“Wann ist ein Mann ein Mann?” Diese Frage stellte sich Herbert Grönemeyer in seinem Song “Männer” bereits im Jahr 1984. Seine selbstironischen Lyrics, die den Protottyp Mann als sensibles, vielschichtiges Wesen enttarnen, waren für die damalige Zeit tatsächlich ein Novum und das, was man heute als woke bezeichnen würde. Trotz der kritischen Betrachtung negativ belasteter, als typisch “männlich” deklarierter Eigenschaften, hält der deutsche Nummer-1-Hit aufgrund der veralteten Einstellung zu den Geschlechterrollen und dem Fehlen von Gender Diversity, dem Test der Zeit nicht mehr ganz stand. Wer sich für ein zeitgemäßes Update des Themas interessiert, darf an dieser Stelle den gleichnamigen Song des Stuttgarter Newcomers Lostboi Lino als musikalischen Tipp im Hinterkopf behalten.
Für seinen schwarzhumorigen Wildlife-Thriller WILD MEN versucht nun auch der dänische Filmemacher Thomas Daneskov die Wurzeln des Mannseins zu ergründen und schickt seinen ausgebrannten Protagonisten dafür auf einen Selbstfindungstrip in die Wildnis, um sich seinem inneren Neandertaler zu stellen. Eine genaue Antwort auf die Frage, was denn jetzt tatsächlich einen echten Mann ausmacht, kann und will der junge Däne dabei natürlich nicht liefern, ein finales Fazit hat er aber dennoch parat. Manchmal entpuppt sich der romantisierte Blick auf das, was uns die Gesellschaft als männlich vorschreiben möchte als Trugschluss und wirkt bei näherer Betrachtung, doch ziemlich albern. Und allgemein: Männer sind auch nur Menschen!
Darum geht es…
Ein schönes Haus, eine liebevolle Frau und ein gut bezahlter Job – eigentlich hat Martin (Rasmus Bjerg) alles, was er sich immer gewünscht hat und trotzdem verspürt er eine innere Leere. Er steckt mitten in einer Midlife-Crisis. Diese bringt ihn dazu, sein altes Leben hinter sich zu lassen und zurück zu den Wurzeln des Mannes zu kehren – mit mäßigem Erfolg. Denn da sitzt er nun, heulend irgendwo in den norwegischen Wäldern, zu stolz sich seine Fehler einzugestehen. Nach erfolglosen Jagdversuchen treibt ihn der Hunger zu einer abgelegenen Tankstelle, die er aufgrund fehlender Zahlungsmittel prompt ausraubt. Auf dem Weg zurück zu seinem steinzeitlichen Lager stößt er auf den schwer verletzen Drogendealer Musa (Zaki Youssef). Dieser ist auf der Flucht vor der Polizei und findet in Martin einen naiven Helfer, der ihn kurzerhand bei sich aufnimmt. Von Musas kriminellem Hintergrund weiß der Aussteiger nichts und so entwickelt sich der Kontakt mit der nach dem Schmuggler fahndenden Polizei zu einem großen Missverständnis, infolgedessen er und Musa fliehen, um Unterschlupf bei einer nicht weit entfernten Aussteigersiedlung zu suchen. Einem Ort, an dem einen Mann noch ein Mann sein kann…
Rezension
Wenn die Teilnahme am „Iron Man“ oder einem Radrennen die Leere im Inneren nicht mehr füllen können, muss zu rabiateren Mitteln gegriffen werden, um der Midlife-Crisis Herr zu werden. Martin fühlt sich entmannt in einer modernen Gesellschaft, in der Muskelkraft und Geldverdienen alleine anscheinend nicht mehr ausreichen, um sich als echter Mann wahrgenommen zu fühlen. Früher war sowieso alles besser. Er sehnt sich zurück in eine Zeit, in der ein Mann noch tagelang als Jäger und Sammler durchs Land zog und die Frau im heimischen Lager die Kinder hütetet und die Nahrung zubereitete. In WILD MEN darf ein Mann noch Mann sein – und fällt dabei gnadenlos auf die Schnauze. Der romantische Ruf der Wildnis entlarvt sich für Martin als heimtückischer Sirenengesang. Wenn ihm mangels vorhandener Jagdfähigkeiten ein Ziegenbock entwischt, wird eben ein Frosch totgeknüppelt, um am nächsten Tag unverdaut wieder erbrochen zu werden. Doch zumindest das Fährtenlesen scheint Martin zu liegen. Ein leeres Schokoladen-Papier ist für den erfahrenen Naturburschen ein klares Indiz für die Präsenz eines Geschäfts, welches irgendwo in der Nähe nur darauf wartet, erlegt zu werden.
