Parallel verlaufen in Pedro Almodóvars neusten Film nicht nur die Schicksale unterschiedlicher Mütter, sondern auch die Verdichtung von Soap-Elementen zu einem intensiven Charakterdrama und die Auseinandersetzung mit Identität und der spanischen Vergangenheit. Ferner finden sich auch in PARALLELE MÜTTER künstlerische und erzählerische Finessen vieler vorangegangener Werke wieder, die anstatt willkürlicher Reproduktion zeitweise moderne Schliffe erfahren. Ein Glücksfall, denn so fügt sich Almodóvars neustes Werk nicht nur sinnvoll in die Filmografie ein, sondern behält sich trotz unverwechselbarer Handschrift eine angenehme Frische.
Darum geht es
In einem kleinen Krankenhauszimmer treffen die Fotografin Janis und die junge Ana aufeinander. Die beiden verbindet nicht nur eine ungeplante Schwangerschaft, beide sind außerdem alleinstehend. Nach ihrer Entbindung verlieren sie sich aus den Augen, ehe sie das Schicksal erneut zusammenführt. Janis strebt gemeinsam mit einem befreundeten Archäologen eine Graböffnung an, während Ana, die von ihrer Mutter wegen einer Schauspielkarriere allein gelassen wird, in ihre Nähe zieht. Die beiden Frauen treffen sich wieder, und es offenbart sich eine tragische Verbindung, die ihre Beziehung auf die Probe stellt …
Rezension
Zwei Jahre zuvor war Antonio Banderas für seine Hauptrolle in Almodóvars autobiografisch geprägten LEID UND HERRLICHKEIT für einen Oscar nominiert, 2022 war es Penélope Cruz, die sich als beste Hauptdarstellerin Hoffnung auf eine zweite Auszeichnung mit dem Goldjungen machen konnte. Die Rolle der Werbefotografin und alleinerziehenden Mutter Janis bezeichnete Almodóvar selbst als schwierigste und schmerzhafteste Figur, die Cruz bisher in einem seiner Filme dargestellt hatte.[1] Ihre menschlichen Widersprüchlichkeiten und das enge Beisammenliegen von Stärke und Verletzbarkeit äußern sich in subtilen Mimiken und einfühlsam beobachteten Gefühlsregungen, die Penélope Cruz eindrucksvoll und authentisch ausspielen kann.
Leid und Unvollkommenheit
Ihre Figur ist nicht die einzige, die wie so oft in Almodóvars Filmen durch ihre Unvollkommenheit besonders interessant und vielgestaltig ist. Auch die von Milena Smit herausragend gespielte, junge Mutter Ana und deren Mutter Theresa, dargestellt von Aitana Sánchez-Gijón, überzeugen mit ihrer niemals formelhaften, gelegentlich zentrovertierten Individualität. Die schicksalhafte Verknüpfung jener Frauen, die sich mit jeder Spielminute unaufhaltbar verdichtet, geht mit einer glaubwürdigen und trotz schwieriger Thematik leichtfüßigen Dynamik einher. Auch in PARALLELE MÜTTER gelingt dem spanischen Regisseur so eine meisterhafte Verbindung zwischen Leichtigkeit und ungeschönten, kitschfreien Leid.
Den Film dabei nur auf sein titelgebendes Thema, eine zufällig zusammengeführte Schwanger- und Mutterschaft zu beschränken, verschließt sowohl den Blick vor der Vielschichtigkeit der Charaktere als auch vor anderen Hintergründen. Teil der Auseinandersetzung mit Verlust und Tod wird eine Konfrontation mit der spanischen Historie. Die Öffnung eines Massengrabes, in dem einst Janis Großvater als Opfer des diktatorischen Franco-Regimes verscharrt worden ist, hinterlässt trotz überschaubarer Einbindung Signalwirkung und funktioniert sowohl im persönlichen wie auch im historischen Kontext. Die Ahnenforschung verleiht Cruz’ Charakter und ihren Entscheidungen zusätzliche Ambivalenz und dem Film eine politisch relevante und für Aufarbeitung einstehende Dimension.
