Originaltitel: Sous les étoiles de Paris
Kinostart: 19.08.2021
Länge: ca. 86 Minuten
Produktionsland: Frankreich | Belgien
Regie: Claus Drexel
Schauspieler:innen: Catherine Frot | Mahamadou Yaffa | Dominique Frot
Genre: Drama
Verleih: Arsenal Filmverleih
Der französische Film setzt sich nicht erst seit kurzem gerne mit der eigenen Politik auseinander und stellt gewisse Missstände in Frage. So nimmt sich DIE WÜTENDEN – LES MISÉRABLES unter anderem dem Konflikt zwischen Immigranten und Polizei an, ROADS zeigt uns ein Roadmovie, welcher in Frankreich endet und dort das Thema Flüchtlinge behandelt und HEUTE BIN ICH SAMBA nähert sich auf etwas einfühlsamere und humoristischere Weise der Flüchtlingspolitik. Es wird deutlich, dass dies ein großes und für die Bevölkerung prägendes Thema ist, welches nicht unbeachtet bleiben kann und darf. Im Jahr 2019 wurde von rund 139.000 Menschen ein Asyl-Erstantrag eingereicht. Noch 2007 waren es weit weniger als 30.000 und ein Abbruch der steigenden Zahlen ist nicht zu erkennen.
Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sich in Frankreich die „Dublin-Fälle“ häufen. Dies sind Asylbewerber, die zuvor bereits in einem anderen Land ihren Antrag stellen mussten (die EU verpflichtet dazu, dass Erstanträge im Land gestellt werden müssen, in welchem die EU erstmalig betreten wurde), und nun weiter nach Frankreich gereist sind. Laut EU-Recht darf ein Asylantrag auch in einem anderen Land gestellt werden, wenn die Person bereits mindestens sechs Monate in diesem lebt. Ich selbst habe bereits beeindruckende Bilder von riesigen Flüchtlingslagern direkt vorm Hafen von Calais gesehen, wo Geflüchtete auf die Gelegenheit hofften in das Vereinigte Königreich überzusetzen. Doch der Film UNTER DEN STERNEN VON PARIS beschäftigt sich auch mit der Armut und Obdachlosigkeit. Nicht nur interessante Informationen dazu, sondern auch einen sehenswerten Film findet ihr in meiner Rezension zu DER GLANZ DER UNSICHTBAREN von 2018.
Darum geht es…
Christine kennt sich bestens aus in Paris und hat in den vielen Jahren dort sich ein bemerkenswertes Leben aufgebaut. Bemerkenswert deshalb, weil sie auf der Straße lebt und als eine der unzähligen Obdachlosen sich tagtäglich bei Wind und Wetter aufs Neue durch die Unredlichkeiten der Stadt kämpft. Insbesondere im Winter sind warme und geschützte Plätze sehr begehrt, doch für sie bedeutet das mittlerweile kein Problem mehr. Bis eines Tages plötzlich der achtjährige junge Eritreer Suli vor ihr steht und sich bei ihr einnisten will. Es fällt ihr nicht leicht ihm verständlich zu machen, dass er weggehen solle, denn der kleine Junge versteht scheinbar kein einziges Wort Französisch. Leider wird es zudem so kommen, dass sie wegen dem Jungen nicht mehr zu ihrem Schlafplatz zurückkehren darf und künftig wieder mit den harten Nächten in Paris zu kämpfen hat. Doch allmählich erkennt Christine, dass ihr eine neue Lebensaufgabe bevorsteht und widerwillig nimmt sie sich dieser an.
Rezension
Mit UNTER DEN STERNEN VON PARIS zeigt das französische Kino wieder einmal die Feinfühligkeit für problematische Themen, die in diesem Land herrscht. Regisseur Claus Drexel hat zwar, entgegen von einigen anderen wichtigen Filmen aus den vergangenen Jahren, hier auf eine fiktive Geschichte gesetzt und sich dem klassischen Schauspiel bedient und nicht auf Figuren gesetzt, die tatsächlich ein solches Schicksal erleiden, doch das ist gar nicht weiter schlimm, denn die Umsetzung ist äußerst gut gelungen. Wieder einmal bekommen wir einen Film, der auf die leisen und sanften Töne setzt, der ohne viel verbale Kommunikation auskommt und Momente und Bilder für sich sprechen lässt.
