Originaltitel: Music
VoD – Release: 12.02.2021
Länge: ca. 97 Minuten
Produktionsland: USA
Regie: Sia Kate Isobelle Furler
Schauspieler:innen: Kate Hudson | Leslie Odom Jr. | Maddie Ziegler
Genre: Drama | Musikfilm | Musical
Verleih: Alamode Film
Gleich zweifach ist MUSIC vor kurzer Zeit für die diesjährigen Golden Globes nominiert wurden, einmal für den besten Film im Bereich Musical oder Comedy, zum anderen Kate Hudson als beste Darstellerin. Damit überraschte das Werk aus heiterem Himmel, denn diesen Film hatten wohl nur die Wenigsten auf dem Schirm, insbesondere hinsichtlich seiner schon vorab sehr kritischen Stimmen, auf die wir an anderer Stelle noch einmal intensiver eingehen werden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Review hat der Film bei einem Budget von rund 16 Millionen US-Dollar gerade einmal rund 550.000 Dollar wieder eingespielt, was allerdings noch keine repräsentative Zahl hinsichtlich der späteren Gesamteinnahmen sein wird. Hier muss allerdings ergänzt werden, dass 10 Millionen Budget erst dazu kamen, als Regisseurin Sia einwilligte aus dem normalen Drama ein Musical-Drama zu gestalten.
Sia selbst ist eigentlich eine australische Sängerin und Songschreiberin, die 1997 ihr erstes Studioalbum veröffentlichte und seitdem in regelmäßigen Abständen neue Songs präsentierte und unter anderem unzählige goldene Schallplatten einheimste. Insbesondere ist sie an weit über 200 Soundtracks im Film und Serienbereich verantwortlich. Mit MUSIC gibt sie ihr Regiedebüt für einen Langfilm, obwohl sie bereits zuvor schon Erfahrungen gesammelt hatte durch die Produktion mehrerer Musikvideos. Wie sie jedoch selbst sagte, dachte sie naiverweise, dass es einfach so sein würde, als ob sie ein sehr langes Musikvideo drehe. Dabei hätte sie allerdings nicht bedacht, dass die meisten Regisseure nur Regie führen und nicht auch noch die Kostüme entwerfen würden und die Songs schrieben. Ihre Idee für den Film kam erstmalig 2010 auf, nachdem sie mehrfach bei Treffen von Anonymen Alkoholikern dabei war und dort eine inspirierende Person kennen lernte.
Darum geht es…
Die junge Music ist eine äußerst glückliche Person, was vor allem daran liegt, dass ihre Großmutter stets dafür sorgt, dass sie trotz ihrer Krankheit ein unbeschwertes Leben führen kann. Music lebt mit Autismus und nimmt daher die Welt ganz anders war als viele andere Menschen auf der Welt. Doch ihre Großmutter will sie damit keineswegs einsperren. Music ist im gesamten Viertel bekannt und ihr täglicher morgentlicher Spaziergang in die Bibliothek scheint perfekt durchgeplant zu sein – vom kurzen Halt am Kiosk, über ein kleines Eis auf dem Weg, bis hin zu einem sicheren Rückweg. Stets trägt sie dabei ihre Kopfhörer und lässt sich von der Musik leiten. Bis eines Tages ihre Großmutter einen plötzlichen Tod erleidet. Musics Schwester Zu wird darüber informiert und kümmert sich fortan um das junge Mädchen, doch hat Zu es selbst nicht leicht, denn sie steckt tief in der Drogenszene drin und finanziert sich damit ihr Leben. Wird dies gut gehen?
