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FSK 12

FSK 12 ©FSK

Originaltitel: 1917
Kinostart: 16.01.2020

Länge: ca. 119 Minuten
Produktionsland: USA | Vereinigtes Königreich
Regie: Sam Mendes
Schauspieler:  George MacKay | Dean-Charles Chapman | Mark Strong
Genre: Action | Drama | Kriegsfilm
Verleih: Universal Pictures Germany

1917

1917 ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Mit etwa 70 Millionen bewaffneten Menschen und insgesamt rund 17 Millionen Toten gehört der erste Weltkrieg zu einem der umfassendsten Kriege aller Zeiten. Ganze 40 Staaten beteiligten sich an diesem und führten Schlachten in Europa, Afrika und auf den Ozeanen sowie Teilen von Asien. Mit Hilfe der Geschichten und Erzählungen von Alfred Hubert Mendes, dem Großvater des Regisseurs Sam Mendes, wurden die Impressionen, die Alfred selbst im ersten Weltkrieg erlangt hat, in eine Geschichte gepackt, die zum Höhepunkt dieser großen Kriegsoffensive spielt. Nicht ganz klar wird, ob die Story auch so geschehen sein soll, auch wenn dies naheliegend ist. Sicher ist, dass Alfred Mendes zwei Jahre an der belgischen Front gedient hat und eine militärische Auszeichnung erhielt.

Erfolgsversprechend auf allen Ebenen

Sam Mendes ist kein Neuling auf dem Gebiet der Kriegsfilme. Mit JARHEAD – WILLKOMMEN IM DRECK hat er 2005 bereits ein sehr erfolgreiches Kriegsdrama produziert, welches den brutalen Alltag von Soldaten zeigt, die in einer abwartenden Stellung über die Dauer anfangen wahnsinnig zu werden. Bei diesem Projekt hat er auch mit Roger Deakins zusammengearbeitet, der für seine hervorragende Kameraarbeit für 1917 aktuell für einen Oscar nominiert ist. Vor zwei Jahren erhielt er diese für den Film BLADE RUNNER 2049. Durch seine Vita ziehen sich unzählige großartige Produktionen wie A BEAUTIFUL MIND – GENIE UND WAHNSINN, FARGO und zuletzt DER DISTELFINK.

Mit insgesamt zehn Nominierungen ist 1917 die große Hoffnung der diesjährigen Oscarverleihung. Schon bei den Golden Globe Awards ist das Werk mit Auszeichnungen für den besten Film und die beste Regie nach Hause gegangen. Bei den Oscars winken zudem noch Nominierungen für das beste Originaldrehbuch, die beste Kamera, der beste Tonschnitt, der beste Ton, das beste Szenenbild, die beste Filmmusik, das beste Make-up und die besten Frisuren sowie auch die besten visuellen Effekte. Doch ist dieser Hype auch tatsächlich gerechtfertigt, wo es doch so viele andere starke Produktionen im aktuellen Oscar-Jahr gab?

Eine Mission zur Rettung Tausender

Lance Corporal William Schofield und Lance Corporal Tom Blake dienen 1917 in der britischen Armee, die noch immer im Kampf gegen das Vorrücken der deutschen Streitkräfte steht und die nordfranzösischen Grenzen verteidigt. Unerbittlich sind die Kämpfe. In einer kurzen Kampfpause werden die beiden Soldaten zum General gebeten, um eine wichtige Aufgabe zu erledigen. General Erinmore teilt den beiden mit, dass ein nahegelegenes Bataillon der Engländer einen Direktangriff auf die Deutschen plant, welcher jedoch zum Scheitern verurteilt ist, da diese sich zurückgezogen haben und nun eine gefährliche Falle vorbereiten. Diese Informationen stammen aus aktuellen Luftaufnahmen und müssen schnellstens an Colonel Mackenzie weitergeleitet werden, der den Angriff abbrechen und damit rund 1600 Menschenleben retten soll. Da jegliche Kommunikationsverbindungen jedoch unterbrochen sind, müssen die beiden Corporals ausrücken und die Nachricht persönlich überbringen. Doch haben sich die Deutschen wirklich zurückgezogen oder trügt der Schein?

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Topbesetzung ohne wirkliche Relevanz

Benedict Cumberbatch und Colin Firth zusammen mit Mark Strong in einem Kriegsfilm? Das kann ja nur großartig werden! Doch Überraschung: die drei großen Sternchen am Set von 1917 sind nur winzig kleine Marionetten, die jeweils gerade mal Auftritte von ca. zwei Minuten Länge erhielten. Die großen Stars sind viel mehr Dean-Charles Chapman und deutlicher noch George MacKay, die den gesamten Film dominieren und als einzige dessen Handlung tragen.