Tatsächlich hat Drexel damit auch einen sehr geschickten Kniff eingebaut, dass die beiden Protagonisten sich sprachlich nicht verstehen und jede Art der direkten Kommunikation dadurch überflüssig wird. Er schafft es damit den Fokus umso mehr auf das Schauspiel zu legen und vor allem Gestik und Mimik weiter in den Mittelpunkt zu rücken. Dies wiederum sorgt dafür, dass wir uns deutlich mehr in die Figuren hineinfühlen können, weil sie viel lebhafter, ehrlicher und menschlicher wirken, als wir es von vielen anderen Filmen kennen, wo die starre Spielweise eher zu einer Distanzierung führt. Dabei agieren Catherine Frot und Mahamadou Yaffa gleichermaßen gelungen und harmonieren äußerst charmant miteinander.
Auf die Kleinigkeiten kommt es an
Ungewöhnlicherweise zeigt das Werk aber auch einmal eine etwas andere Sicht auf die Obdachlosigkeit und präsentiert uns die betroffenen Personen als abgehärtete Einzelkämpfer, während es sonst nicht so unüblich ist, dass sich aus ihnen eine gewisse Gemeinschaft bildet. Doch so wie auch hier zu Lande gibt es eben völlig unterschiedliche Menschen, die auch recht differenziert mit dem Thema umgehen, weshalb es gar nicht mal so schlecht ist hier eine etwas andere Perspektive zu erhalten. Angenehmerweise hält sich UNTER DEN STERNEN VON PARIS nicht so lange damit auf irgendwelche Vorgeschichten breit zu treten, sondern lässt diese eher dezent und unterschwellig durch kleine Bilder einfließen. Drexel setzt somit auf den Verstand des Publikums, welches sich die Vergangenheit selbst zusammensetzen kann. Dies ist auch wirklich angenehm, denn viele Regisseure verkaufen die Zuschauenden in der heutigen Zeit häufig einfach für dumm.
Zudem tut es dem Drama gut, dass hier nicht nur auf einem einzigen Schicksal der Fokus gelegt wird und tatsächlich sogar die Obdachlosigkeit in den Hintergrund rückt angesichts der Schwierigkeiten, mit denen der 8jährige Junge zu kämpfen hat. Die Überschneidung zwischen Flüchtlingsdrama und Obdachlosengeschichte ist ausgesprochen gut gelungen und erzählt eine unbequeme Realität, wie es sie durchaus geben könnte. Doch sollte an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass dies kein Film ist, der die ganze Zeit daraufsetzt, wie schlimm doch diese Situationen sind, sondern vor allem auch zeigt, welche Freunden daraus gezogen werden können und wie gut das Leben sein kann, wenn man sich seinem Schicksal stellt und dies nicht verleugnet. Zudem lehrt uns das Werk die kleinen Gesten und Freuden wieder schätzen zu lernen wie ein ganz simples „Danke“.
Emotionale Tiefe
Mit viel Herz und Leidenschaft wird nicht nur die Geschichte erzählt, sondern auch die Figuren aufgebaut. Dabei fällt es leicht die obdachlose Frau ebenso ins Herz zu schließen, wie es in kürzester Zeit bei dem kleinen Eritreer gelingt. Das Setting ist weitestgehend schlicht gehalten und spielt zwar deutlich in den Straßen von Paris, doch hat man sich vor allem Orte rausgesucht, die abseits der üblichen bekannten Locations spielen. Auch wird nicht groß mit Licht oder Kamera gespielt – es ist somit einfach eine völlig bodenständige, aber durchaus wichtige und tolle Geschichte. Zudem wird eine wichtige Fragestellung eröffnet: Kann und muss man jedem Menschen auf der Welt mit einem Leiden helfen, oder wäre dies eine Aufgabe, die nicht zu bewältigen wäre und sollte daher jeder sich auf sein eigenes Leid fokussieren?
