Wir haben SOFT & QUIET im Rahmen des 10. HARD:LINE Film Festivals gesichtet.
Die Ideologie der sogenannten White Supremacy-Bewegung stützt ihr propagandistisches, rechtsextremes Gedankengut auf der These der „Überlegenheit der weißen Rasse“ und hebt sich selbst dabei nicht nur über Menschen anderer Ethnien, sondern begegnet diesen darüber hinaus auch noch mit ungefiltertem Hass, brachialer Gewalt und echtem Terror. Es muss nicht immer gleich der kahlgeschorene Schädel oder das Tragen von nationalsozialistischen Symbolen auf oder unter der Haut sein, das die Menschen hinter dieser Bewegung zu erkennen gibt. Rassismus und Rechtsextremismus haben längst kein offensichtliches Gesicht mehr, sondern findet mitten unter uns statt – egal ob es die freundliche Hausfrau von nebenan ist, die fürsorgliche Lehrerin oder gar der hilfsbereite Arzt mit dem charismatischen Lächeln auf den Lippen. Wer sich auf den von Blumhouse Productions produzierten Thriller SOFT & QUIET einlässt, muss sich zunächst einmal mit eben jener ungemütlichen Gesellschaft arrangieren – ein zutiefst verstörendes Erlebnis!
Darum geht es
Als leidenschaftliche Vorschullehrerin liegt Emily (Stefanie Estes) nicht nur das Wohl der Kinder, sondern auch ihrer Umwelt am Herzen. Mit der rebellischen Leslie (Olivia Luccardi), der erfolglosen Marjorie (Eleanore Pienta) und der Mehrfach-Mama Kim (Dana Millican), sowie zwei weiteren engagierten Frauen aus ihrer Nachbarschaft, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, wieder Zucht und Ordnung auf die Straßen der USA zu bringen und selbige von den multikulturellen Einflüssen der zunehmend ausländischen Bevölkerung zu befreien. Nach einer gemeinsamen Sitzung bei Kuchen und Tee soll das Treffen der Gruppe in ein privateres Ambiente verlegt werden, doch als ein kurzer Abstecher in ein Weingeschäft sie mit zwei asiatisch-stämmigen Amerikanerinnen (Cissy Ly / Melissa Paulo) zusammenführt, eskaliert die sowieso schon angeheizte Situation und manövriert den Abend in eine ungeplante Richtung, aus der es so schnell kein Zurück mehr gibt!
Rezension
Mal angenommen, die einleitenden Worte wären weniger eine nüchtern vorgetragene Abhandlung von unbestreitbaren Fakten oder eine klare politische Positionierung des Autors gegen diese menschenfeindliche Ideologie, was natürlich eine Tatsache ist, die an dieser Stelle nicht noch einmal hervorgehoben werden muss. Stell dir vor, die Einleitung würde dich mit in eben jene von Rassendiskriminierung und blinder Wut geprägte Welt hineinziehen. Dich bei der Hand nehmen, um all die verdorbenen Gedanken dieser Menschen mit dir zu teilen. Für 90 Minuten wärst du Teil dieser Gruppierung. Eine stille Mitwisser*in ohne die Möglichkeit einzugreifen. Ein überaus ungemütliches, beklemmendes Gefühl, nicht wahr? Willkommen in SOFT & QUIET!
Dass eine Putzkraft den Boden nass herauswischt, obwohl sich ein kleiner Junge noch durch die Gänge des Schulgebäudes bewegt, stellt für eine bis dato namenlose Frau, welche von der unruhigen Kamera auf Schritt und Tritt begleitet wird, ein Sicherheitsrisiko dar, weshalb sie den Heranwachsenden dazu animiert, sich vor der Reinigungskraft zu behaupten und sich für sein Recht einzusetzen. Viele werden bereits gleich zu Beginn irritiert feststellen, dass sie mit Emily, einer nach außen freundlichen, aber doch überaus eigenartige Protagonistin beiwohnen, ohne sich ausmalen zu können, was für menschliche Abgründe sich mit dem Enthüllen einer eigentlich ganz harmlosen Backware, die die junge Frau bei sich trägt, noch auftun werden. SOFT & QUIET versprüht von der ersten Sekunde an ein beklemmendes Unwohlsein und bestätigt dieses Gefühl, wenn nach wenigen Minuten auch die wahre Rolle Emilys deutlich wird: Sie ist nicht etwa die Protagonistin, sondern die Antagonistin.
