Im Jahr 2000 wurde durch einen Jugendroman eine Kontroverse in Dänemark ausgelöst. Die Autorin Janne Teller hat sich mit ihrem Roman NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST den großen Fragen des Lebens gewidmet. Sie hat ihren Figuren die Frage gestellt, was im Leben wirklich Bedeutung hat und diese Situation eskalieren lassen. Für viele Eltern war dies scheinbar zu viel, sodass der Roman an drei Schulen in Dänemark verboten wurde. Trotzdem konnte die Autorin mit ihrem ungewöhnlichen Buch etliche Literaturpreise gewinnen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis der Roman verfilmt werden sollte. Dieser Aufgabe haben sich Seamus McNally und Trine Piil Christensen angenommen. Die beiden Regisseur*innen sind noch verhältnismäßig unbeschriebene Blätter in der Filmwelt. Ob man die mangelnde Erfahrung spürt oder ob sie einen frischen Wind in den Stoff gebracht haben, erfahrt ihr in folgendem Text.
Darum geht es…
Pierre Anthon (Harald Kaiser Hermann) ist gerade mal in der achten Klasse einer dänischen Schule und hat schon genug. Wofür das Ganze? Warum werden die Schüler*innen und Schüler von der Berufsberaterin genervt? Damit sie ihr ganzes Leben arbeiten und dann ins Grab fallen? Für den Jungen steht fest: In Wirklichkeit hat nichts Bedeutung. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler sind völlig perplex, als Pierre Anthon eines Tages das Klassenzimmer verlässt, auf einen Baum klettert und sich in dessen Krone einrichtet. Er will nicht mehr herunterkommen. Wofür? Die anderen Achtklässler*innen wollen den Jungen vom Gegenteil überzeugen und sammeln Dinge, die für sie Bedeutung haben. Schnell merken sie, wie wichtig ihnen diese Erinnerungsstücke sind, und wollen sie nicht hergeben. Trotzdem nehmen sie sich gegenseitig in die Pflicht, um Pierre Anthon vom Baum zu holen Irgendwann verlangen die Kinder immer mehr voneinander, und die Lage scheint zu eskalieren.
Rezension:
Bei NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST handelt es sich um einen Roman, der größtenteils sehr gut besprochen wurde, abgesehen von ein paar Helikoptereltern. Schafft es der Film, den spannenden philosophischen Ansatz des Buches einzufangen? Hat die Adaption eine ähnliche Wucht wie das Buch? Glücklicherweise ist es den beiden Regisseuren gelungen, den Stoff zu adaptieren und in unsere Gegenwart zu bringen. Der Film kommt zu einem sehr passenden Zeitpunkt. Jugendliche und junge Erwachsene machen sich immer mehr Sorgen um ihre Zukunft. Welche Frage könnte da wichtiger sein als die nach der Bedeutsamkeit? Pierre Anthon bezeichnet seine Mitschüler*innen als “Marionetten” und “Kopien von Kopien”. Die Schüler*innen sollen den vorgegebenen Weg des Systems gehen, ohne sich selbst zu verwirklichen. Dabei greift der Film aktuelle Themen auf, wie die Klimakrise. Die Jugendlichen haben Angst vor der Zukunft. Wenn die Pole schmelzen, wird Dänemark vom Meer verschluckt.
Nun könnte man dem Film in seinem nihilistischen Ansatz Fatalismus vorwerfen. Ist doch sowieso alles egal. Warum sich also noch anstrengen? Im Subtext versteckt sich jedoch eine viel positivere, lebensbejahende Botschaft. Janne Teller will mit NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST zeigen, dass es sich lohnt, die eigenen kreativen Potenziale auszuschöpfen. Der Film ist keine Aufforderung zum Aufgeben, sondern vielmehr ein Befreiungsschlag von den gesellschaftlichen Ketten, die uns das System im Moment unserer Geburt anlegt. Man erwartet von uns, gute Bürger*innen zu sein, einen durchschnittlichen Job zu haben, zu funktionieren und keine Fragen zu stellen. Der Film fordert uns auf, unsere eigene Rolle zu hinterfragen. Wir sehen beispielsweise die Figur Agnes (Vivelill Søgaard Holm). Sie träumt davon, Modedesignerin zu werden, aber von der Berufsberatung wird ihr empfohlen, in die Buchhaltung zu gehen. Sie ist eine von vielen Figuren, deren Träume wir vermittelt bekommen, aber bei denen es wohl immer Träume bleiben werden.
