Paris, die Stadt der Liebe. Die Popkultur der letzten Jahrzehnte hat ein sehr einheitliches Bild von Frankreichs Hauptstadt gezeichnet. Die Stadt ist pure Romantik. Man spürt Leidenschaft, Kreativität und die Liebe. Verliebte Paare aus der ganzen Welt reisen in die Stadt, um den Eiffelturm zu erklimmen, sich architektonische Meisterwerke wie Notre Dame anzusehen oder sich im Louvre vor der Mona Lisa zu versammeln und sich zu fragen, ob die Dame im Gemälde lächelt. Es ist die Stadt der Kunst und der Kulinarik. Doch wo Licht ist, da fällt auch Schatten. Regisseur David Lanzmann zeigt uns in seinem Film SAVAGE DAYS die anderen Seiten von Paris. Er wirft einen Blick ins Nachtleben und zeigt uns, dass die Liebe komplexer ist als die klischeehafte Romanze, die wir in den letzten Jahrzehnten verinnerlicht haben. In seinem Film begleiten wir drei Figuren mit unterschiedlichen Leben, deren Wege sich immer wieder kreuzen.
Darum geht es…
Nachdem sein Vater im Gefängnis gelandet ist, beginnt Manu (Alain-Fabien Delon), in die fragwürdigen Geschäfte seines alten Herrn einzusteigen. Er fährt bei Nacht mit dem Motorrad durch Paris und versorgt seine Kund*innen mit Drogen. Einer davon ist Romain (Redouanne Harjane), ein erfolgreicher Marktanalyst. Er beobachtet die Weltlage und gibt seinen Klient*innen Investment-Tipps. Mit dieser Profession hat er es zu einigem Reichtum gebracht. Trotzdem ist er einsam, er hat sich sein Leben lang auf die Karriere konzentriert, zwischenmenschliche Beziehungen haben keine Rolle für ihn gespielt. Auf einer Premium-Dating-Seite entdeckt er die junge Eva (Lola Aubrière). Es handelt sich bei ihr um eine 22-jährige Studentin, die einfach ihr Leben genießen möchte. Bei einer Freundin lernt sie Manu kennen und ist fasziniert von dem Dealer. Gleichzeitig trifft sie sich mit Romain und genießt den Reichtum des Geschäftsmannes.
Rezension
Mit SAVAGE DAYS hat Regisseur David Lanzmann einen Film geschaffen, der auf den ersten Blick wie ein sperriges französisches Art-House-Drama wirkt. Man darf sich allerdings nicht von diesem ersten Eindruck täuschen lassen. Es handelt sich zwar nicht um eine lockere Liebeskomödie, trotzdem erzeugt der Film mit seiner knackigen Laufzeit von knapp 80 Minuten einen enormen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Lanzmann zeichnet ein authentisches Bild vom Nachtleben in der Großstadt und präsentiert uns dabei drei vollkommen unterschiedliche Figuren, deren Lebenswege sich für einen Moment überschneiden. Dabei werden uns keine unnatürlichen Erklärungen um die Ohren gehauen. Vielmehr steigen wir auf das Motorrad von Manu und begleiten ihn, Eva und Romain eine Zeit lang, um dann irgendwann wieder abzusteigen und die Fremden zurückzulassen.
Gerade durch die drei Hauptfiguren wird SAVAGE DAYS zu einem sehr sehenswerten Film. Als erstes lernen wir Manu kennen. Die erste Szene besteht daraus, dass er etwas an Romain verkauft. Von da an gehen wir Manus Weg. Er ist ein junger Mann, der von der Selbstständigkeit träumt. Er ist ein Idealist und will sich mit einer Firma für Krankentransporte selbstständig machen. Während seine Familie an seinen Drogengeschäften zu Bruch geht, strebt er nach einem Leben in Wohlstand. Dabei idealisiert er Menschen wie Romain, die etwas aus ihrem Leben gemacht haben. Er sieht allerdings nur die Fassade des Geschäftsmannes. Darunter verbirgt sich ein unsicherer Mann, der nur geliebt werden will. SAVAGE DAYS erzeugt so eine sehr spannende Dualität. Ob arm oder reich, man wird nie vollständig glücklich sein. Die letzte Person ist Eva. Ihre Figur bleibt vage. Man kann sie nicht richtig greifen, genau das macht sie aber faszinierend für Manu und Romain.