1917

1917 ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Doch ich fange eher mal damit an, ob die Welt noch einen weiteren Kriegsfilm gebraucht hat, wo es doch schon unzählig viele davon gibt? Dazu sei erst einmal gesagt, dass der erste Weltkrieg tatsächlich nicht so häufig Mittelpunkt der cineastischen Darstellungen wurde. Der Großteil aller Produktionen handelt eher von dessen Nachfolger. Aus diesem Grund ist es tatsächlich mal angenehm auch über die erste weltbewegende Schlacht etwas mehr zu erfahren. Leider jedoch hält sich der informative Anteil des Werks noch deutlich in Grenzen. Sam Mendes erzählt nämlich in seiner Geschichte gerade Mal die Geschehnisse eines einzigen Tages, welcher noch nicht einmal spektakuläre Ausmaße auf den Gesamtverlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen zu scheinen hat.

Ein historisches Kriegsspektakel ohne Historie und Krieg

Packen wir also die Geschichtsbücher bei Seite und konzentrieren uns darauf, was Mendes uns vermitteln möchte: Die verstörenden Eindrücke, die ein Krieg in kürzester Zeit hinterlassen kann. Denn wir verfolgen die gesamten zwei Stunden stets die Geschehnisse rund um die Figur des Lance Corporal William Schofield, der sich waghalsig über ein Schlachtfeld kämpfen muss, um damit das Leben vieler seiner Mitstreiter zu retten. Stirbt er, sterben alle anderen auch. Lebt er, besteht Hoffnung für rund 1600 Seelen. Somit wird aus dem Film, der mitten im Krieg spielt und sich auch durch kriegerische Handlungsschwerpunkte schlängelt doch vielmehr ein spannendes Überlebensdrama, welches eine furchtbare psychische und körperliche Belastung ganz nah an den Zuschauer heranführt.

Hinab in die Hölle, hinauf auf den Thron, am schnellsten empfängt man alleine den Lohn!

1917

1917 ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Doch im Wesentlichen Fokus stehen eigentlich noch zwei völlig andere Punkte bei diesem Film: Eine ausgezeichnete Schauspielleistung von George MacKay sowie eine unglaublich geniale Arbeit des Kameragenies Roger Deakins. Dieser Film zählt zu den „One-Shot“-Filmen, auch wenn dies eigentlich nicht so ganz stimmt. Zwar war es Mendes anfängliche Intention einen 110 Minuten Film zu drehen, dessen Geschichte sich ebenfalls nur über 110 Minuten erstreckt und damit ohne jegliche Schnitte eine scheinbar reale Geschichte auf die Leinwand bringen. Letztlich ist aus dem Echtzeit-Projekt eine etwas umfangreichere Arbeit geworden, um eine Geschichte im Zeitrahmen von etwa 24 Stunden spielen zu lassen.

Der visuelle Gaumenschmaus des Jahres

Somit ist schon jetzt klar, dass Schnitte notwendig waren für die Realisierung. Doch sind diese gut verborgen und kaum erkennbar, so dass 1917 noch immer wie eine One-Shot-Produktion wirkt. Angesichts der gezeigten Handlung ist in jedem Fall die Arbeit von Roger Deakins bemerkenswert, denn dieser hat es geschafft mehrere lange ununterbrochene Shots zu filmen, die spektakuläre Handlungen zeigen. Stellt euch einmal vor, dass hunderte Menschen gleichzeitig zu sehen sind, alles so im Film gezeigt wird, wie es aufgenommen wurde und sich somit niemand einen Fehler leisten darf. Einfach faszinierend! Und um das Spektakel noch gewaltiger werden zulassen, finden Flugzeugabstürze, Explosionen und Verfolgungsjagden noch ihren Weg in das Werk.

1917

1917 ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Selten habe ich eine so ruhige Kameraführung wie in diesem Werk gesehen. Roger Deakins hat mit einem eigenen Drehbuch koordiniert, wo sich wann die Kamera zu befinden hat, damit jede Aufnahme perfekt wird. Dabei müssen Flüsse und Seen überquert, Hürden umrundet, Tunnel durchquert und Hindernisse erklommen werden. Durch geschickten Einsatz von Kamerafahrzeugen, Kameraarmen und weiterem Spezialequipment war es ihm möglich mit einer einzigen Kamera diesen Weg zu verfolgen und diese dabei ohne Motivverlust durch das gesamte Gelände zu führen. Ähnliches gab es schon in BIRDMAN, ODER DIE UNVERHOFFTE MACHT DER AHNUNGSLOSIGKEIT oder VICTORIA in den letzten Jahren zu sehen, doch zeigten diese bei weitem nicht so brillante Handlungsspektakel. Insgesamt waren für mich gerade einmal fünf Cuts ersichtlich (hierbei schließe ich jedoch nicht aus, dass es auch ein paar mehr waren).

Auch sonst ein rundum stimmiges Werk

Doch hätte all dies nicht funktioniert, wenn mit George MacKay nicht so ein hervorragender Darsteller gefunden wäre. Dieser zeigt Souveränität in jedem Augenblick und schafft es durch seine natürlichen und sinnvollen Handlungen den Zuschauer mitten in das Geschehen zu saugen. Durch Schlamm robbend, sich durch Stacheldraht windend und in einem Leichenfeld pausierend muss nicht nur seine Figur Höllenqualen durchleben. Doch muss neben ihm auch jeder, und zwar wirklich jeder Darsteller in 1917 gelobt werden. Jede schauspielerische Handlung sitzt auf den Punkt und es ist geradezu genial, dass die drei großen Stars zwar die größten, aber eben auch kürzesten Rollen erhielten und damit den jungen Darstellern das Feld überließen.

