Rezension
Die Beobachtungen des Protagonisten sind kaum detaillierter, seine heimlichen Fingergriffe kaum präziser, die Vorbereitungen zum Diebstahl vierer Kunstwerke kaum durchdachter als die eines durchschnittlichen Museumsbesuchers. Ganz im Gegensatz zu den filmischen Fertigkeiten, mit denen Kelly Reichardt auf Grundlage dieser Prämisse ihren aktuellsten Spielfilm inszeniert. Stand in ihrem vorherigen Film noch eine Bildhauerin im Vordergrund, modelliert Reichhardt nun ihre eigene Version eines Heist-Movies. Zumindest anteilig. Die zweite Hälfte des Films folgt seinem Protagonisten auf eine persönliche Odyssee, eine Flucht, nicht nur vor der Polizei, sondern auch vor der Welt und sich selbst.
Dabei führt James B. Mooney (Josh O’Connor) eigentlich ein recht unauffälliges Leben, Anfang der 1970er Jahre lebt der arbeitslose Tischler in einer kleinen Stadt in Massachusetts. Mit seiner Frau Terri (Alana Haim) und seinen Kindern (Sterling Thompson, Jasper Thompson) geht er regelmäßig ins örtliche Museum, schlendert durch die Ausstellungen und feilt nur heimlich, in Gedanken und im Keller seines kleinen Wohnhauses, an einem waghalsigen Plan: Mit ein paar eingeweihten Freunden will er vier Gemälde aus einem Museum stehlen. Ein Vorhaben, das nicht erst im Nachhinein, sondern schon währenddessen zum Scheitern verurteilt ist.
Mit seinen Heist-Elementen und Reichardts gewohnt geerdeter Inszenierung ist THE MASTERMIND nicht nur willkommene Abwechslung zu all den überkonstruierten Vertretern seines Genres, sondern ist – mit Blick auf den Protagonisten und den zeitlichen Kontext – auch darüber hinaus fesselnd. Ganz gleich, wie vage die Vergangenheit der Hauptfigur bleibt, ihre inneren Konflikte und auch die jener Zeit, in der die Geschichte spielt, sind in vielen Teilen des Films allgegenwärtig.
Ein Kunstdieb ist entflohen
Entgegen dem, was der Titel vermuten lässt, zeigt sich der Protagonist keineswegs als respektiertes, makelloses Genie, weder im Planen von Diebstählen noch in der Beziehung zu seiner Familie, seiner Frau, seinen beiden Söhnen. Er ist kein Mann großer Worte oder Gefühle, einer, dem kaum jemand etwas zutraut und doch selbstsicher, opportunistisch. Einer, der sich von dem Einbruch, der in seinem Kopf deutlich ausgefeilter wirkte, als er sich in der Realität offenbarte, nicht nur ein Sümmchen zum Überleben, sondern vielleicht noch etwas mehr erhofft. Spätestens wenn er sich im letzten Drittel des Films offen eingesteht, ohne Ausweg festzusitzen, scheint klar, er tut es nicht erst, seit er die Flucht vor der Polizei ergriffen hat. Er tut es, in seinem Leben, schon seit längerer Zeit. Und der Einbruch wirkt wie ein verzweifelter Versuch, daraus auszubrechen.
Reichardt erzählt die tragische Geschichte ihres wortkargen Antihelden, ohne diesen oder seine Mittel zu glorifizieren, mit Distanz, mit Ruhe, mit immer wiederkehrendem, fein eingearbeitetem Humor. Mit einem Auge auf der Suche nach dem Menschlichen, Erwartungshaltungen unaufdringlich unterlaufend, Bresson-esk. Enormer Aufwand seitens der Charakter, sei es die Planung des Verbrechens oder das Verstecken des Diebesguts, löst sich häufig rasch wieder auf, – der Film spielt mit einer Dramaturgie, die es liebt, mit mühsamer Kraft aufgebaute Dinge beinah klanglos, aber niemals wirkungslos verpuffen zu lassen.
