Mit einem Flimmern verabschiedet sich das verheißungsvolle Logo von A24 und das Schwarzbild bricht mit geheimnisvollen Flüstern auf. Es enthüllt einen steinernen Saal, ein weißer Lichtstrahl auf eine Gestalt im güldenen Gewand fallend. Eine Krone senkt sich schwebend herab, die leise Stimme erzählt von Wundern. Sie färbt sich tiefer, berichtet von jenem Mann, den die Geschichte fortan folgen wird, dann geht das Gesicht der gekrönten Gestalt in Flammen auf und die Kamera schwenkt zur tiefschwarzen Nacht hinaus. Innerhalb der ersten Minute und innerhalb vieler, die danach folgen werden, stößt David Lowery ein Tor zum Mittelalter auf, das in ruhigen Bildern von einem ungewöhnlichen Schicksal erzählt. Es ist die Geschichte von Sir Gauwain und dem Grünen Ritter, deren Entstehung weit bis ins England des 14. Jahrhunderts zurückreicht, vermutlich sogar noch weiter.
Die Geschichte von Sir Gawain und dem Grünen Ritter, beruhend auf den Schriften eines bis heute unbekannten Autors, ist kein weitschweifiges Werk von mehreren hundert Seiten, in seiner Kürze jedoch mit enormer Sprachgewalt gefüllt und präzisiert. Der Roman sticht dabei nicht nur aus der umfangreichen Artusliteratur hervor, er gilt außerdem als eines der Meisterwerke der stabreimenden Dichtkunst. Ein verzwickt zu übersetzendes Werk, nicht nur in der Literatur, sondern auch in eine moderne Filmsprache. Lowery inszeniert sein neusten Filmen, als wäre dies eine Leichtigkeit. Nicht, weil er den Stoff auflockert oder entmystifiziert, sondern weil er sich die Zeit und die Geschichte wie kein anderer in einem unheimlichen sowie magischen Realismus einverleibt.
Darum geht es…
Zum Weihnachtsabend betritt eine geheimnisvolle Gestalt den Hof des Königs Artus. Ein riesenhafter grüner Ritter, halb Mensch, halb Baum erweist den Versammelten die Ehre und stellt zugleich eine verlockende Herausforderung. Wer von den versammelten Rittern den Mut aufbringe, könne gegen den Giganten einen Schwertschlag seiner Wahl ausführen. Als Bedingung stellt er, dass er im Falle seines Überlebens, ein Jahr später denselben Schlag an dem Menschen erwidern dürfe. Aus den Reihen des Königs erhebt sich der junge Sir Gawain, der die Herausforderung annimmt und dem Grünen Ritter kurzerhand den Kopf abschlägt. Als dieser jedoch nicht zu Grunde geht und mit seinem Kopf in der Hand zum Tor hinausläuft, sieht sich Gawain mit seinem Schicksal konfrontiert, welches ihn ein Jahr später auf eine Reise zur Grünen Kapelle führt …
Rezension
Lowery weiß um die Bildhaftigkeit des jahrhundertealten Ausgangsstoffes und entwirft in seinem aktuellsten Film ein eindringliches Zwei-Stunden-Gemälde. Eine Seherfahrung, die sich mit wiederholten Schauen schleichend erschließt, während vieles des Gezeigten ebenso gemächlich im Erzählfluss vor sich hin treibt. Lowerys filmische Verarbeitung hält sich in Teilen nah an die mittelalterliche Vorlage, wagt während Gawains Reise und gerade gegen Ende des finsteren Märchens aber ebenso Eigeninterpretationen, die bereits in der Fokusverschiebung des Titels anklingen. Zeitgleich entwickelt der Film eine Atmosphäre, die das Mittelalter als Grundriss und das Sagenhafte als Kernstück in sich trägt. Eine Atmosphäre, die mit ihren dreckigen und zum Teil alptraumhaften Bildern eine gespenstische Sogwirkung erzeugt und sie mit Klänge und der musikalischen Begleitung zur Formvollendung führt.
THE GREEN KNIGHT ist eine blutbesudelte Sagenerzählung, welcher in über mehr als zwei Stunden freie Entfaltung eingeräumt wird. Das bewahrt die Atmosphäre davor, in stimmungszerfressenden Tempo unterzugehen und die Geschichte davor, sich auf mittelalterliche Kampfchoreografien und andere Genre-Konventionen zu verlassen. Einfach gestrickt, tritt die Handlung gegenüber der Erfahrungswerte seiner Hauptfigur häufig in den Hintergrund, dessen Werdegang behutsam und vielschichtig ausgeleuchtet ist.
