Originaltitel: The Vigil
Kinostart: 23.07.2020
DVD/Blu-ray Release: 11.02.2021
Länge: ca. 90 Minuten
Produktionsland: USA
Regie: Keith Thomas (II)
Schauspieler:innen: Dave Davis | Menashe Lustig | Malky Goldman
Genre: Horror
Verleih: Wild Bunch Germany
Wie schon der Filmtitel THE VIGIL – DIE TOTENWACHE deutlich zeigt, beschäftigt sich dieser Film mit dem jüdischen Brauch eine soeben verstorbene mitgläubige Person aufzubahren und ihn über Nacht zu bewachen. Solch ein Ritual dient zweierlei Dinge: zum einen bekommen die Mitmenschen und Freund:innen des Toten noch einmal die Chance sich persönlich von dieser Person zu verabschieden – auch wenn dies in der heutigen Zeit üblicherweise nicht mehr in den eigenen vier Wänden geschieht, zum anderen soll der/die Tote die Möglichkeit bekommen sich von seinem Leib zu trennen und als Seele über die geöffneten Fenster zu entfliehen. Bewacht wird die Leiche stets von einem Shomer. Dies ist ein jüdischer Begriff für eine Person, die die tote Person vor allem vor Dämonen schützen soll. Ein Shomer kommt in der Regel aus dem nächsten Umkreis des verstorbenen Menschen, kann aber auch speziell dafür engagiert werden und bewacht den Leichnam bis zum Sonnenaufgang des Folgetages.
Regisseur Keith Thomas nahm sich dieser besonderen Zeremonie an, da er unbedingt einmal einen Horrorfilm machen wollte und auf der Suche nach einem geeigneten Thema ihm auffiel, dass es bisher noch nie einen entsprechenden Genrefilm gab, der vollständig auf der jüdischen Religion beruhte. Da Tot und Horror oft eng beieinander liegen, war naheliegend, dass gerade die Totenwache ein spannendes Element für einen Film sein würde. Insbesondere, da Thomas in seinen weiteren Recherchen herausfand, dass solche Zeremonien vor allem für die bereits angesprochene Abwehr von Dämonen abgehalten würden, woraufhin sich der Regisseur auch noch intensiv mit der Dämonenwelt jüdischer Glaubensbekenntnisse beschäftigte. Hier sagt er jedoch selbst, dass es gar nicht einfach war einen passenden Unheilbringer auszumachen, da die meisten der Glaubensmythen eher harmlose Gestalten repräsentieren.
Darum geht es…
Yavoc lebt in Brooklyn – einem Stadtteil New Yorks, der multikulturell geprägt ist. Um sich der Gesellschaft ein wenig besser anzupassen, besucht er eine Selbsthilfegruppe. Er hat seinen eigenen Glauben mittlerweile hinter sich gelassen und versucht ein selbstbestimmtes Leben zu genießen. Nur widerwillig und nur mit dem Ziel ein wenig Geld zu verdienen, stimmt er zu seinem ehemaligen Glauben noch ein letztes Mal zu folgen und als Shomer die Totenwache für einen kürzlich verstorbenen Mann zu übernehmen – leichter kann man schließlich kaum die versprochenen 500 Dollar einsacken. Wenn er sich da mal nicht getäuscht hat, denn als er gegen Mitternacht seine Totenwache beginnt und er völlig allein im Raum mit der Leiche ist, geschehen plötzlich merkwürdige Dinge. Dabei zweifelt er lange Zeit an sich selbst und kann nicht endgültig sagen, ob seine Psyche ihm einen Streich spielt und er verrückt geworden ist, oder diese mysteriösen Ereignisse wirklich geschehen.