Der ungemütlichste Film des Jahres!
Für ihr Langfilmdebüt wählt Regisseurin Beth de Araújo eine ungewöhnliche Perspektive. Statt die Zuschauer*innen wie gewöhnlich gemeinsam mit den Opfern auf die Reise hin zu einer noch folgenden Straftat zu schicken, lässt sie das Publikum von Anfang an zur Kompliz*in eines menschenverachtenden Verbrechens werden, indem sie es mitten in die Gesellschaft der Antagonist*innen setzt. Durch die sich in Echtzeit abspielenden Ereignisse, die darüber hinaus ohne einen einzigen Schnitt auskommen, sowie dem Einsatz einer dynamischen Handkamera, werden die Zuschauer*innen zu Mitwisser*innen, zu unmittelbaren Begleiter*innen, die ihrer Stimme beraubt, ohnmächtig mitansehen müssen, wie der Schrecken seinen Lauf nimmt. Genau dieser inszenatorische Kniff macht SOFT & QUIET zu einem umso widerwärtigeren Bastard von einem Film und gleichzeitig dem wohl unangenehmsten Seherlebnis des noch jungen Filmjahres.
Aus Selbsthass wird Hass. Während das sowohl inszenatorisch als auch thematisch ähnlich ausgerichtete belgische Thriller-Drama ANIMALS sich nach der Tat einige Zeit nimmt sein Hassverbrechen aus der Täter*innenperspektive zu erkunden, weicht SOFT & QUIET keine Sekunde von dieser Position ab. Ein unerfüllter Kinderwunsch, die gescheiterte berufliche Laufbahn oder einfach nur der unbändige Drang dazuzugehören. Was auf den ersten Blick plakativ erscheint, trifft jedoch bei näherer Betrachtung den Nagel auf den Kopf und spiegelt in seiner Einfachheit auch die triviale, simple Realität wider. Ein doppelter Boden, oder ein politisches Statement darf dabei ebenso wenig erwartet werden, wie neue Erkenntnisse über die Ursachen von Fremdenfeindlichkeit. SOFT & QUITE ist vielmehr ein ungeschönter, brutaler Einblick in die Untiefen menschlicher Abgründe, bei dem Beth de Araújo nicht nur den Finger in die Wunde legt, sondern in ohne Rücksicht auf Verluste in das offene Fleisch hineinbohrt – tiefer und tiefer, solange bis man es nicht mehr aushält!
Fazit
Der unangenehmste und verstörendste Film des Jahres! Was die Regisseurin asiatisch-brasilianischer Herkunft Beth de Araújo den Zuschauer*innen mit ihrem in Echtzeit erzählten Rassismus-Thriller zumutet, reizt die körperlichen und seelischen Belastungsgrenzen des Publikums bis aufs Maximum aus. Mit einer Kamera, die sich stets nahe am Geschehen bewegt und dem sich immer weiter zuspitzenden Szenario ohne Schnitten beiwohnt, integriert SOFT & QUIET seine Zuschauerschaft unmittelbar in einen beinahe unerträglichen Albtraum und macht sie dadurch zu Kompliz*innen einer unmenschlichen Tat.
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Originaltitel | Soft & Quiet |
Kinostart | 4.11.2022 |
Länge: | 91 minuten |
Produktionsland | United States of America |
Genre: | Horror | Thriller |
Regie | Beth de Araújo |
Executive Producer | Robina Riccitiello | Jason Blum | Beatriz Sequeira |
Producer | Josh Peters | Joshua Beirne-Golden | Saba Zerehi | Beth de Araújo |
Kamera | Greta Zozula |
Musik | Miles Ross |
Cast | Stefanie Estes, Olivia Luccardi, Eleanore Pienta, Dana Millican, Melissa Paulo, Jon Beavers, Cissy Ly, Rebekah Wiggins, Shannon Mahoney |
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