Große französische Schauspielnamen, Charles Dickens’sche Motive und tierische Augenfänger – Antoine Blossiers Neubelebung des mehr als 100 Jahre alten Stoffes, welcher bereits im frühen zwanzigsten Jahrhundert in verschiedenen Filmen und in den 1970er Jahren auch als Animationsserie umgesetzt wurde, ist die jüngste Adaption Hector Malots „Sans Famille“ (zu deutsch: „Heimatlos“). Das französische Pendant zu Werken wie Dickens’ „Oliver Twist“ erschien 1878 und zählt zu den bekanntesten Romanen des in La Bouille geborenen Schriftstellers, der zu Lebzeiten über 70 Werke verfasste.
Für Antoine Blossier, der zuvor unter anderem beim Horrorfilm PREY – VOM JÄGER ZUR BEUTE Regie führte, ist die Neuverfilmung des Stoffes nicht nur sein erster Kinder- und Familienfilm, sondern auch der erste Film mit namhaften Cast. Zu Jungdarsteller Maleaume Paquin, der zuvor unter anderem in LÜGEN HABEN KURZE BEINE die Hauptrolle spielte, stoßen der bekannte Charakterdarsteller Daniel Auteuil, bekannt durch MANONS RACHE, DIALOG MIT DEM GÄRTNER und zuletzt DIE SCHÖNSTE ZEIT UNSERES LEBENS und Virginie Ledoyen, die zuvor mit Regiegrößen wie Claude Chabrol und François Ozon zusammenarbeitete. In den Nebenrollen sind außerdem Jacques Perrin (DIE MÄDCHEN VON ROCHEFORT, CINEMA PARADISO) und die auch über Frankreich hinaus bekannte Darstellerin Ludivine Sagnier (PETER PAN, LA VÉRITÉ – LEBEN UND LÜGEN LASSEN) zu sehen.
Knapp vier Jahre nach seiner Premiere in den französischen Kinos und einem überschaubaren deutschen Kinorelease erschien RÉMI – SEIN GRÖẞTES ABENTEUER Anfang März 2022 nun hierzulande auf Blu-ray und DVD.
Darum geht es…
In einer Gewitternacht beginnt ein alter Mann einer Gruppe Waisenkindern von seiner abenteuerlichen Geschichte zu erzählen. Als Junge wuchs er unbeschwert bei seiner Mutter auf, bis Geldsorgen und die Rückkehr seines vermeintlichen Vaters die Wahrheit offenbarten: er, Rémi, ist ein Waisenjunge und von Madame Barberin lediglich großgezogen worden. Der Vater schert sich nicht um das Schicksal des Jungen und will ihn ins nächste Waisenhaus bringen, als ihm ein fahrender Musikant ein verlockendes Angebot unterbreitet. Der ehemalige Violinist will sich dem Jungen annehmen und mit ihm als Sänger durchs Land ziehen. Rémi wird kurzerhand an den gutmütigen Künstler verkauft und begibt sich auf Wanderschaft durch ganz Frankreich. Dabei lernt er nicht nur die Geheimnisse des alten Vitalis kennen, sondern trifft auch auf ein Mädchen, welches im Rollstuhl sitzt …
Rezension
Dass sich RÉMI – SEIN GRÖẞTES ABENTEUER statt an naturalistischen und realistischen Beobachtungen an einer märchenhaften und wundersamen Erzählung versucht, verraten bereits die kreative Titelsequenz und der zunächst unheimlich dann doch gemütlich anmutende Prolog im Waisenhaus. Der Ruhe eines Märchenonkels zu eigen gemacht, erzählt der alte Rémi im Feuerschein von seinem Leben, welches eines Tages in seiner Sorglosigkeit erschüttert wurde. Die Figuren seiner Erinnerung sind überwiegend eindimensional und folgen vorhersehbaren Mustern, so zum Beispiel der Adoptivvater, ein Äquivalent zu den zahlreichen bösen Stiefmütter, die ihre Stiefkinder am liebsten Linsen und Erbsen sortieren oder auf dem Boden schlafen lassen. Der Unmut des Vaters bringt die beiden Hauptpersonen der Geschichte, die fortan festen Schrittes einer klassischen Heldenreise folgt, zusammen.
