Originaltitel: Shorta
DVD/Blu-ray – Release: 27.05.2021
Länge: ca. 108 Minuten
Produktionsland: Dänemark
Regie: Frederik Louis Hviid | Anders Ølholm
Schauspieler:innen: Jacob Lohmann | Simon Sears | Tarek Zayat
Genre: Action | Krimi
Verleih: Koch Films
Trotz das Regisseur und Drehbuchautor Anders Ølholm bereits mit ANTBOY eine nicht unwesentliche Kinderfilm-Trilogie geschaffen hat, die einem Spin-off von Spiderman bezogen auf Ameisen gleicht, so debütiert er doch bei SHORTA – DAS GESETZ DER STRAẞE erstmalig als Regisseur. Dieses Projekt hat er sich jedoch nicht allein vorgenommen, sondern mit Hilfe von Frederik Louis Hviid junge und dynamische Unterstützung erhalten. Die noch vergleichsweise jungen Regisseure nahmen sich für ihr erstes großes Projekt sogleich ein ziemlich schwieriges Thema vor, welches zudem in der Umsetzung noch einiges mehr an Schwierigkeiten bot. Bemerkenswert ist hier wohl vor allem, dass es sich um einen Film in Echtzeit handelt. Sprich das Werk wurde zwar ganz normal gedreht, beschränkt sich aber in der inhaltlichen Handlungsdauer auf ziemlich exakt die 108 Minuten Spielzeit. Die große Herausforderung bestand somit darin in realem Tempo eine umfassende Geschichte auszuerzählen.
Dies realisierten Sie mit einem weitestgehend unbekannten Team. Zwar ist Hauptdarsteller Simon Sears derzeitig auch in der Netflix Serie SHADOW AND BONE: LEGENDEN DER GRISHA zu sehen, doch beschränkt sich das sonstige Konvolut an Auftritten vor allem auf kleinere dänische Produktionen ohne internationale Bedeutung. Umso überraschender scheint es, welch Erfolge bereits im Vorfeld mit dem hiesigen Werk erzielt werden konnten. Vertreten bei mehreren internationalen Filmpreisen, war es dem Regisseuren-Duo möglich sowohl auf dem Internationalen Filmfestival Thessaloniki 2020, dem Les Arcs Film Festival 2020 sowie dem dänischen Film- und Fernsehpreis Robert 2021 verschiedenste Auszeichnungen abzuräumen. Sogar bestand die Chance bei der diesjährigen Oscarverleihung als bester internationaler Film eingereicht zu werden. Hier wurde jedoch letztlich DER RAUSCH gewählt, was bekanntermaßen auch ein guter Schachzug war angesichts der letztendlichen Auszeichnung mit dem Goldjungen.
Darum geht es…
Talib Ben Hassi erlitt in Polizeigewahrsam schwere Verletzungen, die letztlich sogar zum Tod führten. Aufgebracht durch diese Geschehnisse ist die Situation in Dänemark sehr angespannt und aufgeheizt. Besonders im Ghetto von Svalegården kocht die Wut über. Zwar wurden die Polizeiteams vorgewarnt und angehalten die kritischen Orte zu meiden, doch geraten Jens und Mike mitten hinein in den brodelnden Kessel voll Wut und Rachegelüsten. Scheinbar gefangen inmitten des Ghettos müssen die beiden einen Weg finden nicht nur ihr eigenes Leben zu schützen und der unkontrollierbaren Masse zu entkommen. Doch immer wieder begegnen sie neuen Herausforderungen und werden stets mit derber Gewalt empfangen. Werden es die beiden schaffen aus dem Hexenkessel zu entfliehen?