1917

1917 ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Was bleibt nun noch zu erwähnen? Auf jeden Fall die hervorragende Filmmusik, die von Thomas Newman komponiert wurde und sich immer nahtlos in die Handlung einfügt. Dabei ist das Werk vor allem durch ruhige Klänge von Piano und Streichern geprägt, setzt jedoch in wirklich dramatischen Szenen auch auf sehr harte Töne, die Dramatik der Situation noch weiter steigern. Ohne Frage muss auch im Einklang mit den ausgezeichneten Kameraaufnahmen das perfektionistische Setting genannt werden, welches kaum realistischer hätte gestaltet werden können. Während sich MacKay durch die Schützengräben schlingert, bekommt der Zuschauer selbst den Eindruck durch die Enge dieser hindurch zu wabern.  

Ansprechend auf allen Ebenen

Zu guter Letzt muss natürlich auch noch ein Wort zum Drehbuch und der Regietätigkeit von Sam Mendes ein Wort verloren werden, der mit dem Werk den Opfern des ersten Weltkriegs seinen Tribut zollen möchte. Die Geschichte ist recht simpel und einfach gehalten, doch ist dies keineswegs schlimm, da in der umgebenden Atmosphäre einfach so viel Spannung und Dramatik knistert, dass eine umfassendere Handlung einfach nur noch unrealistisch geworden wäre. In eben jener Normalität und Einfachheit steckt genau die Faszination, die begeistert. 1917 schafft es sowohl die einfache Denkweise eines ganz normalen Soldaten mit dessen Emotionalität und Lebensverständnis zu verknüpfen und dies auch wieder zu spiegeln. Gleichzeitig wird die mentale Herausforderung der Bürde des Soldaten mit der körperlichen Schwere der Mission und der mentalen Schwäche verknüpft und wiedergegeben.

Der Teufel steckt im Detail

Selbstredend gibt es auch ein paar Kleinigkeiten, die mir unangenehm aufgestoßen sind, doch sind diese so minimal, dass sie kaum die Erwähnung wert sind. So zum Beispiel ein Dialog mit einer französischen Frau, in der klar wird, dass beide Dialogpartner den Gegenüber sprachlich verstehen, sich jedoch nicht in der jeweiligen Sprache ausdrücken konnten. Hier wäre eine gelungene mimische und gestikulierende Kommunikation doch viel passender gewesen. Zudem hat die Maske teilweise doch ein wenig zu sehr auf den Putz gehauen und die Figuren zeitweise visuell für tot erklärt. Und wohl das nervigste Problem sehe ich in der unfassbar schnell trocknenden Kleidung des Protagonisten. Klar wäre ein Dreh in nassen Gewändern wohl eine riesige Qual geworden, aber für den Preis so einen Fehler zu riskieren….?

Kleinigkeiten, Belanglosigkeiten! Denn insgesamt bleibt der Film ein absolutes, vor allem visuelles, Meisterwerk, welches zurecht die vielen Oscarnominierungen erhalten hat und nun hoffentlich auch die ein oder andere Trophäe abräumt. Hierfür muss ein absolutes „Must see“ vergeben werden, am besten in herausragender IMAX-Qualität, um jedes einzelne Bild und jeden Ton vollständig genießen zu können.

1917 ist einmal ein etwas anderes Kriegsdrama, das vor allem Ästheten in seinen Bann ziehen wird. Als leicht betrügerischer One-Shot-Film wird hier eine hochdramatische Story erzählt, die sowohl akustisch als auch visuell unglaublich viel bietet kann. Während die großen Filmstars nur in kleinsten Nebenrollen zu sehen sind, brillieren vor allem George MacKay und Dean-Charles Chapman mit herausragenden schauspielerischen Leistungen, während Kameramann Roger Deakins diese auf spektakulärste Art und Weise einfangen kann.

Das Werk punktet auf allen Ebenen, weshalb sich ein Kinobesuch absolut lohnt. Solltet ihr die ewigen Kriegsgeschichten langsam leid sein, würde ich sagen: schaut euch noch diesen einen an und dann reicht es auch!

1917

1917 ©2019 Universal Pictures International Germany GmbH

Schauspieler:in Rolle
Dean-Charles Chapman Lance Corporal Blake
George MacKay Lance Corporal Schofield
Daniel Mays Sergeant Sanders
Colin Firth General Erinmore
Pip Carter Lieutenant Gordon
Andy Apollo Sergeant Miller
Paul Tinto NCO Baker
Josef Davies Private Stokes
Billy Postlethwaite NCO Harvey
Gabriel Akuwudike Private Buchanan
Andrew Scott Lieutenant Leslie
Spike Leighton Private Kilgour
Robert Maaser Deutscher Pilot
Gerran Howell Private Parry