn entstanden. Ähnlich wie bei DONNIE DARKO, der zur selben Zeit erschienen ist, handelt es sich bei Lynchs Film um eine rätselhafte Geschichte, die sich einem wahrscheinlich erst nach mehrmaligem Schauen erschließt. Dabei lässt der Regisseur selbst viele Fragen offen, es gäbe bei seinem Film kein richtig oder falsch, solange ein Gefühl beim Schauen entsteht. Ob der Film zwanzig Jahre nach Erscheinen immer noch einen bleibenden Eindruck hinterlässt, erfahrt ihn in meinem Text.
Darum geht es…
Eine Frau (Linda Harris) befindet sich auf dem Rücksitz eines Autos, sie scheint zu einem bestimmten Ziel chauffiert zu werden, als das Auto plötzlich mitten auf dem MULHOLLAND DRIVE anhält. Der Fahrer dreht sich zu ihr um und richtet eine Pistole auf sie, sie scheint am Ende ihres Lebens angekommen zu sein, als es zu einem Unfall kommt. Eine Gruppe junger Leute übersieht das stehende Auto und rast mit voller Geschwindigkeit in das Fahrzeug. Die Frau ist die einzige Überlebende und verschwindet in die Nacht, in Richtung der Lichter der Stadt. Sie beobachtet wie eine ältere Dame ihr Haus verlässt und auf Reisen zu gehen scheint, in einem unbeobachteten Moment schleicht sich die brünette Frau hinein.
Währenddessen kommt Betty (Naomi Watts) am Flughafen von Los Angeles an. Sie ist eine junge ambitionierte Schauspielerin, die auf eine Karriere in Hollywood hofft. Sie ist bereits zu einem Vorsprechen eingeladen und kann erstmal in dem Haus ihrer Tante leben, die gerade nach Kanada gereist ist. Überraschenderweise befindet sich dort eine Frau, die sich Betty als Rita zu erkennen gibt. Erst denkt Betty, dass es sich bei der Frau um eine Freundin ihrer Tante handelt, irgendwann eröffnet ihr Rita allerdings, dass sie bei einem Autounfall ihr Gedächtnis verloren hat und nicht weiß wer sie ist, Rita war der erste Name, der ihr eingefallen ist. Die gutmütige Betty beschließt der armen Frau zu helfen und so machen sich die beiden auf die Suche nach der Identität der Frau und begeben sich dabei in die düsteren Abgründe Hollywoods.
Rezension
MULHOLLAND DRIVE ist kein Film, der sich einfach zu fassen ist, David Lynch hat einen Film geschaffen, der seine Zuschauer*innen vor viele Rätsel stellt. Der Film ist voller Symbole und Hinweise, seit Jahren gibt es etliche unterschiedliche Interpretationsansätze, die versuchen den Film zu entschlüsseln. Lynch hält sich dabei bedeckt, hat seinem Publikum allerdings zehn Hinweise mit auf den Weg gegeben, die bei der Lösung helfen sollen. Es gibt beispielsweise bestimmte Kleidungstücke und Gegenstände, die einem bei der Auflösung helfen. Wie man hier schon herauslesen kann, strahlt MULHOLLAND DRIVE eine unglaubliche Faszination aus. Für mich war es das erste Mal, dass ich den Film gesehen habe und ich wurde dabei ebenfalls in den Bann gezogen, ohne genau benennen zu können, woran es lag. Vielleicht ist der Grund, dass man sich wie ein Detektiv fühlt, der versucht einen komplizierten Kriminalfall zu lösen. Dabei ist man sich niemals sicher, ob es überhaupt eine Lösung gibt.
Lynchs Film hat eine ähnliche Strahlkraft wie ein interessantes Gemälde oder Musikstück, in erster Linie wird in MULHOLLAND DRIVE ein Gefühl vermittelt und weniger eine durchgängige Geschichte. Wir beobachten eine Dekonstruktion der Traumfabrik Hollywood, indem wir eine aufstrebende Künstlerin begleiten, die uns einen Blick hinter die Kulissen vermittelt. Dabei schafft es der Regisseur einige der schaurigsten und gefühlvollsten Momente der Filmgeschichte zu erzeugen, obwohl sie auf den ersten Blick durchschnittlich wirken. Wenn wir Rebekah Del Rio dabei zusehen, wie sie „Llorando“ (dt. Weinen) singt, zieht es einen in seinen Bann und rührt zu Tränen. David Lynch erzeugt einige so intensive Momente, dass man immer mit voller Aufmerksamkeit dem Film folgt und dabei in einen tranceartigen Zustand verfällt.
Lynch denkt als Kamera
Grundsätzlich ist MULHOLLAND DRIVE großartig inszeniert, wir sehen beeindruckende Bilder der Stadt und Lynch lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die wichtigen Details. Wir nehmen war, dass etwas eine höhere Bedeutung hat, können diese aber nicht genau greifen. Dabei setzt er teilweise auf eine sehr dynamische Kamera, die mit ihren ruhigen Bewegungen zur melancholischen Stimmung des Films beiträgt. Die Musik im Film stammt von Angelo Badalamenti, der bereits in den vorigen Werken von Lynch für einen stimmungsvollen Soundtrack gesorgt hat. Bei dem Zusammenspiel der verschiedenen Elemente fällt auf, dass nichts dem Zufall überlassen wurde. Wie bei einem Orchester greifen die verschiedenen Elemente perfekt ineinander und erzeugen auch 20 Jahre nach der Uraufführung ein diffus verstörendes Gefühl.
