Originaltitel: Sin señas particulares
Kinostart: 10.02.2022
Länge: ca. 95 Minuten
Produktionsland: Mexiko
Regie: Fernanda Valadez
Schauspieler:innen: Mercedes Hernández | David Illescas | Juan Jesús Varela
Genre: Drama | Thriller
Verleih: MFA
Schon 1953 berichtete Der Spiegel im Beitrag „Eine Nation wandert“ von den massiven Flüchtlingsströmen, die von Mexiko aus entlang der 1833 Meilen langen Grenze versuchten in die USA zu immigrieren. Knapp 70 Jahre später ist dieses Thema kein bisschen uninteressanter geworden geschweige denn das es an Aktualität verloren hätte. Gerade Ex-Präsident Donald Trump hat in dieser Debatte noch einmal ordentlich die Glut zum Lodern gebracht und mit seinem Plan einer Kilometerlangen Mauer zur Verhinderung der illegalen Grenzübertritte für reichlich Empörung in der Welt gesorgt. Dabei ist die Intention jedoch vollkommen verständlich, denn arme Mexikaner, die teilweise nicht einmal genug haben, um sich richtig zu ernähren können von ihrer Seite im übertragenen Sinne zuschauen, wie es sich US-Amerikaner in Saus und Braus wohl ergehen lassen und in einer Überflussgesellschaft leben. Hinsichtlich dieses sozialen Gefälles sind die Strapazen illegaler Grenzüberquerungen absolut nachvollziehbar.
Regisseurin Fernanda Valadez hat sich in ihrem Spielfilmdebüt genau dieser Thematik angenommen und versucht darin vor allem auch die Risiken und viel mehr noch die Qualen Angehöriger aufzuzeigen, die in einen solchen Prozess verstrickt sind. Umso erschreckender ist es, dass Mrs. Valadez bestätigt, dass viele der gezeigten Elemente auf wahren Ereignissen beruhen, wenn auch letztlich die gesamte Geschichte fiktive Spekulation ist. Dabei ist sie jedoch auf mehrere Schwierigkeiten gestoßen. So wurde eine finanzielle Zuwendung für den Filmdreh kurzerhand um die Hälfte gekürzt und das errechnete Produktionsbudget war letztlich doppelt so hoch, wie die existierenden Mittel. Um diese Krise zu überbrücken wurden fast alle Aufnahmen an nur einem Ort gemacht, auch wenn der Film selbst den Eindruck vermittelt, dass dies an unterschiedlichsten Orten inszeniert wurden.
Darum geht es…
Der Junge Jesús will sein Glück in den USA finden und sich dort ein Leben aufbauen. Zusammen mit seinem Kumpel begibt er sich mit dem Bus 670 in die Nähe der US-amerikanischen Grenze um diese anschließend überqueren zu wollen. Der Film jedoch zeigt uns nicht die Überquerung selbst sondern versetzt das Publikum in den Blickwinkel der hoffnungsvollen Mutter, die seit langer Zeit auf eine Reaktion ihres Sohnes wartet, immer mit dem stillen Gedanken, dass es ihm gut gehen müsse. Doch scheint sie nur recht schwer damit fertig zu werden, als sie eines Tages erfährt, dass die Leiche des Freundes ihres Sohnes aufgetaucht ist. Die Angst um ihr Kind treibt sie an, nach Jesús zu suchen. Eine aufregende Reise mit Höhen und Tiefen steht ihr bevor, welche sie zudem in die unsäglichen Gefilde der Todeszone von Nord-Mexiko führt. Lebt ihr Sohn noch?
Rezension
WAS GESCHAH MIT BUS 670? folgt in seiner Stimmung und Atmosphäre ein wenig dem 2019 veröffentlichten Erfolgshit aus Südkorea BURNING. Beide leben davon sehr ruhig und unspektakulär, fast schon langweilig und eintönig eine Handlung aufzubauen, die letztlich ihren großen Höhepunkt in einer Bedeutungsschwangeren Szenerie findet, die letztlich einzig und allein Raum für unsagbar viele Interpretationen lässt. Der wohl wesentlichste Unterschied liegt darin, dass BURNING uns über die gesamte Spieldauer im Ungewissen lässt, in welche Richtung die Handlung geht, während es beim hiesigen Film zeitnah recht eindeutige Entwicklungen gibt. Als Road-Trip getarnt und überschattet von dramenhaften Ereignissen, bekommen wir erst sehr spät mit, dass es sich in den Grundfesten doch vielmehr um einen Thriller handelt, der jedoch durch reichlich Exposition erst allmählich eingeleitet wird.
Dabei wird weitestgehend auf musikalische Untermalung verzichtet, weshalb Zuschauende mit teilweise erdrückender Stille konfrontiert werden die ergänzend zum Handlungstempo selbst noch einmal ordentlich das Pacing zurückschraubt und somit Zeit benötigt sich zu entwickeln. Doch wird der Film dabei nicht unbedingt langweilig, nur etwas träge, denn die detektivische Arbeit der Protagonistin sorgt dafür, dass stets auch das Publikum neugierig bleibt, was eigentlich geschehen ist. Schon eine der ersten Szenen offenbart uns dabei eine fantastische Szenerie, auch wenn sie inhaltlich nicht so recht zum restlichen Film passen mag. Mutmaßlich noch nie war es möglich einer Augenoperation so nah beizuwohnen und dabei die Bilder, ohne jeglichen Ekel zu genießen. Im Horrorsegment ein gern genutztes Mittel (wie in FINAL DESTINATION), schafft es das hiesige Werk als ultimativer Kontrast diesen medizinischen Eingriff äußerst harmlos und erträglich einzufangen und gar ein wenig die Angst davor zu nehmen.