Fazit
UNTER DEN STERNEN VON PARIS ist somit eine kleine, aber fabelhafte Geschichte, die leider mal wieder keine großen Wellen schlagen wird, aber dennoch durchaus eine Empfehlung wert ist. Der Film lebt von seinen Bildern, den emotionalen Eindrücken und vor allem durch die schauspielerische Arbeit der beiden Hauptfiguren und erzählt uns zudem eine wichtige Geschichte, die auch als Fiktion erschreckende Realität beinhaltet.
Auch in Deutschland sind Obdachlose und Geflüchtete allgegenwärtig und sorgen immer wieder für öffentliches Aufsehen. Letztlich werden sie jedoch kaum beachtet und leben fast schon wie in einer Parallelwelt. Sie gehen häufig als Unsichtbare durch den Alltag, denn viele von uns schauen schon aus weiter Entfernung weg. Das dies sehr tragisch ist, weil hinter den Gesichtslosen nicht selten wunderbare Menschen stecken, die einfach nur viel Pech im Leben hatten, ist viel zu wenigen bewusst. Genau das jedoch macht uns der Film auf herausragende Weise klar und zeigt uns eine Welt, wie die meisten von uns sie nicht kennen. Eine Welt voller Einfühlsamkeit und Hilfsbereitschaft, eine Welt geprägt von Armut und Leid, aber auch von Freude und Lebenslust. Unter den Sternen von Paris wird wieder einmal ein Film sein, der von der breiten Masse nicht beachtet wird, welcher aber trotz seiner fiktiven Geschichte bittere Wahrheiten vermittelt und daher sehenswert für uns alle ist. Die Brücke zwischen gefühlvoller Geschichte und dokumentarischer Realität wurde bestens geschlagen und liefert uns letztlich einen wirklich herzlichen Film, der auch qualitativ einiges zu bieten hat.
Original title: Sous les étoiles de Paris
Cinema release: 19.08.2021
Length: approx. 86 minutes
Country of production: France | Belgium
Director: Claus Drexel
Actors: Catherine Frot | Mahamadou Yaffa | Dominique Frot
Genre: Drama
Distributor: Arsenal Filmverleih
It is not only recently that French film has taken a liking to examining its own politics and questioning certain abuses. LES MISÉRABLES, for example, takes on the conflict between immigrants and the police, ROADS shows us a road movie that ends in France and deals with the issue of refugees, and SAMBA approaches refugee policy in a somewhat more sensitive and humorous way. It becomes clear that this is a major and defining issue for the population, which cannot and must not go unnoticed. In 2019, an initial asylum application was submitted by around 139,000 people. As recently as 2007, there were far fewer than 30,000 and there is no sign of a break in the rising numbers.
This may also have to do with the fact that “Dublin cases” are piling up in France. These are asylum seekers who have already had to apply in another country (the EU obliges that initial applications must be made in the country in which the EU was first entered) and have now travelled on to France. According to EU law, an asylum application can also be made in another country if the person has already lived there for at least six months. I myself have already seen impressive images of huge refugee camps just outside the port of Calais, where refugees hoped for the opportunity to cross into the UK. But the film UNDER THE STARS OF PARIS also deals with poverty and homelessness. Not only interesting information about this, but also a film worth watching, can be found in my review of LES INVISIBLES from 2018.
That’s the story about
Christine knows her way around Paris and has built a remarkable life for herself in her many years there. Remarkable because she lives on the streets and, as one of the countless homeless people, struggles through the city’s dishonesty day in, day out, in all weathers. Especially in winter, warm and sheltered places are in great demand, but for her this no longer means a problem. Until one day, the eight-year-old young Eritrean Suli suddenly appears in front of her and wants to settle down with her. It is not easy for her to make him understand that he should leave, because the little boy does not seem to understand a single word of French. Unfortunately, she will not be allowed to return to her sleeping place because of the boy and will have to struggle with the hard nights in Paris again in the future. But gradually Christine realises that she has a new life task ahead of her and reluctantly she takes it on.
