Der wohl bekannteste Regisseur im Bereich Anime dürfte Hayao Miyazaki sein. Der 82-jährige Japaner hat in seiner langen Karriere einige der interessantesten Animationsfilme der Kinogeschichte inszeniert. Mit Filmen wie CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND, PRINZESSIN MONONOKE oder MEIN NACHBAR TOTORO hat Miyazaki nicht nur in Japan Fans gefunden, sondern konnte auch internationale Erfolge feiern. Mittlerweile befindet sich der Filmemacher im wohlverdienten Ruhestand. Glücklicherweise ist jedoch fast zeitgleich ein neuer Stern am Anime-Himmel aufgegangen. Makoto Shinkai ist ebenfalls seit den 1990er Jahren als Filmemacher tätig. Sein großer Durchbruch gelang ihm jedoch erst im Jahr 2016 mit YOUR NAME, einer magischen Geschichte über zwei Fremde, die miteinander verbunden sind. Allgemein findet man in seinen Filmen regelmäßig etwas andere Liebesgeschichten. Die Romanze bildet häufig das Gerüst für eine tiefgründige Geschichte über das Menschsein und die japanische Kultur. Dieser Trend setzt sich auch in seinem neuesten Film SUZUME fort, der in diesem Jahr in einigen ausgewählten Kinos bei uns startet.
Darum geht es…
Die 17-jährige Suzume (Nanoka Hara) hat bereits als kleines Kind ihre Mutter verloren und lebt seitdem bei ihrer Tante. Eines Morgens möchte sie wie jeden Tag zur Schule radeln, als ihr auf dem Weg ein gutaussehender junger Mann begegnet, zu dem sich Suzume augenblicklich hingezogen fühlt. Er spricht das schüchterne Mädchen an und fragt, ob es in der Nähe eine verlassene Stadt gibt. Suzume bestätigt dies und weist ihn in die Richtung einer alten, verlassenen Siedlung. Während sie weiterfährt, muss sie die ganze Zeit an den jungen Mann denken. Was will er bei den Ruinen? Dort lebt schon seit Jahren niemand mehr. Statt zur Schule zu fahren, dreht Suzume also um und fährt ebenfalls zu den Ruinen. Obwohl sie den Mann nicht wiederfinden kann, entdeckt Suzume eine Tür. Als sie hindurchblickt, entdeckt sie eine fremdartige Welt, die sich allerdings nicht betreten lässt.
Frustriert darüber, den Mann nicht gefunden zu haben, fährt Suzume schließlich doch zur Schule. Während sie von ihren Mitschülerinnen aufgezogen wird, sieht Suzume etwas Ungewöhnliches: Aus Richtung der Ruinen erhebt sich ein riesiger, roter Wurm und bringt die Erde zum Beben. Doch nur sie scheint dies sehen zu können. Sie beschließt deshalb, erneut zur verlassenen Stadt aufzubrechen und sieht, wie der Wurm aus der Tür hervortritt, die sie vorhin gefunden hat. Zudem findet sie den hübschen jungen Mann, der mit aller Kraft versucht, die Tür zu schließen. So beschließt Suzume, dem Mann zu helfen und das Wesen zu verbannen. Nun gibt der Mann sich als Sota Munakata (Hokuto Matsamura) zu erkennen. Er reist durch das Land, um diese Türen zu schließen und die Welt vor dem Unheil zu bewahren, das in der anderen Seite lauert.
Rezension
Mit seinem neuesten Film SUZUME lässt Makoto Shinkai wieder die Anime-Muskeln spielen und beschert uns nicht nur einen der visuell schönsten Animationsfilme des Jahres, sondern auch einen inhaltlich berührenden Film, der seine Zuschauer*innen sowohl unterhält als auch auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt. Shinkai ist mittlerweile für den visuellen Stil seiner Filme bekannt. Wir sehen die üppigen Landschaften Japans, die einem direkt ein Gefühl von Fernweh vermitteln. Auf der anderen Seite stehen moderne Städte wie Tokio, die uns die Dualität der japanischen Gesellschaft auf optischer Ebene näherbringen. Am offensichtlichsten sind seine Filme aber an den reichhaltigen Sternenhimmeln und dem Spiel mit dem Licht zu erkennen. Auch wenn Anime-Puristen beanstanden könnten, dass Shinkai neben gezeichneten Bildern viel mit CGI arbeitet, muss man sich doch eingestehen, dass er auch in diesem Werk die Dualität von Tradition und Moderne fast perfektioniert hat. Trotzdem sollte man erwähnen, dass in einigen Szenen stark erkennbar ist, dass es sich um computergenerierte Bilder handelt; dieser Stilbruch kann dazu führen, dass man in diesen Momenten etwas aus der Handlung gerissen wird.
Insgesamt muss man jedoch sagen, dass SUZUME ein Film ist, den man im Kino gesehen haben sollte. Shinkai erzeugt eine immense Bildgewalt, die man am besten auf der großen Leinwand. Nur so wird der Film seine vollständige Wirkung entfalten können. Gerade wenn man sieht, wie sich eine finstere Macht über dem Himmel von Tokio ausbreitet, nutzt der Film das Medium Kino vollkommen aus. Untermalt wird das Spektakel von einem stimmungsvollen Soundtrack, bei dem insbesondere Anime-Fans auf ihre Kosten kommen. Der Film lenkt einerseits unsere Emotionen mit gefühlvollen Stücken und greift in einigen weniger aufwühlenden Szenen auch immer wieder auf leichte Popsongs zurück, damit wir zwischen all den Gefühlen auch mal verschnaufen können. Der Film entwickelt dabei ein sehr angenehmes Tempo und überrascht gerade westlich geprägte Zuschauer*innen mit seinem Handlungsverlauf.