Trotz der tieferen Botschaft, die in Thomas Daneskovs Film mitschwingt, ist WILD LIFE in erster Linie eine schwarzhumorige Komödie, die sich an einem eher austauschbaren Thriller-Plot entlanghangelt. Der trockene Humor, der sich durch die cleveren Dialoge zieht, tröstet dabei ein wenig über die eher konventionelle Erzählweise hinweg. Wenn Martin zum unfreiwilligen Komplizen des kriminellen Musa wird, zieht er nicht nur das Interesse der Polizei, sondern auch das von Musas Mittätern auf sich zieht und sorgt dadurch immer wieder für pointierte Situationskomik. Nach dem herrlich komischen ersten Drittel schleichen sich zwar ein paar Längen ein und der Humor wird zugunsten der Kriminalgeschichte etwas zurückgeschraubt, im Großen und Ganzen hinterlässt WILD MEN jedoch einen durchaus positiven Eindruck. Das liegt nicht zuletzt an den schrulligen, größtenteils männlichen Figuren, die auf ihre seltsame eigene Art allesamt irgendwie liebenswert sind. Trotz des Überhangs an Testosteron bezogen auf den vorwiegend männlichen Cast, heißt das noch lange nicht, dass auch nur einer der Männer eine gute Figur macht. Egal ob Verbrecher, Polizist oder Aussteiger auf den Pfaden unserer Vorfahren – hier scheint niemand so wirklich zu wissen, was er da gerade macht.
Fazit
Was macht einen Mann zu einem Mann? Auch wenn es auf diese Frage keine Antwort gibt, lässt sich nach WILD MEN zumindest eines feststellen: Ein dichter Rauschebart, eine scharfe Axt und ein authentisches Outfit aus Fell und Leder sind es jedenfalls nicht. Regisseur Thomas Daneskov schickt einen Mann mitten in den Tiefen seiner Midlife-Crisis in die Wildnis, um sich dort von seinen Urtrieben geleitet auf die Suche nach seiner Männlichkeit zu machen. Der dänische Genrehybrid kombiniert die Motive von Komödie und Thriller und überzeugt dabei vor allem als schwarzhumorige Dekonstruktion veralteter Männlichkeitsbilder. Während die Dialoge mit trockenem Humor glänzen, hinkt der eher austauschbare Thriller-Plot ein wenig hinterher – so wirkt WILD MEN zwar ein wenig unausgegoren, bietet aber immer noch genügend Unterhaltungspotenzial mit doppeltem Boden.
Originaltitel | Vildmænd |
DVD/Blu-ray – Release | 23.06.2022 |
Länge | ca. 104 Minuten |
Produktionsland | Dänemark |
Genre | Komödie |
Verleih | Koch Films |
FSK |
Regie | Thomas Daneskov |
Drehbuch | Thomas Daneskov | Morten Pape |
Produzierende | Lotte Rørbye Aagaard | Marianne Christensen | Lina Flint | Mette Høst Hansen | Mathias Bruunshøj Jakobsen | Einar Loftesnes | Lina Talbo | Nadia Højsgaard Wardi | Henrik Zein |
Musik | Ola Fløttum |
Kamera | Jonatan Rolf Mose |
Schnitt | Julius Krebs Damsbo |
Besetzung | Rolle |
Rasmus Bjerg | Martin |
Zaki Youssef | Musa |
Bjørn Sundquist | Øyvind |
Sofie Gråbøl | Anne |
Marco Ilsø | Simon |
Jonas Bergen Rahmanzadeh | Bashir |
Håkon T. Nielsen | Tore |
Tommy Karlsen | Eigil |
Rune Temte | Henrik |
Katinka Evers-Jahnsen | Sally |
Camilla Frey | |
Sigmund Hovind | |
Kathrine Thorborg Johansen | |
Thea Lundtoft Larsen | Luna |
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