Als ein dänisches Ehepaar im Urlaub auf den charismatischen Patrick und dessen Frau Karin trifft, entwickelt sich schnell eine lockere Bekanntschaft zwischen den Paaren, die noch über den Urlaub hinaus besteht. Bald werden Bjørn, Louise und Tochter Agnes von Patrick und seiner kleinen Familie in ein Häuschen in den Niederlanden eingeladen. Aus Höflichkeit kommen sie dem Angebot nach – eine Entscheidung, die sie allmählich bereuen werden …
Rezension
Lächelnd bedankt sich Patrick für die Einladung zum Essen, klopft seinem Gegenüber wertschätzend auf die Schulter und lässt den verdutzten Familienvater Bjørn in einem leergefegten Lokal zurück. Ausgesprochen hat dieser die Einladung nie, schließlich sind er und seine Frau Louise diejenigen, die von Patrick und dessen Partnerin Karin spontan zum Dinner überredet worden sind. Das verkrampfte Essen mit unverhofften Ausgang und anschließender lautstark angetrunkener Spritztour ist nicht die erste Finte einer schamlos agierenden Urlaubsbekanntschaft und auch nicht das erste Warnsignal in Christian Tafdrups auf dem 38. Sundance Film Festival uraufgeführten Horrorfilm.
Tafdrups dritter Spielfilm zentriert die Dynamik zweier Kleinfamilien, die sich nach dem Kennenlernen in einem toskanischen Ferienidyll in der Heimat und auf Wunsch des niederländischen Elternpaares wiedersehen. Weit entfernt von ihrem Zuhause in Dänemark kann sich die geladene Familie dem zunächst harmlos und zuvorkommend erscheinenden, dann immer perfider werdenden Treiben der Gastgeber*innen ebenso wenig entziehen, wie der Film selbst seiner augenfälligen Wandlung von einem subtile Spannungsmomente generierenden, zynisch-schwarzen Humor verarbeitenden Drama zum schockierenden und kompromisslosen Alptraum.
Sei hier Gast
In der ersten Hälfte des Films, dessen internationaler Titel SPEAK NO EVIL Raum für vielfältige Interpretationen bietet, entspinnen sich eine Handvoll Situationen, die die Grenze zwischen zunächst unbeholfener freundlicher Kommunikation untereinander, immerhin sind sich die Figuren bis auf wenige gemeinsame Ferientage völlig fremd, einem gewissen Grundvertrauen und vorgetäuschter manipulativer Gastfreundschaft verschwimmen lassen. Unwohlsein und Verunsicherung erzeugt der Film nicht nur durch das zunehmende Ausnutzen von Gepflogenheiten und im Gegensatz dazu das nahezu widerspruchslose Vertrauen in diese, sondern auch durch den verräterischen Soundtrack und die vereinzelte Aussparung von Untertiteln, die im Gegensatz zu den dänischen Konversationen des einen, die niederländischen Unterhaltung des anderen Elternpaares verbergen.
Viele Warnzeichen der dramaturgisch erahnbaren Katastrophe, wie beiläufig enttarnte Lügen und offen fragwürdige Verhaltensweisen, schwinden hinter der sorgfältig befolgten Höflichkeitsetikette und der sämtliche kluge Überlegungen kompromisslos überrumpelnden Zudringlichkeit der Urlaubsbekanntschaft. Hinter den von Fedja van Huêts und Karina Smulders eindringlich wie zwielichtig freundlich gemimten Figuren, deren Hintergründe und Motivationen ebenso wie jene ihrer zurückhaltend agierenden Konterparts kaum ergründet werden. Je deutlicher die Signale, die sich für das Publikum in allerhand unbehagliche, von den Charakteren unhinterfragten Situationen streuen, desto überspitzter aber auch unglaubwürdiger wirkt die Passivität der Figuren, die sich nach einem ersten Fluchtversuch ebenso schnell zurück in den verderblichen Sog zerren lassen.
Hat sich der Film erst einmal von den Elementen einer schwarzen Komödie mit gesellschaftskritischen Anleihen entfernt, driftet die europäische Produktion zusehends in die Abgründe ihres Genres. Die in den vorangegangenen Interaktionen wortlos in Blickkontakten oder durch die schnürende Musik dezidiert aufgebaute Spannung entlädt sich in drastischen Gewaltakten, nur inhaltlich verpufft sie nahezu wirkungslos. Die aufgebauten Facetten der Handlung und psychologische Beobachtungen der Figuren oder der Familien-Beziehungen sind dann nahezu nichtig, stattdessen bewirbt sich SPEAK NO EVIL eher um einen Platz als einer der „schockierendsten Film des Jahres“. Egal ob das letztlich gute Ansätze, Schlüssigkeit in der Erzählung oder die nachhaltige Weiterentwicklung des eigenen Potentials kostet.
Fazit
SPEAK NO EVIL schickt sein Publikum zu einem zunehmend zermürbenden Kurzurlaub in die Niederlande, bei welchem zwielichtige Figurendynamiken und Handlungselemente zum Stirnrunzeln in einem alles andere als zimperlichen Schlussakt münden.
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Originaltitel | Speak No Evil |
Kinostart | 17.3.2022 |
Länge: | 97 minuten |
Produktionsland | Denmark |
Genre: | Horror | Thriller | Drama |
Regie | Christian Tafdrup |
Executive Producer | Ditte Milsted |
Producer | Trent | Jacob Jarek |
Kamera | Erik Molberg Hansen |
Visual Effects | Nina Lankveld |
Musik | Sune Kølster |
Cast | Morten Burian, Sidsel Siem Koch, Fedja van Huêt, Karina Smulders, Liva Forsberg, Marius Damslev, Hichem Yacoubi, Lea Baastrup Rønne, Jesper Dupont, Sieger Sloot, Ilaria Di Raimo, Alessio Barni, Sarina Maria Rausa, Adrian Blanchard, Martina Barreca, Andrea Benucci, Ilaria Casai |
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