Review Fakten + Credits


Adipositas ist eine Krankheit, die nicht unterschätzt werden sollte. Umso überraschender scheint es, dass mehr als 50% der Erwachsenen in Europa von Übergewicht betroffen sind. Laut statistischem Bundesamt liegt die Quote bei den Männern sogar noch deutlich höher als bei Frauen. Die Gründe sind vielfältig und reichen von Schlafmangel über Stress bis hin zu depressiven Erkrankungen und natürlich einem ungesunden Lebensstil. Oft unerwähnt bleibt dabei das sogenannte „emotionale Essen“, welches von Psychologen als Oberbegriff für das Phänomen genutzt wird, bei welchem Menschen nicht aus Hunger, sondern wegen ihrer Gefühle essen. Insbesondere ungesunde Lebensmittel scheinen dabei kurzfristig zu helfen, können aber schnell in einen widerspenstigen Kreislauf führen. Mit fortschreitender Gewichtszunahme können die Zweifel an einem selbst steigen, die wiederum mit Nahrung vermindert werden sollen und zu weiterer Gewichtszunahme führen. Psychologische Hilfe ist in diesem Fall ratsam.

The Whale Filmstill

The Whale ©2023 A24 | Plaion Pictures

Drehbuchautor Samuel D. Hunter bringt in THE WHALE eigene Erfahrungen aus seiner Collagezeit ein, in welcher unterdrückte Emotionen zu einer ungesunden Beziehung zum Essen resultierten. 2012 feierte sein gleichnamiges Theaterstück, bei welchem große Sorgen hinsichtlich des Titels und der Darbietung, die ausschließlich im Sitzen stattfindet, bestanden, Premiere in Denver, wo das Werk mit viel Begeisterung aufgenommen wurde. Als der vielseitige Regisseur Darren Aronofsky das Stück zufällig sah, war ihm sofort klar, dass er dieses adaptieren wolle. Hunter selbst sollte diese Aufgabe übernehmen, obwohl er sich zuvor noch nie mit filmischem Erzählen auseinandergesetzt hat. Während er sein Drehbuchdebüt mit diesem Film feiert, ist es für Hauptdarsteller Brendan Fraser ein großes Comeback, nachdem er zuletzt mit Depressionen zu kämpfen hatte.

Darum geht es…

Charlie (Brendan Fraser) fristet ein zurückgezogenes Dasein. Seit langer Zeit hat er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Er hat einen Job als Literaturprofessor, der es ihm ermöglicht, aus den eigenen vier Wänden zu arbeiten. Der einzige Besuch, den er ab und zu bekommt, ist seine gute Freundin Liz (Hong Chau), die ihn mit Einkäufen versorgt und ihm im Alltag hilft. Denn Charlie kann den Alltag nicht mehr komplett allein meistern. Seit dem Verlust seines Partners hat Charlie eine Essstörung entwickelt. Mittlerweile liegt sein Gewicht bei knapp 250 kg, sodass es lebensbedrohlich für ihn ist. Statt sich professionelle Hilfe zu holen, hat er bereits mit dem Leben abgeschlossen. Die Welt ist ein grausamer Ort, in der es keinen Platz für Menschen wie ihn gibt. Das Einzige, was er jetzt noch will, ist das Verhältnis zu seiner 17-jährigen Tochter Ellie (Sadie Sink) zu verbessern, die er im Alter von acht Jahren verlassen hat.

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Rezension:

THE WHALE war neben EVERYTHING, EVERYWHERE, ALL AT ONCE einer dieser Filme, an denen man in der Award-Season 2023 nicht vorbeikam. Bei beiden Filmen haben wir vergessen geglaubte Schauspieler gesehen, die es nochmal auf die Leinwand geschafft haben. Im Fall von EVERYTHING, EVERYWHERE, ALL AT ONCE war es Ke Huy Quan, der nach seinen Auftritten in INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES und GOONIES von der Bildfläche verschwunden ist. Brendan Fraser hat Ende der 1990er und Anfang der 2000er in Komödien wie DIE MUMIE die Hauptrolle gespielt und ist dann ebenfalls verschwunden. Mit Darren Aronofskys Film konnte sich der Darsteller nun noch einmal beweisen. Für seine Verkörperung von Charlie hat Fraser etliche Preise erhalten, unter anderem den Oscar als bester Hauptdarsteller.

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Diesen Preis hat er nicht umsonst bekommen, denn THE WHALE dreht sich im Großen und Ganzen um seine Hauptfigur. Man merkt dem Film an, dass es sich um die Adaption eines Theaterstücks handelt. Der Film spielt zu einem großen Teil in der Wohnung der Hauptfigur. Charlie hat sich hier einen eigenen Mikrokosmos geschaffen, den er nicht mehr verlassen will bzw. kann. Die Wohnung ist dunkel und wirkt eng, insbesondere für eine große Gestalt wie Charlie. Dem Regisseur gelingt es dabei, die Wohnung greifbar zu machen. Man kann förmlich spüren, wie es sich bei Charlie anfühlen muss: Das gedämmte Licht, der Geruch der vielen Lebensmittel, alles wirkt echt. Allgemein arbeitet Aronofsky mit der Diskrepanz von klein und groß. Charlie steckt beispielsweise in einem riesigen Körper, macht sich vor seinen Mitmenschen aber sehr klein. Er interessiert sich für die großen Werke der Literatur, vergräbt sich aber lieber in Büchern, als selbst auf Reisen zu gehen.