Großes Schauspiel in kleinen Gesten
Die drei Darsteller*innen machen einen großartigen Job. Man zweifelt zu keiner Zeit daran, dass es sich bei Manu, Romain und Eva um echte Personen handelt, die an unterschiedlichen Kapiteln in ihrem Leben stehen. Durch ihre Schwächen wirken sie menschlich. Romain würde zu keiner Zeit aussprechen, dass er einsam ist, dennoch transportiert Redouanne Harjane das Innenleben seiner Figur durch subtile Veränderungen der Mimik. Wenn Eva ihm sagt, dass sie an keiner Beziehung interessiert ist, wirkt er für den Bruchteil einer Sekunde verunsichert, bis er wieder den unerschütterlichen Geschäftsmann erscheinen lässt. Ähnlich verhält es sich bei allen drei Figuren. Sie haben alle eine Komfortzone und lassen im ersten Moment nur gewisse Charakterzüge zum Vorschein kommen. Je weiter die Handlung von SAVAGE DAYS voranschreitet, desto mehr können wir in das Seelenleben der Figuren blicken, ohne dass dabei auf übertriebene Gesten gesetzt wird.
An der Oberfläche erzählt SAVAGE DAYS keine besondere Story. Vielmehr wabert die Handlung vor sich hin. Die Geschichten, die unsere drei Hauptfiguren umgeben, wirken alltäglich. Der interessante Teil des Films verbirgt sich unter der Oberfläche. David Lanzmann erzählt mit SAVAGE DAYS eine Erzählung über emotionale Abhängigkeit und veraltete Denkmuster. Während Eva nur ihre jungen Jahre genießen möchte und sich ins Partyleben werfen will, wird sie mit zwei Männern konfrontiert, die sie “besitzen” wollen. Gerade Romain sehnt sich nach einer Beziehung mit der jungen Frau. Statt sich emotional auf ihn einzulassen, beginnt sie Geld für ihre Treffen zu nehmen. SAVAGE DAYS hat dabei eine der stimmungsvollsten Szenen, als es zum Geschlechtsverkehr zwischen den beiden kommt. Während Romain voller Lust ist, strahlt Eva eine enorme Distanz aus. Und trotzdem wird sie abhängig von Romains Geld.
Ein Soundtrack zum verlieben
Die letzte Kirsche auf der Torte ist die gesamte Präsentation von SAVAGE DAYS. Mit einer grandiosen Kameraarbeit werden unsere Blicke gelenkt. Wenn wir die Perspektive von Romain annehmen, sehen wir, wie er Eva betrachtet. Die Kamera schwenkt zwischen ihren Lippen und Augen hin und her. Insgesamt ist die Kamera häufig sehr nah am Geschehen und sorgt so für die eine oder andere unangenehme Situation. Des Weiteren wurde sehr bewusst auf den Einsatz von Licht und Hintergründen gesetzt. Wenn Eva und Manu aufeinandertreffen, ist die Szenerie in Rot gehalten, sodass wir wissen, dass Gefühle im Spiel sind. Bei der oben beschriebenen Sexszene zwischen Romain und Eva wird hingegen auf kalte, klare Bilder gesetzt. Das größte Highlight ist allerdings der großartige Soundtrack von Fred Sachs und Côme Aguiar. Wir werden von Daft-Punk-artigen Synthesizer-Klängen durch das Nachtleben von Paris getrieben und fühlen uns mittendrin.
Fazit:
Auch wenn SAVAGE DAYS auf den ersten Blick keine neuartige Geschichte erzählt, hat David Lanzmann doch einen sehr besonderen kleinen Film geschaffen. Wir begleiten drei vollkommen unterschiedliche, aber sehr menschliche Figuren bei ihrer Suche nach dem Glück. Nach dem Motto “woanders ist das Gras grüner” streben unsere Protagonisten nach dem, was ihnen scheinbar fehlt: Geld? Liebe? Worauf kommt es im Leben an? Der Film liefert keine Antworten, zeigt uns aber, dass diese scheinbar unterschiedlichen Personen doch dasselbe wollen. Die Schauspiel*inner liefern hier großartige Arbeit ab. Das große Highlight des Films ist allerdings der herausragende Soundtrack, der uns direkt ins Nachtleben von Paris entführt.
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Originaltitel | Jours sauvages |
Kinostart | 30.1.2021 |
Länge: | 79 minuten |
Produktionsland | France |
Genre: | Drama |
Regie | David Lanzmann |
Producer | Julien Madon |
Kamera | Pascal Lagriffoul |
Cast | Alain-Fabien Delon, Redouanne Harjane, Lola Aubrière, Michaël Abiteboul, Caroline Ducey, David Ayala, Nicolas Abraham, Mikaël Fitoussi, Edson Anibal, Eric Defosse, Marysole Fertard, Eric Poulain, Cyril Lecomte, Léa Léviant, Andy Reboli, Florent Pinget, Anastasia Kasparian, Audrey Garcia, Florine Delobel, Romy Fitoussi |
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