Inhaltlich inspiriert von einer Konfrontation zwischen Jäger und Geschäftsmann Don Alejo Garza Tamez und einer kriminell organisierten Gang begannen die Dreharbeiten zum mexikanischen Berlinale-Beitrag NORTHERN SKIES OVER EMPTY SPACE im Hochsommer 2021. Unter Covid-19-Bedingungen, herausfordernden Temperaturen und in einem der gefährlichsten Teile Nordmexikos entstanden, wurde das Thriller-Drama unter der Beteiligung einer überwiegend weiblichen Crew umgesetzt. So sind es nicht nur die sehr von sich überzeugten Männer mit ihren schicken Cowboyhüten, die in Alejandra Márquez Abellas dritten Spielfilm die Lage unter Kontrolle haben, sondern auch einige Frauen der Familien. Der Film, der im diesjährigen Panorama-Programm lief, zeigt sich als trockenes, gemächlich inszeniertes Westerndrama, bis das letzte Drittel seinen zuvor vermissten Thrill entfaltet.
Darum geht es…
Don Reynaldo ist stolzer Jäger und Oberhaupt einer Familie. Während er sich mit der Zukunft der abgelegenen Ranch und dem Erbe seines Vaters auseinandersetzt, offenbaren sich Risse in seinem aufgebauten und lange Zeit fortgeführten Familienpatriarchat. Zusätzlich gerät er unter Druck, weil eine Gang in der Gegend auftaucht, die Schutzgeld von ihm verlangt. Als er das Angebot ablehnt, braut sich ein Sturm auf dem weiten Ödland zusammen, der viele der Familienmitglieder*innen die Ranch verlassen lässt …
Review
Die Welt von Don Reynaldo (Gerardo Trejoluna), in der viel Wert auf Familientraditionen gelegt wird, Männer sich ruhmreich im Jagen profilieren und Jungen unter keinen Umständen weinen dürfen, selbst wenn eine ihrer liebsten Babyziegen geschlachtet wird, bröckelt. Das Familienvermächtnis wird auf die leichte Schulter genommen, Rosa bricht mit ihren Schießkünsten aus den konformen Geschlechterrollen aus. Doch auch von außerhalb wird der konservative Mikrokosmos erschüttert. Was sich anfangs in einem merkwürdigen Besuch andeutet, gewinnt im Laufe der Zeit deutlich an Bedrohung: zu Beginn fast verloren in zähen Familienzwist, schlägt sich NORTHERN SKIES OVER EMPTY SPACE spätestens mit seiner nahenden Eskalation aus seiner schwülen Trägheit frei. Ein rauschendes, zweitweise verzerrtes Sounddesign streut sich albtraumhaft in das moderne Westernsetting ein. Es verdeutlicht die Stärken des Films in jenen Momenten, in denen er sich abseits seiner Genregrenzen bewegt.
Die Bedrohungssituation wächst mit viel Geduld, zeigt aber zugleich vielversprechende Ansätze in seiner packenden Ausführung samt interessanter visueller Spielereien. Weniger eindringlich als dieses Drittel des Films sind die Charaktere, häufig durch einfach und wortkarge Wesenszüge charakterisiert, welche nur selten wie die von Paloma Petra gespielte Rosa ihre vorgegebenen Rollenbilder verlassen. Dieser (gesellschaftliche) Wandel schleicht ebenso subtil voran wie die Gefahr durch die bewaffnete Gang, entwickelt jedoch niemals eine umwerfende Eindringlichkeit oder Priorität. Im Zuge seiner Wandlung zum Thriller fällt sowohl die Figurentiefe der übriggebliebenen Familienmitglieder*innen als auch jene der gegnerischen Bande ab, ein Mitfiebern entsteht allein über die inszenatorische Herangehensweise.
Fazit
Unter der brütenden Hitze der mexikanischen Sonne braut sich nicht nur eine gewalttätige Konfrontation zwischen Familie und einer organisierten Bande zusammen, sondern auch der Umbruch traditioneller und gesellschaftlicher Familienwerte. Thrillerelemente bewahren NORTHERN SKIES OVER EMPTY SPACE dabei vor zweistündiger Eintönigkeit, sorgen jedoch auch dafür, dass letztere Themen nur bedingt charakterliche Durchschlagskraft erhalten. Das moderne Westerndrama ist authentisch gespielt und hinreißend gefilmt, in seiner Intensität jedoch oftmals zu zaghaft.
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Originaltitel | El norte sobre el vacío |
Berlinale – Release | 12.02.2022 |
Berlinale – Sektion | Panorama |
Länge | ca. 114 Minuten |
Produktionsland | Mexiko |
Genre | Western | Drama |
Verleih | unbekannt |
FSK | unbekannt |
Regie | Alejandra Márquez Abella |
Drehbuch | Alejandra Márquez Abella | Gabriel Nuncio |
Produzierende | Alejandra Márquez Abella | Gabriel Nuncio | Antonio Aldape | Alexandro Aldrete | Alejandro Duran | Alejandro Mares | Karla Hernández Nassar | Diego Enrique Osorno | Erick Peña | Adán Pérez | Sofia Torres Alba | Raúl Villarreal | Alejandro Zea |
Musik | Tomás Barreiro |
Kamera | Claudia Becerril Bulos |
Schnitt | Miguel Schverdfinger |
Besetzung | Rolle |
Gerardo Trejoluna | Reynaldo |
Paloma Petra | Rosa |
Juan Daniel García Treviño | Tello |
Mayra Hermosillo | Lily |
Raúl Briones | Guzmán |
Dolores Heredia | Sofía |
Fernando Bonilla | Raúl |
Francisco Barreiro | Elías |
Mariana Villegas | Laura |
Yahir Alday | Braulio |
Pato Alvarado | Adrián |
Mariel Alanís | Isis |
Gabriel Almaguer | Wenceslao |
Bebo Cantú | Félix |
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