Rezension
Recht unmittelbar und ohne Vorwarnung steigt der Film mit einer Szenerie ein, die uns allen aus den Medien präsent ist. Angelehnt an den Tötungsprozess des Amerikaners George Floyd, wird die Story auf lokale Gegebenheiten runter gebrochen. Mittelpunkt der Handlung wird somit auch das Thema Polizeigewalt und die daraus entstehende Folgen, doch fokussiert sich die Geschichte im hiesigen Werk offenbar auf arabischstämmige Personengruppen. Ob die Tötung George Floyds tatsächlich als Vorlage diente, ist jedoch nicht gänzlich bekannt. Als Indiz dafür kann jedoch ein ähnlicher Handlungsverlauf angesehen werden, denn auch hier entwickeln sich nur kurze Zeit nach dem polizeilichen Gewaltakt Proteste, die aus dem Ruder laufen und sich teilweise gegen die Gesetzeshüter auch durch körperliche Angriffe richten.
Dagegen jedoch spricht, dass der Film bereits auf den Filmfestspielen von Venedig im September 2020 vorgestellt wurde, während der Mord am 25. Mai desselben Jahres geschah. Da eine Filmproduktion in der Regel nicht nur die reinen Dreharbeiten umfasst, sondern auch ein unheimliches Konvolut an Vorarbeit und Management und bisher kein Datum des Produktionsbeginns bekannt ist, ist auch die Annahme einer zufälligen und gleichzeitig erschreckenden Ähnlichkeit nicht ausgeschlossen. Zumal bereits Eric Garner 2014 ein ähnliches Szenario erlitt.
Good Cop – Bad Cop
Gedreht aus der Perspektive der Polizisten wird jedoch nicht ganz klar, welche Intention die Regisseure Frederik Louis Hviid und Anders Ølholm verfolgten. Sollte hier ein politisches Statement verfasst werden, so bleibt ungewiss, ob hier für die Polizeiarbeit oder gegen die Polizeigewalt gesprochen wird oder gar ein Konstrukt beider Ansichten dafür sorgen soll Verständnis aufzubringen. Dieser Konflikt wird vor allem darin deutlich, dass die beiden Protagonisten trotz ihrer behördlichen Zugehörigkeit den Eindruck machen, als könnten sie problemlos zur gewaltbereiten Szene aus dem Film HOOLIGANS gehören. Gleichzeitig fallen aber auch Assoziationen zum Film DIE WÜTENDEN – LES MISÉRABLES sehr leicht, in welchem wir ebenfalls recht rabiate Polizisten kennen lernen, die einer aufgebrachten Meute ausgeliefert sind. Insbesondere weist die Figur Jens, die von Simon Sears verkörpert wird, eine enorme charakterliche Ähnlichkeit zu Stéphane, verkörpert von Damien Bonnard, auf.
Durchaus muss hier die Frage gestellt werden, ob auch abseits des Angriffs mit Todesfolge durch ein Polizeiteam die Ausnutzung der polizeilichen Rechte hier zu sehr ausgereizt werden und die Figur von Jacob Lohmann weit über die eigenen Kompetenzen hinausschießt. Die Geschichte zeigt die Gesetzeshüter als emotional handelnde Personen, die nicht oder nur in großzügig ausgelegtem Maße ihrer Professur nachgehen. Daher ist es auch schwierig die Sympathien zuzuordnen. Denn während wir anfangs noch ein recht drastisches Bild der beiden Protagonisten zusehen bekommen, welches keinesfalls zulassen kann, deren Handlungen gut zu heißen, wird uns mit der Zeit aufgedrückt für eben jene Personen ein Interesse zu zeigen und mit ihnen zu fühlen. Dies ist gar nicht so leicht angesichts ihres anfänglichen Auftretens.