![Drei Männer stehen auf einem Parkplatz vor zwei geparkten Autos. Ein Mann trägt eine dunkelblaue Jacke mit gelben Streifen an den Bündchen und einen rosa Pullover. Ein anderer Mann trägt eine helle Jacke und dunkle Hose, die Hände in die Hüften gestützt. Der dritte Mann steht im Hintergrund, trägt eine blaue Jacke und hat lockiges Haar. Im Hintergrund sind Gebäude und ein Zaun zu sehen. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/10/The-Mastermind_Still-11_©2025_Mastermind-Movie-Inc-1400x788.webp)
The Mastermind ©2025 MUBI
Kleine und große Rebellionen
Parallel zu den inneren Kämpfen des Protagonisten und ihrer eigenen gegen effekthascherische Erzählmuster skizziert Reichardt politische und gesellschaftliche Stimmungen: Mobilisierungen gegen den Vietnamkrieg, die Frauenbewegung, Desillusionierungen nach der Aufbruchsstimmung der 1960er. Zeitschnipsel, die sich unter die persönlichen Rebellionen des Protagonisten mischen, die reduzierten Alltagseinblicke unterfüttern. Es sind Fernseh- und Radiobeiträge, die die Tiefe der Welt genauso auszugestalten wissen wie die realistischen Abweichungen vom Tagesablauf, – das Kind, das sich stur dazu entscheidet, eben nicht für ein paar Tage mit zur Oma zu fahren.
Für lange Zeit brodeln die Konflikte unabhängig von einander, ehe sie sich am famos einschnürenden Ende unentwirrbar zusammenfinden. Die Krimielemente sind bis dahin schon längst zur Sidequest einer unbekümmert gradlinigen Außenseiter-Odyssee geworden. Bei beidem gelingt Reichhardt eine eindringliche Spannweite zwischen fein konstruierter Spannung und Innehalten bis kurz vor den Stillstand. Wie auch bei dem Protagonisten, in dessen Rolle Josh O’Connor nach LA CHIMERA erneut als in sich gekehrter, ambivalenter diebischer Charakter überzeugt. Auch er steht auf der Flucht zwar nie wirklich still, kommt aber letztlich kaum vom Fleck.
Herbstgestöber
Sowohl sein persönliches Schicksal als auch die gesellschaftlichen Skizzen wirken wie unheilvolle Vorboten krisengebeutelter Jahre. Und die selten aus der Ruhe zu bringenden Aufnahmen von Christopher Blauvelt verstärken diese Stimmung eindringlich: ein kühler, grauer Herbst abklingender Hoffnungen, stimmungstechnisch nur einen Fußbreit vom ersten lauen Schneefall entfernt. Motivisch fesselnde Herbstszenerien, die atmosphärisch vereinnahmen, ohne nostalgisch zu werden, die in ihrer Tristesse einengend, aber nicht farblos sind.
![Ein Mann trägt eine dunkelgraue Schiebermütze und eine braune Jacke. Er lehnt mit verschränkten Armen an der Seitenwand eines hellen Autos. Im Hintergrund sind ein helles Gebäude mit Fenstern und ein geparkter dunkler Wagen zu sehen. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/10/The-Mastermind_Still-03_©2025_Mastermind-Movie-Inc-1400x788.webp)
The Mastermind ©2025 MUBI
Über dem nasskalten Bilderbogen, in dem sich Trost und Gedanken an die Freiheit im Nieselregen unter Blätterbergen verstecken, bewegt sich indes frei: Rob Mazureks grandioser Jazz-Soundtrack. Dem gelingt es nicht nur, Anspannung und Loslösung aufzugreifen, sondern auch, das verschlossene Gefühlschaos des Protagonisten zu durchwühlen. Ein Score wie herunterfallende Blätter, leise tänzelnd oder grob herumwirbelnd. Ein ruhiger, aber auch verspielter Wind in Reichardts neuestem Slow-Cinema-Piece, das ruhig und langsam ist, aber nie langweilig.
Fazit
Anders als ihrem Protagonisten gelingt Kelly Reichhardt ihr Handwerk einwandfrei. In ihrer filmischen Galerie hängt neben WENDY UND LUCY, FIRST COW und SHOWING UP nun THE MASTERMIND: Ein leises, ein mehrschichtiges, wunderbares Werk.
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| Originaltitel | The Mastermind |
| Kinostart | 16.10.2025 |
| Länge: | 111 minuten |
| Produktionsland | United Kingdom |
| Genre: | Drama | Krimi |
| Regie | Kelly Reichardt |
| Executive Producer | Sam Tischler | Jason Ropell | Efe Çakarel | Zane Meyer |
| Producer | Neil Kopp | Vincent Savino | Anish Savjani |
| Kamera | Christopher Blauvelt |
| Visual Effects | Chris Connolly |
| Musik | Rob Mazurek |
| Cast | Josh O'Connor, Alana Haim, Hope Davis, John Magaro, Gaby Hoffmann, Bill Camp, Amanda Plummer, Eli Gelb, Cole Doman, Javion Allen, Matthew Maher, Rhenzy Feliz, Juan Carlos Hernández, Jean Zarzour, D.J. Stroud, Ryan Homchick, Sterling Thompson, Jasper Thompson, Margot Anderson-Song, Maria Wedding |
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