Rezension
Nach nur wenigen Sekunden Laufzeit werden wir Zuschauende bereits mit einem überladenen Werk voll Fröhlichkeit und explodierender greller Farbenfreue abgeholt und in ein interessantes Filmdrama hinein gesogen. Eröffnet wird der Film mit einer abgedrehten Tanzeinlage eröffnet, in welcher das komplette Set sowie die Kostüme in einem grellen Gelbton gehalten sind und mit lauter und moderner Musik untermalt wurde. Dies erfordert anfangs ein wenig Gewöhnung doch ist es möglich sich relativ schnell damit zu arrangieren. Im weiteren Verlauf werden solche Tanzelemente immer wieder auftauchen, stets geprägt von einem gänzlich anderen Farbenspiel sowie auch anderen Tänzer:innen, die entsprechend dem Geschehen in folgenden Musiksequenzen aufgenommen werden. Der Film selbst kommt abgesehen von diesen Momenten weitestgehend ohne musikalische Gestaltung aus, womit also zwei komplett unterschiedliche Erzählebenen erzeugt werden.
Ordentlich punkten konnte MUSIC bereits nach nur wenigen Minuten, als wir die Figur kennen lernen, die von Maddie Ziegler gespielt wird. Rein weg nach meinem persönlichen Empfinden schafft es Mrs. Ziegler grandios den Autismus der Protagonistin glaubwürdig zu inszenieren und schafft damit eine Figur voller Lebensfreude. Die Inszenierung, die deutlich zeigt, wie fürsorglich ihre Großmutter vorgesorgt hat, um das Mädchen nicht einzuschließen oder an sich zu binden und ihr Freiräume zu schaffen, die es erlauben sich selbstständig zu entfalten sind einfach wunderbar. So erlebte ich schon früh einen wohligen Schauer auf der Haut angesichts dieser Frohnatur und ihrem persönlichen Freiheitsgefühl. Regisseurin Sia versucht dabei uns Zuschauende sowohl in die Gefühlslage als auch die Umweltwahrnehmung einer Person mit Autismus hineinzuziehen und schafft dies auf sehr geschickte Art und Weise. An dieser Stelle sei jedoch gesagt, dass ich nur laienhaft bewerten kann, wie ein solcher Mensch agiert, denkt und lebt.
Das ist Musik in unseren Ohren
Es folgt eine eher unkonventionelle Entwicklung des Films, denn auf der einen Seite bekommen wir eine emotionale Lebenskrise der zweiten Protagonistin, gespielt von Kate Hudson, zu sehen, die einen Ausweg aus ihrem Leben mit Drogen und Alkohol sucht und zeitgleich eine extrem große Verantwortung für ihre Schwester übernehmen muss. Auf der anderen Seite werden Gefühlslagen und Emotionen regelmäßig visualisiert durch Musikvideos. Ja, ihr lest richtig. Es gibt tatsächlich gleich mehrfach die Einbindung von ganzen, speziell dafür gedrehten, Musikvideos, die alle einem recht ähnlichen Stil unterliegen und dennoch weit ab von klassischen Musicaleinlagen entstehen. Insbesondere zeichnen diese sich aus durch grelle Farben, schlichten aber prägnanten Settings, weitestgehend leeren Räumen und vor allem einem großen Schauspieler:innen-Aufgebot, welches eine tänzerische Performance abliefert. Allerdings wird hier in der Regel die Musik nur eingespielt und nicht direkt gesungen.
Damit geht Regisseurin natürlich einen geschickten Schritt, da sie selbst sich ja im Bereich der Musikvideos recht gut auskennt nach einer solch langen und erfolgreichen Karriere und gleichzeitig vermutlich im Filmbusiness noch nicht all zu viel Erfahrungen sammeln konnte. Was jedoch etwas überraschend kommt, ist, dass diese kurzen Videoschnipsel tatsächlich gut in die Handlung eingearbeitet sind, geprägt sind von einer starken Musikauswahl und stets die Lust nach mehr machen. Sie bilden eine Art Gefühlsleitfaden, der zusätzlich dafür dient uns eine Welt abseits unserer Realität zu eröffnen und damit einen weiteren Blick in die Wahrnehmungen von Zieglers Figur ermöglicht. Etwas kritisch ist jedoch zu bemerken, dass die Tonabmischung hier nicht gelungen ist, da die Songs deutlich lauter sind als der restliche Film (was teilweise Spaß macht, aber gerade im Heimkino die Nachbarwohnungen nicht so erfreuen dürfte).
