TÁR |
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Veröffentlichung: 2022-09-23Genre: MusikLänge: 158 minutenBudget: $ 35,000,000 | |
ÜbersichtDer Film handelt von der fiktiven Figur Lydia Tár, der ersten Frau, die jemals als Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters eingeladen wurde. Dabei muss sich die weltbekannte Künstlerin in einem männerdominierten Beruf bewähren. Der Film folgt Lydia Tár in ihrem Alltag in der deutschen Hauptstadt bis hin zu ihrer neuesten Aufnahme, {Gustav Mahler}s 5. Symphonie. Dabei hat die ambitionierte Frau Mühe, ihr Berufs- und Privatleben voneinander zu trennen, was Konsequenzen haben könnte. So deutet sich eine Beziehung mit einer Cellistin an – was auch Társ Ehefrau nicht verborgen bleibt. Quelle: www.themoviedb.org |
Cate Blanchetts Performance als Lydia Tár, der Hauptrolle im gleichnamigen Film TÁR, der unter unter Todd Fields Regie entstanden ist, ist nicht nur ein musikalisches Meisterwerk sondern zeigt gleichzeitig auf, wie die eigene Stellung zur Machtausübung zum Verhängnis werden kann.
Schon zu Beginn des Filmes wird deutlich, dass sich Lydia Tár eng mit ihrer beruflichen Tätigkeit als Dirigentin identifiziert, mehr noch, sie ist mit dieser Rolle verschmolzen. Die erste Szene in der sie auftritt ist ein Interview, indem es dem Zuschauer gelingt, sich einen ersten Eindruck von ihr zu machen, und was für einen: Mit ihrer tiefen, seriösen, ausdrucksstarken Stimme und ihrer intellektuellen Wortwahl hebt sich Tár von ihrem Umfeld ab, wie es nur ein Künstler kann, der sich intensiv mit seiner Schaffensweise auseinandergesetzt hat und weiß, wovon er spricht. Sie befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt ihrer Kariere, die im Laufe des Films eine entscheidende Wendung Richtung Untergang nimmt.
Nun kann man sich natürlich fragen, warum ausgerechnet das Dirigieren als Medium benutzt wurde, welches dazu dient, entscheidende Persönlichkeitsmerkmale Lydia Társ zu entpuppen und eine Geschichte über Macht und Ausbeutung zu erzählen, wie es bisher keiner zuvor gemacht/gewagt hat. Nun, diese Frage sollte sich für jeden im Laufe des Films klären, der mit ansieht, was für eine große Bedeutung es für Tár in ihrem Leben hat- Dirigieren ermöglicht ihr die gottgleiche Fähigkeit, diejenige zu sein, die die Entscheidungen trifft, diejenige, die Leben schafft und es wieder beendet, kurzum, es projiziert ein grandioses Gefühl der Macht, die sie im Moment des Dirigierens über das jeweilige Orchester verfügt.
Ein gelungener Film über die Bedeutung von Macht
Somit ist die Wahl eines Dirigenten, der dem Orchester den Weg weist, ein geniales Unterfangen, wenn es darum geht, Machtdemonstrationen vonseiten eines Übergeordneten gegenüber einer untergeordneten Masse deutlich zu machen. Andererseits wird dadurch deutlich, wie die Rolle eines Dirigenten, generell einer leitenden Position interpretiert werden kann und zeigt auf, wie es jedem von uns, auch in einem anderen Berufsfeld passieren kann, dass wir uns in einer ähnlichen Position befinden, wo wir die bewusst oder unterbewusste Entscheidung treffen, wie wir mit unserer Rolle umgehen, ob wir ihr mehr Macht zugestehen als nötig und uns in diesem angenehmen, sicheren Gefühl verlieren und ihm nachgeben.
Es sind diese schwierigen, kontroversen Fragen, die den Film einmalig und äußerst aktuell machen. Wie gehen wir mit unserer eigenen Position in der Gesellschaft um? Gibt es bedeutendere Personen als andere? Personen die mächtiger sind? Und wenn ja, wie viel dürfen sie sich unter Gebrauch dieser Macht erlauben.
Viele würden Lydia Tár im weiteren Verlauf des Films sicher als Täter, und nicht als Opfer sehen. Doch ich sehe das ein Stück anders und möchte mir erlauben, anzunehmen, dass ich nicht falsch liege wenn ich sage das es möglich ist, besonders ab einer hohen Begabung und hohem Bekanntheitsgrad sein eigenes Werk, seine eigene Bedeutung zu priorisieren und seine Umgebung, in diesem Falle wortwörtlich, zu Instrumenten zu machen, die einem Helfen, das eigene Identitätsbild aufrecht zu erhalten. Ich selbst gestehe Lydia Tár ihre bedeutsame Rolle als größte Dirigentin ihrer Zeit zu. Es ist ihre Herangehensweise, die früher oder später dazu führt, dass sie sich selbst und ihren Fehltritten zum Opfer wird.