Für die beiden weiblichen Hauptrollen hat Lynch Naomi Watts und Laura Harring besetzt, deren Karrieren durch ihre Rollen in MULHOLLAND DRIVE an Fahrt aufgenommen haben. Beide schaffen es ihren Figuren sehr unterschiedliche Facetten zu geben, insbesondere je näher sich der Film dem Ende nähert. Von den Figuren, die wir Anfangs kennen lernen ist am Ende nicht mehr viel übrig, stattdessen sehen wir zwei völlig andere Frauen. Beide schaffen durch ihr Schauspiel unfassbar interessante und vielschichtige Charaktere. Neben den beiden Hauptfiguren sieht man mit Justin Theroux einen der unterschätztesten Schauspieler Hollywoods. Theroux verkörpert einen Regisseur, dem von der Mafia diktiert wird, welche Schauspieler*innen in seinem Film besetzt werden sollen, und dadurch an den Rand der Verzweiflung getrieben wird.
Ein Versuch ist es wert
Durch solche Szenen führt uns Lynch in MULHOLLAND DRIVE vor Augen, dass Hollywood nicht die strahlende Fassade ist, die wir als Zuschauer*innen von außen sehen. Es handelt sich um eine Welt, in der Kreative um die Gunst der Studios buhlen müssen, um ihre Ideen realisieren zu können. Häufig stehen finanzielle Interessen im Vordergrund, Filme müssen massentauglich sein und werden an den Ticketverkäufen gemessen. Dabei verschwindet der Mut komplizierte Geschichten zu drehen, eben solche Geschichten wie MULHOLLAND DRIVE. Gerade wenn man Lynchs Film noch nicht gesehen hat, sollte man ihm eine Chance geben. Mittlerweile gibt es MULHOLLAND DRIVE als 4K-Abtastung, wodurch er auch auf modernen Fernsehern zu einem Genuss für die Augen wird.
Fazit
Mich hat MULHOLLAND DRIVE so sehr fasziniert, dass ich ihn mir vermutlich sehr bald nochmal ansehen werde. Nachdem ich den Film und einige Interpretationsansätze gesehen habe, möchte ich mich nun selbst auf die Spurensuche begeben. Ich kann den Film allen empfehlen, die ihn noch nicht gesehen haben. Alle anderen sollten sich die neue 4K Fassung allerdings ebenfalls nicht entgehen lassen. Lynch hat einen Film geschaffen, der mit unseren Sehgewohnheiten bricht und eine Erfahrung ist, die alle mal gemacht haben sollten. Der Film ist komplex, sperrig, aber doch auf seine eigene Art befriedigend.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Bei David Lynchs MULHOLLAND DRIVE handelt es sich mittlerweile um einen modernen Klassiker. Der Film ist im Jahr 2001 erschienen und sollte eigentlich die Pilotepisode zu einer Serie werden, nachdem es Unstimmigkeiten mit dem Studio gab, wurde aus dem Piloten ein Spielfilm, der eine große Fangemeinde hinter sich versammelt. Im Film begleiten wir zwei Frauen, verkörpert von Naomi Watts und Laura Harring, von der eine das Gedächtnis verloren hat. Die beiden machen sich auf die Suche nach ihrer Identität und tauchen in die Unterwelt von Hollywood ab. Dabei kritisiert David Lynch die Traumfabrik scharf, in seinen Augen ist in Hollywood kein Platz mehr für sperrige Filme die einen wie ein faszinierendes Kunstwerk berühren wollen, es geht um Ticketverkäufe und Profit, Filme müssen massentauglich sein und der künstlerische Anspruch gerät immer mehr in den Hintergrund. Ein eben solcher Film ist MULHOLLAND DRIVE. Es geht David Lynch weniger um eine konstante Geschichte als um ein Gefühl, dass er seinen Zuschauer*innen vermitteln möchte. Durch eine großartige Inszenierung und eine ausgezeichnete Besetzung gelingt ihm dies auch. MULHOLLAND DRIVE ist ein ungewöhnlicher Film, der uns zum Rätseln und Interpretieren einlädt. Ein Meisterwerk, dass man gesehen haben sollte.
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Originaltitel | Mulholland Dr. |
Kinostart | 03.01.2002 |
DVD/Blu-ray/4K – Release | 09.12.2021 |
Länge | ca. 147 Minuten |
Produktionsland | Frankreich | USA |
Genre | Drama | Mystery | Thriller |
Verleih | StudioCanal |
FSK |
Regie | David Lynch |
Drehbuch | David Lynch |
Produzierende | Pierre Edelman | Neal Edelstein | Joyce Eliason | Tony Krantz | Michael Polaire | Alain Sarde | Mary Sweeney | John Wentworth |
Musik | Angelo Badalamenti |
Kamera | Peter Deming |
Schnitt | Mary Sweeney |
Besetzung | Rolle |
Naomi Watts | Betty |
Laura Harring | Rita |
Justin Theroux | Adam |
Jeanne Bates | Irene |
Dan Birnbaum | Irene’s Companion |
Randall Wulff | Limo Driver |
Robert Forster | Detective McKnight |
Brent Briscoe | Detective Domgaard |
Maya Bond | Aunt Ruth |
Patrick Fischler | Dan |
Michael Cooke | Herb |
Bonnie Aarons | Bum |
Michael J. Anderson | Mr. Roque |
Joseph Kearney | Roque’s Manservant |
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