Heimliche Helden und große Stars
Schnell übersehen werden kann jedoch der eigentliche Held des gesamten Films. Während Kate Hudson und Maddie Ziegler natürlich immer präsent sind und von Leslie Odom Jr. zusätzlich bestens in den Fokus gerückt werden, wird uns eine wichtige Nebenfigur nur selten und meist nur andeutungsweise präsentiert: den jungen Felix, gespielt von Beto Calvillo. Dieser ist übergewichtig und hegt scheinbar eine heimliche Schwärmerei für Zieglers Figur. Er selbst hat mit Nichtbeachtung und Desinteresse zu kämpfen, ist aber zeitgleich ein heimlicher Glücksbringer, der es genau versteht mit der autistischen Music umzugehen und er hat stets ein Auge auf sie. Umso schrecklicher ist es, dass dieser letztlich fast schon desinteressiert rausgeschrieben wird aus der Handlung, auch wenn er in der Folge einen kleinen heroischen Abgang in einem der Musikvideos erhält. Schade, dass wir nicht mehr von ihm zu sehen bekommen, denn niemand sonst hatte einen so starken Part wie er.
Zudem kämpft MUSIC damit, dass nie so recht eindeutig klar wird, welche Person nun die Hauptfigur sein soll. Der Kampf wird stets zwischen den beiden Schwestern ausgetragen, wobei letztlich wohl der wesentliche Fokus auf dem Leben der älteren Schwester Zu liegt. Teilweise kommen hier Assoziationen auf, die an RAIN MAN erinnern, auch wenn der Film natürlich mit einer völlig anderen Prämisse arbeitet. Ein genauerer Blick auf eine der beiden Figuren hätte dem Werk vermutlich nicht schlecht getan. Gleichzeitig wirkt der Film aber auch streckenweise wie ein überdimensioniertes Werbevideo für die Musiker und ihre Songs, welches zwischendurch mit Inhalt gefüllt wurde, um damit den offiziellen Status eines Spielfilmes zu erlangen und entsprechende finanzielle Unterstützungen einzuheimsen. Auch wenn die Musikvideos gut hineinpassen und dass eine interessante künstlerische Entscheidung war, schwingt doch dieser leichte fade Beigeschmack der Schleichwerbung immer mit.
Ein unschönes Politikum
Nun sollten wir noch auf die aktuelle Debatte rund um diesen Film ein wenig eingehen, denn tatsächlich kommt das Werk ganz und gar nicht gut bisher an. Das liegt daran, dass eine Figur mit Autismus von einer gesunden Schauspielerin verkörpert wird, die das wie schon erwähnt ziemlich brillant umgesetzt hat, und somit nicht von einer Person, die tatsächlich mit dieser Krankheit lebt. THE PEANUT BUTTER FALCON hat vor kurzem bereits eindrucksvoll gezeigt, wie solche eine Besetzung gelungen umgesetzt werden kann. Grundlegend kann ich diese Kritik durchaus verstehen, nachvollziehen und begrüße sie auch, denn dies ist natürlich tatsächlich die perfekte Möglichkeit diesen Menschen die Chance zu bieten sich selbst vor einem weltweiten Publikum zu präsentieren. Doch ich verstehe auch, dass ein:e Regisseur:in eine spezielle Vision des eigenen Films hat, insbesondere wenn auch Drehbuch und Produktion von dieser Person übernommen werden.
Dass diese Vision nahezu 1:1 umgesetzt werden kann mit Schauspieler:innen ohne Entwicklungsstörung, da diese eben wie ein Roboter genau eingestellt werden können auf jede Szene ist gar keine Frage und geschieht häufig genug im Film. Ganz klar ist jedoch auch, dass es deutlich mehr Mühen kostet dies auch mit einer autistisch veranlagten Person so umzusetzen, da, so beschreibt es ja auch der Filminhalt, sie eine etwas andere Lebenswahrnehmung genießen, die möglicherweise nicht mit der Vision des Filmteams deckungsgleich ist und zudem ein jeder neuer Drehtag neue Herausforderungen in diesem Gebiet bereithalten würde. Es ist somit ein Unterschied ob ein Film auf eine:n Darsteller:in speziell zugeschrieben wurde, wie bei THE PEANUT BUTER FALCON oder unabhängig davon agiert und existiert.