Rezension
Keith Thomas (II) hat mit THE VIGIL – DIE TOTENWACHE einen eher ungewöhnlichen Film seines Genres produziert. Viel mehr müsste man fast schon sagen, dass er ein eigenes kleines Subgenre damit initiiert hat, da es sich in diesem Fall um eine Art Horrordokumentation handelt. Diese entspricht jedoch nicht pseudo dokumentarischen Werken wie 5 ZIMMER, KÜCHE, SARG oder ähnlichen Horrormockumentarys, sondern beruft sich auf tatsächlich übliche Bräuche im jüdischen Totgesang, auch wenn natürlich in der visuellen Umsetzung Elemente enthalten sind, die nicht dokumentarischer Natur entspringen. Tatsächlich werden die realen Bezüge weitestgehend auch erst durch entsprechende nachträgliche Recherchen deutlich, denn der Film selbst schafft es nicht das Abbild der Realität angemessen zu erläutern und klar zu machen, dass hierbei nur wenig inhaltlich getrickst wurde.
Unabhängig jedoch wie real das Werk inhaltlich tatsächlich ist, bekommen wir einen Film zu sehen, der vor allem durch filmische Einfachheit besticht und weder mit einem großen Setting noch einem bestechenden Cast überzeugt, sondern schlicht weg aus der simplen Gestaltung heraus. Zudem erleben wir keinen klassischen Horror, der auf viele Jump-Scares oder gar gruselige Kreaturen setzt, sondern vielmehr eine Art psychologische Warnehmungsstudie – ähnlich, wie wir sie schon in DREAMKATCHER angedeutet bekommen haben, nur noch viel realistischer. THE VIGIL – DIE TOTENWACHE spielt dabei in einem Zeitrahmen von gerade einmal rund sechs Stunden und konzentriert sich im Wesentlichen auf einen einzigen offengestalteten Raum ohne viel Schnickschnack, aber dennoch mit präzise platzierten Setgegenständen, die fast alle einen effektiven Einsatz in der Handlung finden.
Simpel und doch präzise
Zudem bekommen wir fast ausschließlich nur den Hauptdarsteller Dave Davis zu sehen. Alle weiteren Darsteller:innen treten gerade einmal in kürzesten Handlungssequenzen auf und bekommen für die Story selbst kaum Bedeutung. Zudem ist Dave Davis auch der prominenteste Teilnehmer und kann bereits namhafte Werke wie RESTURLAUB, THE BIG SHORT und LOGAN – THE WOLVERINE in seiner Vita vorweisen, auch wenn er stets nur als Nebenfigur in Erscheinung trat. Ebenso simpel wie Handlung und Setausstattung ist auch seine schauspielerische Darbietung auf ein Minimum emotionaler und ausdrucksstarker Elemente beschränkt und dennoch schafft er es eine generelle Sympathie für die Figur an das Publikum zu übertragen. Womöglich erfolgt dieser Eindruck auch aus dem Fakt, dass die Handlung sich eben an einer realen Basis entlanghangelt und somit immer wieder nachvollziehbare Menschlichkeit ausstrahlt – insbesondere darin, dass der Protagonist seine Aufgabe nicht so ernst nimmt, wie er es sollte.
Doch was bietet der Film eigentlich, wenn wir wenig zu sehen, wenig zu spüren und wenig zu fühlen bekommen? Vor allem schafft es THE VIGIL – DIE TOTENWACHE durch eine sehr präzise und starke Geräuschkulisse zu glänzen und damit eine greifbare Atmosphäre zu erzeugen, die neugierig auf mehr macht. Zudem nutzt Regisseur Keith Thomas eine kleine Wunderwaffe der modernen Horrorinszenierung und zeigt uns eine Videoaufnahme, die letztlich schreckliches offenbart. Zwar wird schon seit vielen Jahren dieses Mittel genutzt, bei dem Kreaturen oder ähnliches auf Videobändern zu sehen sind, doch hier spielt die persönliche Ebene wieder einmal eine wesentliche Rolle, die im Kopf der Zuschauenden die Wahrnehmung erzeugt, als wären sie selbst gerade in der Situation und hätten entdeckt, dass etwas ganz und gar nicht stimmt angesichts der eigentlichen Unverfälschtheit der gerade getätigten Videoaufnahmen. Auch ein simpler Telefonanruf entwickelt sich plötzlich zu einem intensiven Trigger-Moment.