Kaum ersichtlich
Wie schon angesprochen, liegt der Handlungsschwerpunkt jedoch an einer völlig anderen Stelle. Durch das eher triste mexikanische Land und die damit verbundene recht eintönige Farbgebung, strahlt das Bild von WAS GESCHAH MIT BUS 670? zumeist nicht gerade optische Attraktivität aus. Dieser Eindruck wird nur noch dadurch verstärkt, dass recht häufig mit dunklen und verschwommenen Bildern gearbeitet wurde, die es teilweise schwierig machen zu erkennen was vor sich geht. Diese schemenhaften Realisierungen sind mit großer Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass das Budget eben nicht für eine angemessene Ausstattung und wesentliche Wechsel der Handlungslokalitäten ausreichte. Zeitgleich scheint diese Unkenntlichkeit kaum zu den Kameraaufnahmen zu passen, die zumeist eher ruhig, fast schon statisch und unbewegt eingefangen wurden.
Wo geht die Reise hin?
Während es schwierig ist den Kern der Story zu erfassen – nicht jedoch wegen zu intensiver Komplexität, sondern vielmehr wegen der mageren inhaltlichen Informationen, die es nur häppchenweise serviert gibt – arbeitet das Werk vor allem gut mit den wenigen Figuren, die darin vorkommen. Es ist leicht sich in die Erfahrungen und Lebenseindrücke der Personen hineinzuversetzen und ihre Ängste und Sehnsüchte zu teilen. Dies wird besonders deutlich in der Schlusssequenz, aber auch schon während des Hauptfilms bekommen wir verschiedenste Eindrücke geliefert. Ein finaler Twist, der etwas kleiner gehalten ist als in BURNING, sorgt dafür, dass der gesamte Film rückblickend noch einmal aufgewertet wird und die leidhafte Zeit, in der fast nichts geschieht, einen geschickten Höhepunkt erhält.
Dieses Finale ist es, was die gesamte Stärke von WAS GESCHAH MIT BUS 670? bündelt. Insbesondere ist es Mercedes Hernández, eine der wenigen wirklich Professionellen, die am Film mitwirkten, die hier ihre gesamte schauspielerische Erfahrung ausspielen kann und einen legendären Schlusspunkt setzt. Die intuitive Art der Darstellung wird dadurch gekrönt, dass sowohl Gefühlslage als auch Emotionen durch eine mimische Perfektion nachvollziehbar transportiert und leidenschaftlich übermittelt werden. An dieser Stelle zeigt sich wieder, dass ein großes Budget nicht von Nöten ist, um einen herausragenden Film zu produzieren, sondern es noch immer auf schauspielerisches Talent und eine gut geschriebene Handlung ankommt.
Fazit
Dieser Film kann somit ansatzweise zu den Slow-Burn-Werken gezählt werden, die es erst allmählich möglich machen zu realisieren, was eigentlich geschieht. Auch wenn BURNING mehrfach als Vergleichspunkt für diese Rezension diente, so sollte dennoch noch einmal klargestellt werden, dass sich beide Produktionen auf einem völlig unterschiedlichen Level bewegen, was auch gerade in der Ästhetik deutlich erkennbar ist. Zudem hätte dem hiesigen Film teilweise ein etwas höheres Tempo ganz gutgetan. Doch von diesen beiden Dingen abgesehen, bietet WAS GESCHAH MIT BUS 670? eine recht überraschende Entwicklung, die eingehend so nicht zu erwarten war und zumindest rückblickend ein gutes Licht auf diesen Film wirft. Da es sich hierbei durch und durch um einen Arthousefilm handelt, wird das Werk sicherlich den Geschmack vieler verfehlen, schafft es allerdings gerade im Kino mit seiner Atmosphäre zu punkten.
Wann ist es nur endlich so weit, dass wir wieder tolle Filme auf der Leinwand begutachten können? Auch der Hiesige ist Opfer unzähliger Verschiebungen geworden und noch immer ist kein Startdatum bekanntgegeben. Das ist jedoch sehr tragisch, denn Regisseurin Fernanda Valadez schafft es hiermit ein sehr gelungenes Spielfilmdebüt zu präsentieren, welches sich in einem Home-Release wohl äußerst schwertun würde. Als ein Mix aus Roadtrip und dem südkoreanischen Erfolgsfilm BURNING lässt sich dieser mexikanische Thriller am ehesten beschreiben, welcher mit Hilfe eines äußerst geringen Budgets schafft eine eindrucksvolle Handlung aufzubauen und diese mit einem unerwarteten Twist zu krönen. Profitieren tut der Film dabei vor allem von Mercedes Hernández‘ brillanter Schauspielkunst, mit welcher sie gerade mimisch Zuschauende abholt und in das Innere ihrer eigenen Gefühlswelt verschleppt. Auch wenn sich durchaus hier und da Kritikpunkte finden lassen, die den Filmgenuss minimal schmälern, so gibt es doch nur ein mögliches Fazit: Dieses Werk gehört auf eine Kinoleinwand und verdient es endlich veröffentlicht zu werden.
Schauspieler:in | Rolle |
Mercedes Hernández | Magdalena |
David Illescas | Miguel |
Juan Jesús Varela | Jesús |
Ana Laura Rodríguez | Olivia |
Armando García | Rigo |
Laura Elena Ibarra | Chuya |
Juan Pablo Acevedo | Agent des öffentlichen Ministeriums |
Xicoténcatl Ulloa | Pedro |
Jessica Martínez García | Krankenschwester |
María Luisa Juárez | Forensischer Chemiker |
Ricardo Luna | Staatsagent |
Julieta Rodríguez | Forensischer Techniker |
Iker Valadez Urtaza | Diego |
Susan Korda | ICE Agent |
Jorge Escalante | Zentraler Busverkäufer |
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