Hinter der Maske des Grünen Ritters
Unter der sorgfältigen Maskerade und Kostümierung geschieht das Schauspiel zumeist subtil. Die wenigen Dialoge oder auch Monologe, die auf Sir Gawains ungewisser Reise anklingen, sind kraft- und bedeutungs- und schon durch kleinste Gefühlsregungen wirkungsvoll. Beinah verlieren sich einzelne Figuren in Wort- und Nebelschwaden. In anderen Begegnungen, etwa im Gespräch mit dem Lord (Joel Edgerton) und seiner Lady (Alicia Vikander), zeichnet sich der Abgesang auf die alte, etablierte Welt ab. Wiederholt wird Dev Patel in der Verkörperung des jungen Mannes Gawain mit der Vergänglichkeit und innerer Zerrissenheit konfrontiert, stets überschattet von zweifelhaften Ehrversprechen. Zu jenen zentralen Themen gesellt sich der mystische grüne Ritter als Verkörperung naturaler Urgewalt und als beeindruckend in Szene gesetzte Fantasygestalt.
Wohl alle nur größtes Erstaunen zeigen!
Kühn und gewaltigen Schrittes, so kam der Ritter daher,
Von Kopf bis Fuße in Grün, so wie das weite Meer.Gauwain und der Grüne Ritter (Edition Perceval) Gebundene Ausgabe – 1. Januar 1992 - von Marianne Rutz (Herausgeber, Übersetzer), Anonymus (Autor)
Dessen Haupt ist Produkt aufwendiger Prothetik und akribischer Maskenarbeit. Beeindruckendes Handwerk, welches unzweifelhaft zum Detailreichtum und der Hypnotik der Bilder beiträgt, die wiederholt ihre Grenzen zum Horrorfilm abtasten. In gespenstischer Beleuchtung stellen sich die Farbintensität und Plastizität der Bilder heraus, die sich im Zusammenspiel mit einem vielschichtigen Sounddesign und den (alp-)traumhaften Windungen der Handlung zur einnehmenden Seherfahrung verdichten. Das alles eingebettet in eine meditative Reise, die die Theatralik einzelner Charaktere zur Gewichtung ihrer Botschaft nutzt und den Atem des jahrhundertealten Werkes begnadet aufnimmt.
Fazit
THE GREEN KNIGHT ist eine atemberaubend gefilmte, atmosphärisch dicht in Szene gesetzte sowie surreale Reise, die den Geist der alten Ritterromanze beispiellos einfängt. Eine langsam erzählte, facettenreiche Geschichte, welche Erklärungen, nicht aber einen faszinierenden Bilderreichtum scheut.
Originaltitel | The Green Knight |
Kinostart | 29.07.2021 |
DVD/Blu-ray – Release | 09.12.2021 |
Länge | ca. 130 Minuten |
Produktionsland | Irland | Kanada | USA | Vereinigtes Königreich |
Genre | Abenteuer | Drama | Fantasy |
Verleih | Telepool |
FSK |
Regie | David Lowery |
Drehbuch | David Lowery |
Produzierende | David Lowery | Jason Cloth | Tomas Deckaj | Eoin Egan | Aaron L. Gilbert | John Gilliland | Toby Halbrooks | Tim Headington | Jeanie Igoe | James M. Johnston | Macdara Kelleher | Ashley Levinson | Anjay Nagpal | Theresa Steele Page | Edmund Sampson |
Musik | Daniel Hart |
Kamera | Andrew Droz Palermo |
Schnitt | David Lowery |
Besetzung | Rolle |
Dev Patel | Gawain |
Alicia Vikander | Essel |
Joel Edgerton | The Lord |
Sarita Choudhury | Mutter |
Anaïs Rizzo | Helen |
Joe Anderson | Paris |
Noelle Brown | Madam |
Nita Mishra | ältere Schwester |
Tara Mae | mittlere Schwester |
Atheena Frizzell | jüngste Schwester |
Sean Harris | König |
Kate Dickie | Königin |
Chris McHallem | Lord in Waiting |
Ralph Ineson | Green Knight |
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