Keine klassische Liebesgeschichte
Inhaltlich scheint SUZUME das Rad erstmal nicht neu zu erfinden. Eine junge Frau entwickelt Gefühle für einen mysteriösen Fremden, dann gibt es noch ein bisschen Magie, ein paar Geheimnisse, ein paar Mal kräftig rühren und fertig ist der durchschnittliche Anime-Film. SUZUME bietet allerdings einiges mehr, insbesondere wenn man den Subtext unter die Lupe nimmt. Die Hauptfigur hat ein tiefes Trauma erlitten, durch ein Ereignis, das Japan in seinen Grundfesten erschüttert hat. Am 11. März 2011 kam es in Japan zu einem heftigen Erdbeben, mit anschließendem Tsunami, durch den es letztendlich zur Nuklearkatastrophe im Atomkraftwerk Fukushima kam. Viele Menschen haben ihr Leben verloren, so auch die Mutter von SUZUME im Film. Das ganze japanische Volk wurde von der Katastrophe traumatisiert, und Makoto Shinkai versucht, dieses Trauma in seinem Film zu verarbeiten.
Dabei spielt nicht nur dieses furchtbare Unglück eine Rolle, sondern auch die japanische Naturverbundenheit und der Shintoismus. Die Naturreligion, die bis heute viele Anhänger*innen in Japan findet, steht mit ihren Lehren über Tiere und Natur im krassen Kontrast zum Turbokapitalismus, der Tokio zur weltweit größten Metropolregion gemacht hat. Shinkai wirft auch hier wieder einen Blick auf die vielen Kontraste seiner Heimat. Der Film ist wie die aus dem Taoismus bekannte Symbolik von Yin und Yang. Wo Licht ist, fällt auch Schatten. Wo Gutes ist, gibt es auch Böses. Doch auch in der tiefsten Dunkelheit steckt immer etwas Licht. Gerade mit diesen Lehren spielt der Film offensichtlich in Form zweier Naturgötter.
Der Fluch der deutschen Synchronisation
Um bei dieser Analogie zu bleiben: Auch wenn SUZUME ein beeindruckender Film ist, gibt es zwei auch Schatten in dem sonst so strahlenden Werk. Zum einen bekommt der Film keinen regulären Kinostart und kann nur in einigen Spezialvorführungen gesehen werden. Darüber hinaus hat der Film in der deutschen Fassung einige unangenehme Schnitzer in der Übersetzung. Die Sprecher*innen machen alle einen großartigen Job, aber die Formulierungen, die hier teilweise aus dem Mund der 17-jährigen Hauptfigur kommen, würde niemand benutzen, der bei Verstand ist. Immer wieder findet man sich in Dialogen wieder, die wirken, als wären sie 50 Jahre zu alt. Da der Film nichts für die beiden Punkte kann, fließen sie nicht in die Bewertung ein, trotzdem lohnt es sich vielleicht den Film im Original mit Untertiteln zu schauen.
Fazit:
Wie auch bei Shinkais anderen Filmen handelt es sich bei SUZUME wieder um einen Film, den man nicht verpassen sollte. Der Film verzaubert uns auf den ersten Blick mit seiner wunderschönen Optik und seinem stimmungsvollen Soundtrack und schafft es darüber hinaus ebenso inhaltlich zu überzeugen. Auch wenn die Handlung auf den ersten Blick wie eine durchschnittliche Liebesgeschichte wirkt, ist SUZUME ein Film voller Symbolik, der uns ein Bild von der japanischen Kultur zeichnet. Auch Anime-Muffel kommen auf ihre Kosten, obwohl japanophile Anime-Fans vermutlich am meisten Spaß mit SUZUME haben werden. Mit SUZUME zementiert Makoto Shinkai seinen Status als herausragender Filmemacher.
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Originaltitel | すずめの戸締まり |
Kinostart | 11.11.2022 |
Länge: | 123 minuten |
Produktionsland | Japan |
Genre: | Animation | Drama | Abenteuer | Fantasy |
Regie | Makoto Shinkai |
Executive Producer | Yoshihiro Furusawa | Noritaka Kawaguchi |
Producer | Genki Kawamura | Koichiro Ito | Kinue Ito | Wakana Okamura |
Kamera | 津田涼介 |
Musik | 野田洋次郎 | 陣内一真 |
Cast | Nanoka Hara, Hokuto Matsumura, Eri Fukatsu, Shota Sometani, Sairi Ito, Kotone Hanase, Kana Hanazawa, Matsumoto Hakuō II, Ryunosuke Kamiki, Ann Yamane, Akari Miura, Yoji Ueda, Aimi, Yuu Ayase, Akihiro Tajima, Ryoko Nagata, Shinnosuke Imazu, Kyo Yaoya, Hinano Harumi, Nanae Sumitomo |
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