Rezension
aus dem Programm des 40. DOK.fest München
Wenn die erste Protagonistin Luciana Kaplans schwarzweißen Dokumentarfilm betritt, scheint es, als würde diese über einen fremden Planeten spazieren. Als würden die Sitzreihen des Kinos, die sie mit einem Bläser vom Staub befreit, Teil einer unwirklichen Landschaft sein, die herumwirbelnden Staubpartikel in der Luft außerirdische Sporen. Tatsächlich verbirgt sich unter dem weißen Schutzanzug und dem Plastikvisir aber eine von vielen Frauen, die im Reinigungssektor der mexikanischen Hauptstadt arbeiten. Die die Wartehallen und Straßen, die U-Bahn-Stationen und öffentlichen Plätze der Großstadt sauber halten und dabei aus dem Blickfeld vieler verschwinden.
Dass das nicht die einzige Unsichtbarkeit bleibt, der sich die Regisseurin im Laufe ihrer Dokumentation annimmt und der sie etwas entgegenzusetzen versucht, lässt bereits der Titel eben jener bereits erwarten. Invisible – unsichtbar sind nicht nur Menschen, sondern auch effektive Schutzmaßnahmen, gerechte Bezahlung. Kaplan spürt sowohl die Menschen hinter den Schutzanzügen und Kehrgeräten, als auch die Missstände des Systems auf, in dem sie arbeiten. Jene offenbaren sich mal kleiner, mal größerer Natur, manchmal so groß und zerstörerisch, dass Protagonistinnen und deren Geschichte zum Schutz ihrer selbst von Schauspielerinnen nachgestellt werden.
Aurea, Aurora, Claudia und Gregoria sind nur ein paar Namen verschiedener Protagonistinnen, deren Arbeitsalltag und Erfahrungen die Regisseurin in unaufgeregten Beobachtungen und einfachen Interviewsequenzen nach außen kehrt: deren Erfahrungen im Beruf, mit schlechter Ausstattung, finanzieller Abhängigkeit, Ausbeutung, mit Einschüchterungsversuchen und Macht- und sexuellen Missbrauch. Puzzleteile noch viel größerer gesellschaftlicher und sozialer Missstände, die sich nicht nur in Mexiko weiterhin in erschreckenden Femizid-Zahlen niederschlagen und im entschleunigten Bilderbogen der Dokumentation aktuelle – schlichte, aber auch aufwühlende – Gegenwartseinblicke liefern.

The Invisible Contract © DOK.fest München
Fazit
Luciana Kaplan kratzt in THE INVISIBLE CONTRACT an umfassenderen Beobachtungen, an solidarischen Zusammenschlüssen, Demonstrationsbewegungen, kehrt aber zu den Einzelschicksalen ihrer Protagonistinnen zurück, ehe ein tiefgreifenderes Bild struktureller Probleme entsteht. Den Bildern von Kameramann Ernesto Pardo gelingt ein Spagat indes fast mühelos: der zwischen sphärisch-poetischen und bodenständigen Beobachtungen. Bevor ihre Fingerabdrücke durch billige Scheuermittel allmählich verblassen, sind mit jenen Aufnahmen kleine Porträts der Frauen, ihrer Arbeit und gesellschaftliche Bestandsaufnahmen längst in fesselndes Schwarzweiß gebannt.
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Originaltitel | Tratado de Invisibilidad |
Kinostart | 19.10.2024 |
Länge: | 85 minuten |
Produktionsland | |
Genre: | Dokumentarfilm |
Regie | Luciana Kaplan |
Producer | Luis Arenas | R. Paul Miller | Ursula Romero |
Cast | Aurora López Domínguez, Rosalba Martínez |
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