Geschickt flechtet Almodóvar jene gesellschaftliche Mahnung in das deutlich im Vordergrund stehende Drama ein, welches sich anders als Hirokazu Kore-edas thematisch ähnlich angelegter Film LIKE FATHER, LIKE SON ausschließlich mit der Mutterperspektive beschäftigt. Und wenngleich er auch hier verschiedene Zeitstränge elegant verbindet, vollständig studieren kann er seine Charaktere nie. Das ist in Anbetracht des anwachsenden Konfliktpotentials, welches sich nach einem gemächlichen Einstieg spätestens mit dem ersten Wendepunkt zu entfalten beginnt, aber auch gar nicht notwendig.
Farbenfrohe Stilroutine
Reihten sich in früheren Werken wie FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS Szenen und Stilmittel noch aufgeregt aneinander, sind diese vom bloßen Erkennungsmerkmal längst zu einer aussagekräftigen und stimmungsvollen Ausdrucksform heran gereift. Nicht nur die Musik von Alberto Iglesias, der mit Almodóvar bereits in ALLES ÜBER MEINE MUTTER, DIE HAUT, IN DER ICH LEBE und VOLVER zusammenarbeitete, sticht ins Ohr, sondern auch die Farbkraft der Bilder, welche José Luis Alcaine einfängt, ins Auge.
Obwohl der Film auf klischeebehaftete Überzeichnungen verzichtet, leuchtet die Alltagswelt der Figuren stets farbenprächtig auf. Das kontrastiert zum einen die Tragik und Schwere einzelner Geschehnisse und Verlustverarbeitungen, trägt andererseits aber auch zur weiterführenden Charakterisierung bei. Dem Zufall überlassen scheint keine Farbwahl. Ebenso wenig wie das lose erzählte Ende des ungewöhnlichen Beziehungsgeflechtes, das sich einer abschließenden Erklärung und Abrundung auf persönlicher Ebene verwehrt.
Fazit
PARALLELE MÜTTER ist vielleicht nicht Almodóvars herausragendster Film, aber einer seiner intensivsten. Spätestens dann, wenn das Drama seine erste schicksalhafte Hürde genommen hat, entwickeln die Figuren und deren unaufhaltsamen Verflechtungen eine stilsichere und tragische Sogwirkung. Mehrschichtig sind die Charaktere, großartig die Performances von Penélope Cruz und Milena Smit. Und während die Handlung gesellschaftlich relevante Dimensionen abseits des Charakterdramas abtastet, bleibt die Handschrift des spanischen Regisseurs unverkennbar: tragisches, dennoch leichtfüßiges und erfrischendes Kino.
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[1] https://www.labiennale.org/en/cinema/2021/lineup/venezia-78-competition/madres-paralelas, zuletzt abgerufen am 20.05.2022, 09:19
Originaltitel | Madres paralelas |
Kinostart | 10.03.2022 |
DVD/Blu-ray – Release | 02.06.2022 |
EST/VoD – Release | 26.05.2022 |
Länge | ca. 123 Minuten |
Produktionsland | Spanien | Frankreich |
Genre | Drama |
Verleih | Studiocanal |
FSK |
Regie | Pedro Almodóvar |
Drehbuch | Pedro Almodóvar |
Produzierende | Augustín Almodóvar | Esther García | César Pardiñas |
Musik | Alberto Iglesias |
Kamera | José Luis Alcaine |
Schnitt | Teresa Font |
Besetzung | Rolle |
Penélope Cruz | Janis |
Milena Smit | Ana |
Israel Elejalde | Arturo |
Aitana Sánchez-Gijón | Teresa |
Rossy de Palma | Elena |
Julieta Serrano | Brígida |
Auria Contreras | |
Carmen Flores | |
Alice Davies | |
Ainhoa Santamaría | Niñera |
Adelfa Calvo | Sobrina de Brigida |
Arantxa Aranguren | |
Inma Ochoa | |
Trinidad Iglesias |
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