FilmkritikIn KürzeDas sagen die Kollegen
Jetzt auf Amazon kaufen oder leihen Originaltitel: Waves
Kinostart: ursprünglich: 19.03.2020 – neuer Start noch nicht bekannt

FSK 12

FSK 12 ©FSK

Länge: ca. 137 Minuten
Produktionsland: USA
Regie: Trey Edward Shults
Schauspieler:innen: Kelvin Harrison Jr. | Taylor Russell McKenzie | Sterling K. Brown
Genre: Drama | Romanze
Verleiher: Universal Pictures Germany

Diese Rezension enthält Ansätze von Spoilern, auch wenn diese so gut wie möglich versucht wurden zu vermeiden!

Waves

Waves ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Lucas Hedges ist derzeit wohl einer der meistbegehrten Jungdarsteller. Mit gerade einmal 23 Jahren hat er schon eine Filmvita vorzuweisen, wie manche Schauspieler nach ihrer gesamten Karriere nicht. Diese Arbeit wurde auch bereits mit Nominierungen für Golden Globe und Oscar honoriert, auch wenn bisher noch keine Auszeichnung daraus folgte. Doch mit Filmen wie GRAND BUDAPEST HOTEL, MANCHESTER BY THE SEA, LADYBIRD, THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING MISSOURI, DER VERLORENE SOHN und BEN IS BACK hat sich Hedges bereits fest in der Ruhmeshalle der erfolgreichen Qualitätsschauspieler eingenistet.

Darum geht es…

Tyler Williams lebt mit seinen 18 Jahren noch immer zu Hause, wo er regelmäßig zusammen mit seinem Vater trainieren kann, um weiter an seiner Wrestling-Karriere zu arbeiten. Im Haus leben zudem noch seine jüngere Schwester und Stiefmutter. Gemeinsam führen sie ein recht sorgloses Leben, da Vater Ronald gut für die Familie sorgt. Auch eine Freundin hat der junge Mann.

Waves

Waves ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Ihm könnte es kaum besser gehen bis zu dem Moment, als der Arzt ihm die Hiobsbotschaft überbringt, dass seine Schulterverletzung womöglich dafür sorgt, dass er seinen sportlichen Erfolgsweg nicht weiterführen kann. Dies kann und möchte er nicht wahrhaben. Doch plötzlich wird es immer schlimmer, denn dazu gesellt sich noch die mehr als überraschende Nachricht, dass seine Freundin schwanger ist und sie gegen seinen Willen auch nicht abtreiben möchte. Völlig aufgelöst weiß der junge Mann plötzlich nicht mehr wo ihm der Kopf steht und rationales Denken ist nur noch schwer möglich. Wird er mit dieser Krise fertig?

Im zweiten Part von WAVES geht es plötzlich um Schwester Emily, die ihr Leben ganz normal weiterführen muss, unabhängig der Geschehnisse um ihren Bruder, der mittlerweile wegen eines Mordes im Gefängnis sitzt. Doch auch sie hat es nicht leicht, denn plötzlich ist sie überall die Außenseiterin, lebt in Trauer und muss zudem noch die unerträglichen Streitereien ihres Vaters und ihrer Stiefmutter ausstehen. Doch als sie Luke kennen lernt soll sich einiges für sie ändern. Mit ihm reist sie quer durchs Land auf dem Weg zu seinem Vater.

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Rezension

Bereits jetzt hochgelobt durch alle möglichen Kritiker, muss ich die Erwartung zum Gesamtwerk ein wenig dämpfen. Doch gehen wir Stück für Stück vor. Auch an dieser Stelle muss ich meine Betrachtungen splitten, da die zwei unterschiedlichen inhaltlichen Aspekte auch extrem auf die Rezension niederschlagen, denn die erste Stunde überrennt den Zuschauer erstmal eine hammermäßige Liebesgeschichte, mit einem tragischen, fast schon Thriller ähnlichem Ende. Nachdem die Figuren angemessen eingeführt wurden, entwickelt sich erst einmal eine Art Sportdrama nach klassischem Rezept. Sprich ein erfolgreicher Sportler tut alles für seine Karriere, erleidet dann eine Verletzung und plötzlich gerät alles ins Wanken… soweit so bekannt.