Viel Inhalt, durch eine reduzierte Form.
Diese individuellen Charaktere werden von einem ausgezeichneten Cast aus Jungdarsteller*innen verkörpert. NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST erzählt uns keine ausschweifenden Hintergrundgeschichten über einzelne Figuren, sondern wir lernen sie im Verlauf der Handlung kennen. Die Schüler*innen unterhalten und necken sich, und aus diesen Konversationen ergeben sich die Profile, die aus den Figuren Menschen machen. Dabei werden Themen wie psychische Krankheiten im Elternhaus, Leistungsdruck, Religion und Sexualität angesprochen. Obwohl dies für einen 87-minütigen Film viel erscheinen mag, wirkt der Film nicht überladen. Viele der Themen dienen der Charakterentwicklung und werden nur am Rande erwähnt. Der Film konzentriert sich hauptsächlich auf sein Hauptthema, den Nihilismus. Dennoch geraten einige der Figuren leider etwas in den Hintergrund. Der Film weckt jedoch eine Neugierde, sodass man sich wünscht, noch tiefer in das Leben der Jugendlichen einzutauchen.
NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST schafft es nicht nur inhaltlich zu überzeugen, sondern auch handwerklich. In der ersten Szene sehen wir Agnes und Pierre Anthon auf einer Wiese liegen, während sie über das Leben und seine Bedeutung philosophieren. Der Himmel ist blau, das Gras ist grün und es ist Sommer – alles scheint perfekt. Dennoch werden uns entsättigte Farben und dissonante Synthesizer-Klänge präsentiert, was eine Diskrepanz zwischen Ton und Bild erzeugt. Schon von der ersten Sekunde an spüren wir, dass etwas Unheilvolles geschehen wird. Im weiteren Verlauf gibt sich der Film Mühe, diese Stimmung aufrechtzuerhalten. Die Kamera ist ständig in Bewegung und erzeugt ein unbehagliches Gefühl der Unruhe. Zudem wird viel mit Licht und Gegenlicht gespielt. Dadurch wird vermittelt, dass die Gruppe von Pierre Anthons Erkenntnis geblendet wird und sie diese nicht erfassen können.
Fazit:
Ähnlich wie beim Buch handelt es sich auch beim Film um eine Umsetzung, mit der nicht jeder etwas anfangen kann. Trotzdem sollte man dieser spannenden Geschichte eine Chance geben. Es werden unbequeme Fragen angesprochen, und dabei bleibt offen, was richtig oder falsch ist. Stattdessen möchte uns NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST zum Nachdenken anregen. Was machen wir mit unserem Leben? Lohnt es sich einfach ein Rädchen im System zu sein, oder sollten wir einen eigenen Weg gehen? Diese Themen werden uns auf eine sehr intensive Weise vor Augen geführt, was auch abschreckend sein kann. Wenn man sich jedoch auf NICHTS – WAS IM LEBEN WICHTIG IST einlässt und den Film auf sich wirken lässt, wird er einen noch lange mit seinen philosophischen Thesen begleiten.
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Originaltitel | Intet |
Kinostart | 19.5.2022 |
Länge: | 83 minuten |
Produktionsland | Denmark |
Genre: | Thriller | Drama |
Regie | Trine Piil Christensen | Seamus McNally |
Producer | Thomas Lydholm | Janine Jackowski | Trine Piil Christensen |
Kamera | Bo Bilstrup |
Cast | Vivelill Søgaard Holm, Maya Louise Skipper Gonzalez, Harald Kaiser Hermann, Peter Gantzler, Mia Lerdam, Sigurd Philip Dalgas, Ellen Østerlund Fensbo, Andrea Halskov-Jensen, Theodor Philip MacDonald, Bobby Antonio Hancke Rosado, Clara Dragsted Hansen, Elias Amati Aagesen, Arien Alexander Takiar, Frederic André Linde-Fleron, Marie Lund Asholt, Rosa Mazia Castellanos Friberg, Bastian Reichardt Ben Coker |
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