Review
With UNDER THE STARS OF PARIS, French cinema once again shows the sensitivity for problematic issues that prevails in this country. Director Claus Drexel has, contrary to some other important films from recent years, here relied on a fictional story and used classical acting rather than characters who actually suffer such a fate, but that is not a bad thing at all, because the realisation is extremely well done. Once again we get a film that relies on the quiet and gentle tones, that does without much verbal communication and lets moments and images speak for themselves.
In fact, Drexel has also incorporated a very clever trick in that the two protagonists do not understand each other linguistically and any kind of direct communication is thus superfluous. In this way, he manages to put the focus all the more on the acting and, above all, to move gestures and facial expressions further into the centre. This in turn ensures that we can empathise with the characters much more, because they seem much more lively, honest and human than we know from many other films, where the rigid acting tends to lead to a distancing. Catherine Frot and Mahamadou Yaffa act equally well and harmonise extremely charmingly with each other.
It’s the little things that count
Unusually, however, the work also shows a somewhat different view of homelessness and presents us with the people affected as hardened lone fighters, while it is otherwise not so unusual for them to form a certain community. But just like here in Germany, there are completely different people who deal with the subject in a differentiated way, which is why it’s not so bad to get a slightly different perspective here. Pleasantly, UNDER THE STARS OF PARIS does not spend too much time on telling any back stories, but rather lets them flow in discreetly and subliminally through small images. Drexel thus relies on the audience’s mind, which can piece together the past itself. This is also really pleasant, because many directors in this day and age often simply sell the audience for fools.
Moreover, it does the drama good that the focus here is not on just one fate and in fact even homelessness takes a back seat to the difficulties the 8-year-old boy has to deal with. The overlap between refugee drama and homeless story is extremely well done and tells an uncomfortable reality that could well exist. But it should also be noted at this point that this is not a film that focuses all the time on how bad these situations are, but above all shows what friends can be made from them and how good life can be if one faces up to one’s fate and does not deny it. In addition, the work teaches us to learn to appreciate small gestures and joys again, such as a very simple “thank you”.
Emotional depth
Not only is the story told with a lot of heart and passion, but also the characters are built up. It is easy to take the homeless woman into one’s heart, just as it is easy to take the little Eritrean into one’s heart. The setting is kept simple for the most part and although it is clearly set in the streets of Paris, they have chosen locations that are off the beaten track. There is also no great play with light or camera – it is therefore simply a completely down-to-earth, but thoroughly important and great story. Moreover, it opens up an important question: Is it possible and necessary to help everyone in the world with a suffering, or would this be a task that could not be accomplished and therefore everyone should focus on their own suffering?
Conclusion
UNDER THE STARS OF PARIS is thus a small but fabulous story, which unfortunately once again will not make big waves, but is nevertheless well worth a recommendation. The film lives from its images, the emotional impressions and above all through the acting work of the two main characters and also tells us an important story that also contains frightening reality as fiction.
Schauspieler:in | Rolle |
Catherine Frot | Christine |
Mahamadou Yaffa | Suli |
Dominique Frot | Prostituierte |
Jean-Henri Compère | Patrick |
Richna Louvet | Mutter |
Raphaël Thiéry | Hafenarbeiter |
Baptiste Amann | junge Obdachlose |
Farida Rahouadj | Arzt |
Antonio Lubaki | Chinchin |
Barthélémy Bakouan | junge Burkinabe |
Suzanne Couvelard | Friseur |
Xavier Gojo | Wachmann Tati |
Yves Krähenbühl | Bankangestellter |
Chiew Lin | Mitarbeiter Flughafen |
Jérémy Coraud | Sicherheitsbeamter Flughafen |
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