Ganz abgesehen davon sollte ein Film unabhängig unternehmerischer Entscheidungen bewertet werden können, so wie Musik nicht automatisch verboten gehört, weil entsprechende Interpreten möglicherweise Kindermissbrauch oder ähnliches betrieben haben. Ein Werk sollte als unabhängige Kunst betrachtet werden können und damit Abstand nehmen von den Personen, die daran mitgewirkt haben, womit sich auch meine letztliche Filmbewertung begründet. Zudem sollte noch einmal ausdrücklich erwähnt werden, dass Mrs. Ziegler eine starke schauspielerische Leistung gezeigt hat und auch in die Diskussion einfließen sollte, dass es genauso unschön wäre, wenn Darsteller:innen ihre Talent in entsprechenden anspruchsvollen Rollen nicht beweisen dürften. Dennoch unterschreibe ich durchaus, dass hier wohl eine unternehmerische Fehlentscheidung getroffen wurden sein könnte und eine Umbesetzung eine sinnvolle Option gewesen wäre.
Fazit
Abseits aller politischer Dramen, die sich aktuell um das Werk ergeben ist MUSIC ein wundervoll herzlicher Film, der es schafft auf ganz besondere Art und Weise eine liebenswerte und gleichzeitig tragische Geschichte zu erzählen. Hierbei sind vor allem die unkonventionellen und äußerst künstlerischen Einschübe der Musikvideos ein wesentlicher Faktor für entsprechende Begeisterungsmomente. Diese sind zudem geprägt von äußerst gut gewählten Soundtracks. Aber auch abseits der musikalischen Ebene weiß der Film zu überzeugen, insbesondere in der fantastischen Leistung von Maddie Ziegler, aber auch in viel zu klein geratenen Nebenrollen wie der von Beto Calvillo. Dieses Werk ist ein wunderbarer Feelgoodmovie, der es gleichzeitig schafft eine ernste Story zu etablieren und das Publikum zu berühren. Der Spagat zwischen Fröhlichkeit und Rührseligkeit ist im Regiedebüt Sias gelungen. Einzig die fehlende Eindeutigkeit sorgt dafür, dass teilweise unklar ist, worauf die Zuschauenden ihren Fokus legen sollten.
Schon vor Release des Films hat sich eine enorme Debatte breit gemacht, die das gesamte Werk ins Abseits stellt. Grund dafür ist die Besetzung einer autistisch veranlagten Figur mit einer Schauspielerin, die diese Veranlagung nicht besitzt. Somit hat sich aus dem Gesamten Werk ein Politikum entwickelt. Meine Meinung dazu findet ihr ebenfalls in der ausführlichen Review auf meiner Website. Zum Film selbst sei jedoch gesagt, dass dieser mich berührt, begeistert und abgeholt hat und ich eine wunderbare Zeit damit hatte. Auch wenn er recht unkonventionell daherkommt, da dieser gefüllt ist mit mehreren eigens geschaffenen Musikvideos, die jedoch perfekt in die Handlung integriert wurden, und somit teilweise den Charme einer überdimensionierten Musikwerbung vermittelt, schafft er es damit zeitgleich eine interessante künstlerische Komponente an ein sonst eher tragisch-fröhliches Drama anzuknüpfen. Damit spielt Regisseurin Sia natürlich geschickt ihre Fähigkeiten aus und fokussiert sich auf das, was sie nun einmal am besten Kann. Darüber hinaus konnte die Hauptdarstellerin Maddie Ziegler mit einer beeindruckenden Performance begeistern, die meiner persönlichen Ansicht nach nur noch von der Nebenfigur getoppt wird, die durch Beto Calvillo verkörpert ist. Der Film vereint zudem verschiedenste Emotionen und zeigt eine erzählenswerte Geschichte. Es ist wirklich tragisch, dass das Werk im Angesicht der öffentlichen Debatte nun einem großen finanziellen Misserfolg entgegen zu blicken scheint.