Waves

Waves ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Neben dieser Geschichte entwickelt sich jedoch auch gleichzeitig ein Familien- und Liebesdrama, welches dem Zuschauer kaum merklich in kleinen Häppchen untergeschoben werden. Dabei kann ich schon jetzt den Filmtitel WAVES mit einbeziehen, denn ähnlich wie Wellen baut sich die Handlung immer weiter auf und staut sich zu einem brachialen Höhepunkt zusammen. Immer mehr Faktoren werden in die Storyline eingeflochten, die die gewaltige Kraft der „Welle“ noch verstärken. Um dieser inhaltlichen Stärke noch weiter Ausdruck zu verleihen, hat Regisseur Trey Edward Shults auf einen massiven Einsatz von ausgefallener Bild und Tongestaltung gesetzt.

Stilistisch makellos einfallsreich

So wird das Publikum über eine recht lang andauernde Autofahrt an die Geschichte herangeführt, in der die Kamera gleich mehrere 360° Drehungen vornimmt und sich damit quasi im Mittelpunkt aller Anwesenden befindet. Zudem gibt es mehrfach Kameraschwenks die von einer in eine andere Szene übergehen und damit scheinbar schnittlos einen neuen Handlungsmoment einläuten. Diese Art und Weise sorgt jedoch auch dafür, dass recht viel Verwirrung entsteht. Anfangs noch in der Frage, wer überhaupt die Protagonisten sind, später lassen wacklige Kampfszenen in der die Kamera viel zu nah am Geschehen dran ist es kaum zu, zu erkennen, was überhaupt gerade genau geschieht. Unterlegt wurden viele Momente mit Musik von Künstlern wie Frank Ocean, Animal Collective und Kendrick Lamar, die durch ihre freshen und rasanten Beats ein ordentliches Tempo vorlegten und damit auch den Ablauf so beschleunigten, dass kein Platz für Langeweile bleibt.

Waves

Waves ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Dieser großartige Handlungsaufbau der ersten Stunde gehört mit zu dem Besten, was ich seit langem gesehen habe, da eine solch große Spannung aus nichtigen Situationen heraus erzeugt wird, die den Zuschauer einfach nur schockiert und gleichzeitig dennoch in das Wechselbad der Gefühle stürzt, da stets der breite Blick auf alle Figuren gegeben ist und auch die Eindrücke der anderen Charaktere stets im Rhythmus mitwippen.

Unvermittelt und unerwartet

Doch dann passiert etwas Seltsames, was mir bewusst noch nicht zuvor untergekommen ist. Aus dem Schockmoment heraus, der durch den immensen Druck der meterhoch aufgetürmten Welle auf das Publikum niederprasselt, entsteht eine völlig neue Geschichte. Eingeläutet wird diese durch eine lange Schwarzblende, die quasi einen Cut des gesamten Films zur Folge hat. Dabei wird ein komplett neuer Weg der Darstellung eingeschlagen, denn während des kompletten ersten Parts von WAVES noch im ganz normalen Bildformat zu betrachten war, ändert sich dieses in der Folge auf ein arg beschränkt und beschnittenes, ähnlich dem 4:3 Format. Angeblich solle damit der Druck auf den Protagonisten ausgedrückt werden, der ebenfalls immer weiter in die Enge getrieben wurde und nun vor eine lebensverändernde Situation gestellt wird. Dieser Abschnitt dauert recht kurz und wird wiederum durch eine lange Schwarzblende beendet.

Waves

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Die letzte Stunde des Films folgt schließlich eine komplett neue Handlung, bei der einfach alles einmal um 180° gewendet wird. Die Musikgestaltung ist völlig anders, viel ruhiger und intensiver, ebenso auch die Bildgestaltung. Aus dem 4:3 Format wird ein oben und unten beschnittenes Format, welches erst zum Schluss des gesamten Films wieder in ein vollständig unbeschnittenes wechselt. Zudem werden tatsächlich die Hauptdarsteller komplett ausgetauscht und der Bezugspunkt, der über einen langen Zeitraum aufgebaut wurde, wechselt massiv. Es wird sogar eine komplett neue Figur eingeführt, die ebenfalls als Hauptdarsteller benennbar ist, der charmante Lucas Hedges, der als nervöser junger Mann einer hoffnungslosen Sehnsucht nachstrebt.