Nicht nur Schwarz und Weiß
Doch genau hier drin besteht auch eine Stärke von SHORTA – DAS GESETZ DER STRAẞE, denn die Figurenentwicklung wird arg vorangetrieben und besonders die scheinbar schlichten Denkmuster des Mike Andersen bekommen mit der Zeit eine neue Struktur und zeigen ein beeindruckendes Erkenntnisbild. Die persönliche Entwicklung beider Charaktere zieht den Zuschauenden in seinen Bann, insbesondere im Hinblick auf die stets allgegenwärtige Bedrohung, die um die Hauptfiguren lauert. Die Regisseure entwickeln somit zwei Figuren, die sowohl als Protagonisten als auch Antagonisten angesehen werden können. Im Prinzip schaffen die Beiden daher einen Film, der fast ausschließlich aus Personen besteht, deren Handlungen nicht gutgeheißen werden können. Einzig die Deuteragonisten, die zwar eine wesentliche Rolle für das Handeln der Protagonisten haben, aber trotzdem kaum Bedeutung finden, können hier als positives Licht am Horizont herausgearbeitet werden.
Doch das Werk lebt gerade von der Bedrohlichkeit, die nicht nur die Darstellenden, sondern die gesamte aufgeladene Atmosphäre ausstrahlen. Diese fängt das Filmteam immer wieder durch beeindruckende Kamerafahrten und -platzierungen ein. So können wir einen Autounfall aus dem Inneren eines Wagens beobachten. Nicht gerade spektakulär grundlegend, denn das kennen wir auch aus vielen anderen Werken schon, doch wurde es hier tatsächlich geschafft das Publikum in die Lage der Figuren zu versetzen. Die Kamera ist dazu direkt in der Mitte, knapp hinter den beiden Frontsitzen platziert und liefert uns ungefähr die Sicht der mitfahrenden Figur auf dem Rücksitz. Da die Glasscheibe des Wagens bereits zersprungen ist, ist die Wahrnehmung stark eingeschränkt. In Abwechslung mit einigen Close-Ups, die generell im gesamten Film recht häufig vertreten sind, bekommen wir die Chance den Unfall hautnah mitzuerleben, als säßen wir selbst als Gefangene auf der Rückbank.
Es geht heftig zur Sache
Auch eine weitere Szene sollte dabei nicht unerwähnt bleiben: einige Zeit später prügeln sich beide Hauptfiguren recht immens. Auch hier wurde eine wirklich smarte Entscheidung der Kamerapositionierung getroffen, denn erneut können wir die Handlung aus Sicht des Gefangenen verfolgen. Dabei können wir den Kampf nur indirekt aus einer Toilettentür verfolgen mit Blickrichtung auf einen Spiegel. Die derbe und rohe Gewalt ist immer wieder deutlich zu erahnen, doch können wir nicht immer die Figuren auch sehen. Diese Szenerie gefällt unglaublich gut, da mit simpelsten Mitteln gearbeitet wurde und trotzdem die bereits angesprochene Atmosphäre zunehmend verschärft werden konnte.
Recht ungewöhnlich ist, dass wir die gesamte erste Hälfte das Teamvorgehen der beiden Polizisten verfolgen können und sich somit nur ein einziger Handlungsstrang entwickelt. In der zweiten Hälfte jedoch spaltet sich die auf und wir bekommen zwei parallele Storys erzählt. Entgegen sonst üblicher Methoden wird dabei nicht ständig hin und her geschnitten, sondern stets ein Handlungselement beendet, bevor wir zusehen bekommen, was im gleichen Moment die andere Figur tut. Dies erzeugt eine deutlich engere Bindung zu beiden Personen, als wenn es ständig hin und her gehen würde.
Leider entstehen jedoch genau an dieser Stelle die ersten Probleme, die auch aus dem Aufbau dieser Review merklich geworden sein dürften. Während anfangs noch recht viel Kritik Einfluss findet und ein ziemlich wichtiges Thema aufgegriffen wird, verliert sich die gesamte Geschichte auf Dauer in der eigenen Dramatik und irrt ein wenig orientierungslos umher. Auch wenn die Handlung selbst nicht schlechter wird und uns einige wirklich beeindruckenden Inszenierungen liefert, geht doch die Bedeutung des Films immer mehr über Bord. Aus einem politisch relevanten Film wird somit in der Entwicklung ein immer unbedeutenderes fiktives Geschehen, wie wir es auch schon in DIE WÜTENDEN – LES MISÉRABLES beobachten konnten.