Einen Erzählpfad, den der Film kaum verlässt. Zu sicher wiegt er sich in der vorgegebenen Geschichte von einem Mentor und dessen Schüler, die durchs Land ziehen und einzelne Prüfungen, seien es Auftritte oder Streitigkeiten mit dem Gesetz, ablegen. Einzelne Freiheiten nimmt er sich allenfalls in der Abfolge einzelner Plotpoints, die er zu Gunsten seines jüngeren Zielpublikums und ungeachtet seiner literarischen Vorlage ausblendet oder zumindest verlagert. Das macht ihn unter anderem anfällig für dramatische Zuspitzungen, in denen besonders die musikalische Begleitung pompös aufzufahren weiß.
Belebte Bilder und verwaister Gesang
Deutlich zurückhaltender handhabt Antoine Blossier das im bereits Trailer anklingende zentrale Gesangsstück, welches Rémis Talent als Sänger herausstellen soll. Statt es wiederholt minutenlang auszuweiten und dabei nur leicht zu variieren, klingt es bedacht und zielgerichtet an den nötigen Stellen an und verleiht dem Gesang und der Figur des Rémi trotz der Einfachheit eine gewisse Zeitlosigkeit.
Was die Schauspieler mit ihren Charaktere, den überwiegend einfach gestrickten Persönlichkeiten, nicht tragen können, versuchen die Bilder mit ihrer Kräftigkeit und Größe auszubügeln. Zwar sind viele der Schauplätze und auch mancherlei Kostüme auffallend sauber, das Gesamtbild erscheint jedoch stimmig. Weniger für ein akribisch ausgearbeitetes Historiendrama dafür für einen Märchenfilm, welchem auch einzelne unwirklich ausschauende Kulissen verzeiht werden können. Dass es jedoch auch den Bildern nicht gelingt, makellos und vor allem kurzweilig über die 110 Minuten zu tragen, ist den vielen Stopps und Nebenhandlungen verschuldet, die zwar kleine Puzzlestücke zum Gesamtbild beitragen, aber auch durchaus hätten zusammengekürzt werden können.
Fazit
Innerhalb Rémis lang bestehender Geschichte und mit der deutlichen Orientierung am Kinderabenteuer- und Familienfilm ist kein großer Spielraum für Überraschungen oder Experimente. Antoine Blossier inszeniert die Abenteuer des Waisenjungen und des fahrenden Künstlers als klassische und magisch anmutende Erzählung. Einige Bilder überragen den Film dabei ähnlich hoch wie die großen Schauspielnamen, die alle das Wesentliche verkörpern. Viel mehr ist in RÉMI – SEIN GRÖẞTES ABENTEUER auch kaum möglich. Und dennoch bleibt zumindest märchenhaft atmosphärisches, seicht abenteuerliches und gut aussehendes Familienkino.
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Originaltitel | Rémi sans famille |
Kinostart | 04.11.2021 |
DVD/Blu-ray – Release | 04.03.2022 |
Länge | ca. 105 Minuten |
Produktionsland | Frankreich | Belgien |
Genre | Abenteuer | Drama | Familie |
Verleih | Der Filmverleih |
FSK |
Regie | Antoine Blossier |
Drehbuch | Antoine Blossier | Hector Malot |
Produzierende | Fabrice Gianfermi | Cédric Iland | Eric Jehelmann | Nadia Khamlichi | Adrian Politowski | Philippe Rousselet |
Musik | Romaric Laurence |
Kamera | Romain Lacourbas |
Schnitt | Stéphane Garnier |
Besetzung | Rolle |
Daniel Auteuil | Vitalis |
Maleaume Paquin | Rémi |
Virginie Ledoyen | Mme Harper |
Jonathan Zaccaï | Jérôme Barberin |
Jacques Perrin | Rémi âgé |
Ludivine Sagnier | Mme Barberin |
Albane Masson | Lise |
Zoe Boyle | Mme Milligan |
Nicholas Rowe | James Milligan |
Nicola Duffett | Mrs. Driscoll |
Simon Armstrong | Mr. Driscoll |
Fleur Geffrier | Dame auberge |
Jérôme Cachon | Gendarme Albi |
Xavier Lafitte | Docteur |
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