Leider jedoch ist nicht alles Gold was glänzt. Auch wenn dieser Film trotz seiner Schlichtheit überraschend viele gute Momente bieten kann, leidet das Werk doch arg unter der erneut sehr düsteren Bildgestaltung, die zwar grundlegend sinnvoll erklärt ist, dadurch das der Film eben nur in der Nacht spielen kann und eine Festbeleuchtung eher unrealistisch in dieser Situation wäre, doch möglicherweise wäre es dennoch sinnvoll gewesen hier noch ein wenig nachzuarbeiten. Auch der letzte inhaltliche Part, der doch sehr intensiv durch den Dämon geprägt ist, wirkt nicht so ganz rund, denn während zuvor die Horrorelemente eher dosiert, aber sehr gezielt, eingesetzt wurden, folgen abschließend mehrere Sequenzen, die viel zu dominant und aufdringlich gestaltet sind und daher eher nervig und unschön wirken.
Fazit
Es bleibt also festzuhalten, dass THE VIGIL – DIE TOTENWACHE ein eher unkonventioneller Vertreter seiner Art ist und vor allem durch intensive Recherchen profitiert, da diese deutlich zeigen, dass hier viele reale Grundlagen der Gesamtstory als Vorlage dienten und diese daher gar nicht einmal so unrealistisch erscheint. Dennoch bleibt es ein Horrorfilm, der hin und wieder auch mit entsprechenden Elementen ausgestattet wurde. Diese funktionieren teilweise ziemlich gut, da eine gespannte Atmosphäre aufgebaut wird, die dann durch kleinste und unscheinbare Momente in der Intensität explodiert. Allerdings wurde im weiteren Verlauf dieser besondere erzählerische Charme etwas aus den Augen verloren und einfach ein zu großes Finale aufgebauscht, welches dann jedoch glücklicherweise in einem halbwegs versöhnlichen Ende mündet. Äußerst simpel und kostensparend gestrickt, ist doch auf gewisse Art und Weise beeindruckend, was Regisseur Thomas hier geschaffen hat.
Immer wieder faszinierend ist es, wie deutsche Filmverleiher ihrem Werk die unsinnigsten Filmtitel verpassen. Da The Vigil übersetzt bereits „Die Mahnwache“ bedeutet, macht die deutsche Ergänzung hinten dran mal wieder kein bisschen Sinn – doch das sind wir ja mittlerweile gewohnt. Doch ein Film sollte nicht nach seinem absurden Titel bemessen werden – was kann also dieses Werk wirklich? So wie auch eine Totenwache sehr ruhig und unspektakulär stattfindet, gibt sich auch der Film weitestgehend und trumpft vor allem mit künstlerischer Einfachheit. Zeitgleich bekommen wir aber auch besonders im ersten Part erzählerische Präzision geliefert und zwei recht starke Trigger-Momente, die mich selbst gut abgeholt haben. Diese resultieren aus einer spannungsgeladenen Atmosphäre, die jedoch gen Ende hin immer weiter abnimmt, und vor allem durch übermäßigen Einsatz von Horrorelementen verloren geht. Somit zeigt sich nicht der klassisch brutale und überladene Genrefilm, wie wir ihn so häufig zu sehen bekommen, sondern viel mehr ein harmloser, auf Fakten basierender, und äußerst ruhiger Mockumentary-Horror. Dieser nimmt fast schon dokumentarische Züge an angesichts der inhaltlichen Präzision in Bezug auf den jüdischen Glauben und entsprechenden Ritualen.
Ich finde jedoch – den kann man durchaus mal gucken!