Eine Aussage Társ, die sie zum Abschluss einer misslungenen Auseinandersetzung mit einem Julliard Schüler trifft, bleibt besonders lang haften:
Ironischerweise tut sich hier ein Widerspruch ihrer Worte gegenüber ihres Verhaltens auf. Sie sagt zwar, man habe in dem Beruf als Dirigent seine eigene Identität auszulöschen, doch dies ist in ihrem Auftreten als Person, die hinter der Dirigentin steckt, nicht der Fall. Das berauschende Gefühl der Macht erlaubt ihr, sobald ihr Job als Dirigentin endet, sich selbst wichtiger zu nehmen, und ihren Gelüsten, über andere, besonders junge Frauen, nachzugeben, ihnen freien Lauf zu lassen und über sie zu verfügen wie es ihr beliebt. Dass Tár eine Vorliebe für junge Frauen hat, liegt dabei nicht nur an deren Sexappeal sondern dem Wunsch, die Jugend selbst zu besitzen, dieses junge Talent in die eigene Obhut zu nehmen, es sogar eine Weile zu fördern, und auch mitunter eine sexuelle Beziehung einzugehen, die darauf beruht, dass Tár die Fäden selbst in der Hand hat und aufgrund ihrer Machtposition entscheidet, welche Form diese Beziehung annimmt. Allerdings hat sie sich wohl in der jungen Cellistin, Olga, geirrt, denn diese ist nicht an Tár interessiert und handelt anders als erwartet, anders als bei der letzten jungen Frau, die Tár “in die Fänge“ geraten ist. Als Tár Olga auf einer Dienstreise wie selbstverständlich annimmt, sie würde sie mit in die Lobby begleiten, verneint diese, wird später aber von Tár gesehen, wie sie, in einem schönen Abendkleid, nun doch ihr Zimmer verlässt, ohne Tár als Begleitung mitzunehmen.
Dies ist für Tár ein weiterer Niederschlag, ist bis zu diesem Punkt die Geschichte schon so weit fortgeschritten, das herauskommt, dass ihre ehemalige Beziehung mit einer jungen Schülerin zum Selbstmord eben dieser geführt hat. Tár ist es weder gewohnt, für Ihre Handlungen einzustehen, noch, dass sie nicht begehrt wird. Am Ende des Films ist zu sehen, wie sie, mit Aufkommen des Skandals um den Selbstmord der Schülerin aufgrund ihrer Beziehung mit Tár, von ihrem eigentlichen Job abgezogen worden und gezwungen ist, in einem anderen Land Filmmusik zu dirigieren, vor einer Audienz gänzlich bestehend aus Cosplayern. Diese letzte Szene ist entscheidend, denn nun ist sie an einem Punkt angelangt, wo die Leute nicht kommen, um sie dirigieren zu sehen sondern einzig allein der Musik wegen. Zum ersten Mal wird die Aussage, die Tár zu Beginn des Films über die Auslöschung der eigenen Identität getroffen hat, wahr.
Fazit
Todd Field ist es hervorragend gelungen, eine facettenreiche Handlung mit ebenso facettenreichen Charakteren zu erschaffen. Allen voran geht Lydia Tár, die von Cate Blanchett so großartig ins Leben gerufen wird, dass man meint, es handele sich nicht um eine fiktive, sondern eine echte Person. Der Film bringt einem näher, wie es sich anfühlt, trunken von Macht zu sein und sich zu wohl mit dieser Realität zu fühlen, dass man nichts tut um sie zu ändern. TÁR ist eine Erinnerung daran, dass nichts schwarz und weiß, sondern vielmehr ineinander übergehend und repräsentiert Machtdynamiken, wie sie so überall in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Mit seinen Botschaften und herausragender Ausdruckskraft ist der Film überaus empfehlenswert, jedenfalls wenn man sich traut, genauer hinzusehen.
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Originaltitel | TÁR |
Kinostart | 23.9.2022 |
Länge: | 158 minuten |
Produktionsland | United States of America |
Genre: | Musik | Drama |
Regie | Todd Field |
Executive Producer | Cate Blanchett | Nigel Wooll | Phil Hunt | Stephen Kelliher | Marcus Loges | David L. Schiff | Uwe Schott | Compton Ross |
Producer | Todd Field | Alexandra Milchan | Scott Lambert | Sebastian Fahr-Brix |
Kamera | Florian Hoffmeister |
Visual Effects | Jean-François Ferland | Emilien Lazaron | Jake Nelson | Nick Tanner |
Musik | Hildur Guðnadóttir |
Cast | Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant, Sophie Kauer, Julian Glover, Mark Strong, Sylvia Flote, Allan Corduner, Mila Bogojevic, Adam Gopnik, Marc-Martin Straub, Egon Brandstetter, Ylva Pollak, Paula Först, Sydney Lemmon, Nicolas Hopchet, Zethphan Smith-Gneist, Kitty Watson, Alec Baldwin, Jessica Hansen |
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