Meisterhaftes Schauspiel!

Um dieses Wechselspiel weiter zu verstärken, setzt Aronofsky in THE WHALE zum einen auf epische Klassik-Stücke, die deplatziert wirken könnten, durch die allerdings die tiefgründige Seelenwelt der Hauptfigur unterstrichen wird. Zusätzlich setzt er auf ein 4:3 Seitenverhältnis in seinem Film. Diese Bildratio vermittelt ebenso ein Gefühl der Enge, sorgt darüber hinaus aber für die besten Aufnahmen des Films. Denn das große Highlight ist Brendan Fraser. Durch das Seitenverhältnis gelingt es dem Regisseur in emotionalen Szenen, den Fokus auf das Gesicht von Charlie zu legen. Gemeinsam mit dem meisterhaften Schauspiel des Hauptdarstellers schießen einem unweigerlich die Tränen in die Augen. Die Darstellung von Charlie lebt von den kleinen Gesten, von Frasers traurigen Augen, von der ruhigen Stimme. Er wirkt resigniert, hat aber nie seinen Optimismus verloren. Fraser braucht nicht viel zu sagen, ein Blick genügt, und wir können uns in den Mann hineinversetzen.

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The Whale ©2023 A24 | Plaion Pictures

Doch Fraser trägt THE WHALE nicht allein. Neben ihm sehen wir eine großartige Hong Chau, die eine gemeinsame Vergangenheit mit Charlie verbindet. Sie ist eine herzensgute Person, die für Charlie da ist, ohne mit der Wimper zu zucken; sie unterstützt ihn. Obwohl sie ihn wie einen Bruder liebt, stellt man sich doch die Frage, warum sie ihm bei seiner eigenen Zerstörung hilft und ihn mit ungesundem Essen versorgt. Eine weitere Person, die während des Films auftaucht, ist Charlies Tochter Ellie. Sadie Sink (bekannt aus STRANGER THINGS) ist eine fiese Teenagerin, die ihren eigenen Frust an ihrer Umwelt auslässt. Sink gibt ihrer Rolle eine unangenehme Note, die im starken Kontrast zu Brendan Fraser steht. Die letzte wichtige Person, die immer wieder an der Tür von Charlie steht, ist ein junger Missionar namens Thomas, gespielt von Ty Simpkins. Er sieht in Charlie einen hilfsbedürftigen Mann, der am Ende seines Lebens steht. Er will ihn zu Gott führen, damit er Erlösung findet. Aronofsky kritisiert durch Thomas konstant die Arroganz der christlichen Kirche und die destruktive Wirkung des bedingungslosen Glaubens.

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The Whale ©2023 A24 | Plaion Pictures

Ein unpassender Titel?

Doch, warum jetzt dieser Titel? THE WHALE? Bei aller Subtilität, mit der Aronofsky seine Botschaften vermitteln will, scheint die Auswahl des Namens doch sehr plump zu sein. Hinter dem Titel THE WHALE verbirgt sich allerdings nicht nur ein übergewichtiger Mann, sondern die Jagd nach seinem persönlichen weißen Wal. Immer wieder greift sich Charlie ein Essay über Herman Melvilles Roman Moby Dick, in dem Kapitän Ahab den weißen Wal verfolgt. Ein scheinbar unerreichbares Ziel. Für Charlie ist dieses Ziel seine Tochter. Jahrelang hat er sie nur aus der Ferne beobachtet und möchte nun seinen Frieden mit ihr machen. Somit birgt der provokante Titel des Films eine clevere Doppeldeutigkeit.

Fazit:

THE WHALE wurde nicht umsonst bei diversen Preisverleihungen hoch gehandelt. Darren Aronofsky hat hier einen herzergreifenden Film geschaffen, der leicht in eine voyeuristische Perspektive gleiten könnte. Glücklicherweise besitzt Aronofsky genug Geschick, damit aus THE WHALE eine liebevolle Geschichte über einen gebrochenen Mann wird. Auch wenn der Film permanent im selben Raum spielt und man sich über einige Entscheidungen der Figuren wundern kann, lohnt sich der Film spätestens für das Schauspiel von Brendan Fraser. Der einstige Comedy-Darsteller bietet hier die beste schauspielerische Performance seiner Karriere ab. Auch wenn einem einzelne Szenen von THE WHALE nicht im Gedächtnis bleiben, wird man auch noch in Jahrzehnten über Brendan Fraser und seine schauspielerische Meisterleistung sprechen.

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Review Fakten + Credits


Originaltitel The Whale
Kinostart 9.12.2022
Länge: 117 minuten
Produktionsland United States of America
Genre: Drama
Regie Darren Aronofsky
Executive Producer Tyson Bidner | Scott Franklin
Producer Ari Handel | Darren Aronofsky | Jeremy Dawson
Kamera Matthew Libatique
Visual Effects Bilali Mack
Musik Rob Simonsen
Cast Brendan Fraser, Sadie Sink, Ty Simpkins, Hong Chau, Samantha Morton, Sathya Sridharan, Jacey Sink, Allison Altman, Wilhelm Schalaudek, Lance Oppenheim

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