Waves

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Drastischer Einbruch

Tatsächlich ist diese abrupte Wandlung des Films ein wirklich spannendes Mittel, doch funktioniert dies auch so wirklich? Hierfür gibt es wohl ebenfalls zwei Betrachtungsweisen, denn während des Films sorgt der zweite Part für eine unverständliche und nicht nachvollziehbare Wandlung, die den vorangegangen Höhepunkt zwar nicht schmälert, aber im Bezug auf diesen keine Chance hat auch nur einen Ansatz von spannendem Material aufzuweisen. Die Geschichte dümpelt plötzlich in schier unendlicher Länge dahin mit plötzlichen Handlungsmomenten, die einfach niemanden mehr interessieren, während die eigentlich spannende Handlung, der der Zuschauer gerne weiterfolgen würde, völlig verschwindet und man nie mehr etwas über den Fortgang erfährt.

Auf der anderen Seite jedoch – und diese Ansicht entwickelt sich erst weit nachdem man den Film geschaut hat – bildet sich dadurch eine herzergreifende neue Liebesgeschichte, die für sich betrachtet einem Roadmovie gleicht, der tatsächlich einen unterhaltsamen Charme hat. Wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, die beiden Parts der Geschichte einfach zu tauschen? Die Frage kann ich leider nicht beantworten, da dann auch dieser harte Cut gefehlt hätte und damit die Stimmungsentwicklung eine vollständig andere gewesen wäre.

Waves

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Raffiniert und unbeschreiblich

Bevor ich zum Ende komme, muss ich noch ein Wort zu den Darstellern verlieren. Diese brillierten alle auf ihre Weise. Während anfangs noch der Vater eine recht vielschichtige Figurenrolle einnimmt, die durch Liebe und Zuneigung zum Sohn aber eben auch Ehrgeiz, der dem jungen Mann ein besseres Leben verschaffen soll, als ihm selbst, präsentiert wird, dominiert im zweiten Teil Starschauspieler Lucas Hedges. Wie eh und je nimmt dieser dabei eine eher Softie-artige Rolle ein, die Gebrechlichkeit, Nervosität, Herzlichkeit und Treue vermittelt. Damit knüpft er an frühere Figurendarstellungen an und befindet sich ganz und gar in seinem Element. Zudem stellt dies, wie so vieles sonst im Film auch, einen herben Kontrast zum früheren Hauptdarsteller dar. Auffällig dabei ist, dass stets ein männlicher Darsteller in die Rolle des Protagonisten schlüpft, während die eigentlich auch sehr starken Frauen stets in den Hintergrund geschoben werden.

Wie lautet nun also mein Urteil? Es ist schier unmöglich hier ein völlig zutreffendes Meinungsbild zu finden, denn für sich betrachte sind beide Handlungsparts ausgereift und zeugen von künstlerischerer Raffinesse. Einzeln betrachtet wäre es wohl der erste Part von WAVES eine 10/10 gewesen, der zweite hingegen eine 8/10. Doch in der Gesamtbetrachtung bildet sich daraus nicht der Mittelwert, sondern eher meine obig verkündete Entscheidung, da der Bruch der Geschichten den Gefühlswandel des Zuschauers ad absurdum führt. Auch wenn es eine kreative Idee ist die einzelnen Storys miteinander zu verknüpfen, um insbesondere zu zeigen, wie aus einem Wendepunkt im Leben ein Dasein danach resultiert, würde ich behaupten, dass diese drastische Maßnahme dem Film mehr schadet, als ihn zu einem brillanten Werk zu machen.

Aus einer Katastrophe folgt meist die Nächste. So auch in diesem Film, in dem durch modernste Gestaltungsweisen eine schier greifbare Atmosphäre erzeugt wird, die zu einem unfassbar nervenaufreibenden Höhepunkt anschwillt. Dabei wird der Zuschauer mehrfach ins Wechselbad der Gefühle geworfen, doch lässt die treibende und rasante Handlungsentwicklung dem Publikum kaum Zeit diese Emotionen so richtig zu ordnen. Während der erste Teil der Geschichte zu einem der besten gehört, den ich seit langem gesehen habe, schafft es der zweite bei weitem nicht so gut von sich zu überzeugen. Ein grandioser Auftakt mündet in einer verzwickten und leblosen Story, die in einzelnen Parts betrachtet vollkommen funktioniert, im Gesamtpaket jedoch viele Federn lassen muss. Abgesehen davon jedoch zeigen sich die zum Teil recht unbekannten Darsteller allesamt aus einem hervorragenden Licht und beeindrucken vor allem durch persönliche Charakterwandel, die so wohl kaum zu erwarten waren.

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