Fazit
Wieder einmal beweisen zwei Debütanten, welche Kraft neue Erzählperspektiven haben und schaffen es eine bereits bekannte Story mit neuen Elementen und einfallsreichen Gestaltungselementen unfassbar gut aussehen zu lassen. Während in SHORTA – DAS GESETZ DER STRAẞE teilweise nicht mehr ganz klar ist, ob es sich schon um eine Dystopie handelt oder noch immer ein Spiegelbild der bitteren Realität ist, ist es den beiden Regisseuren möglich uns unzählige nennenswerte und beeindruckende Momente zu schaffen, die sich im Kopf festsetzen. Auch wenn nicht alles im Storytelling ganz rund lief, wurden doch immer wieder ungewöhnliche Wege eingeschlagen, die mangelnde Konsequenz in der Schwere des Themas ausglichen und uns dafür imposante Konflikte präsentierten und zudem ein düsteres und schwer greifbares Flair verschafften, bei dem es nur schwer möglich ist die Aufmerksamkeit jemals vom Geschehen abzuwenden. Die ist somit eine überraschende Augenweide dänischer Filmkunst.
Zufall oder überragende Genialität? Nur wenige Monate nach dem Mord an George Floyd war der hiesige Film bereits auf den Filmfestspielen von Venedig zu sehen. Ob die Regisseure einfach in brachialer Geschwindigkeit ein passendes Werk aus dem Hut zauberten oder die Überschneidungen eher zufällig sind, bleibt jedoch fraglich. In jedem Fall bekommen wir ein Thema präsentiert, welches aktueller kaum sein könnte, denn neben der Polizeigewalt und rassistischen Ansätzen, werden wir bombardiert mit einem Querschnitt von dystopischer Fantasie und angsterfüllender Realitätsnähe. Die beiden Regisseure bieten einen Ansatz, wie ausgegrenzte Gesellschaften mit der Zeit eine eigene Lebensdynamik entwickeln und sich dabei durch mögliche triggernde Momente von aufgezwungenen Regeln eines fremden Landes befreien. Recht unerwartet handelt es sich dabei weder um bekannte große Krisenherde, sondern das scheinbar dauerhaft friedliche Dänemark. Das Debüt von Hviid und Ølholm wird nur noch beeindruckender angesichts der unbeschreiblich guten Kamerapositionierungen und der stets treibenden Handlung, die uns kaum einen Moment Atempause lässt, und bei welcher der Sonnenstand in direkte Korrelation zur Stimmung und Atmosphäre gesetzt werden kann. Unterm Strich ist SHORTA ein beeindruckendes Werk, das sich zwischen HOOLIGANS und DIE WÜTENDEN – LES MISÉRABLES ansiedelt und durchaus wagt die derberen Töne anzuschlagen. Sehr empfehlenswert!
Schauspieler:in | Rolle |
Jacob Lohmann | Mike Andersen |
Simon Sears | Jens Høyer |
Tarek Zayat | Amos Al-Shami |
Issa Khattab | Iza |
Özlem Saglanmak | Abia |
Arian Kashef | Osman |
Josephine Park | Rønning |
Dulfi Al-Jabouri | Sami |
Michael Brostrup | Captain Hedegaard |
Abdelmalik Dhaflaoui | Danjiel |
Imad Abul-Foul | Ladenbesitzer |
Anne Plauborg | Reporterin |
Morten Brovn Jørgensen | Kameramann |
Ibrahim Asmaa Ahmad | blonder Mann |
Hanin Georgis | Abia’s Nachbar |
Hinterlasse einen Kommentar