Rezension
Leere Plätze auf der Fähre, leerstehende Wohnhäuser, in dessen Grundrissen sich das Wasser sammelt, ein einsames Häuschen am verlassenen Ufer: Zwei Jahre nach seinem gleichnamigen Kurzfilm knüpft Regisseur Wu Lang in seinem Encounter-Beitrag ABSENCE thematisch an diesen an. Erneut ist der taiwanesische Schauspieler Lee Kang-Shen (GOODBYE, DRAGON INN) in einer Hauptrolle zu sehen, diesmal als mittelloser Mann, der nach jahrelanger Abwesenheit auf seine Heimatinsel zurückkehrt. Modernisierung und Wohnungsbau haben das Gesicht von Hainan Island nachhaltig verändert, die frühere Geliebte des Protagonisten hat mit der Vergangenheit abgeschlossen. In elegischen Bildern folgt der Film dem Weg der wortkargen Hauptfigur zwischen Neufindung und Wiederaufnahme eines alten Lebens, zwischen der Beziehung zu einer ehemaligen Geliebten und dem Kontakt zu einem alten Jugendfreund.
In jenen Bekannten beginnen sich schon bald zwei verschiedene Schicksale zu kontrastieren: Eines, das aus dem Erfolg zwielichtiger Wohnungsgeschäfte profitierte und ein anderes, das für eine neue Wohnung essentielle Zugeständnisse machen muss. Die Zentrierung des Hauptcharakters erlaubt dabei nur oberflächliche Einblicke in die Lebensrealitäten beider Nebenfiguren, wenngleich diese das Leben Yus maßgeblich prägen und das entworfene Zeit- und Gesellschaftsbild verdichten.
Hongs Lebensentwürfe und Gemütszustände zeichnen sich am Rande der Wiederfindungsreise des Protagonisten ab, sind jedoch ebenso selten vertieft, wie das sich ohne dramatische Zuspitzungen entwickelnde Familiendrama. Oft distanziert betrachtet ABSENCE die sozialen und individuellen Probleme, bewegt sich tastend am Hauptcharakter entlang, ohne akribisch in das Milieu oder die Figuren einzusteigen. Das aufdringliche Verhalten der Hauptfigur bleibt unreflektiert, die Entwicklungen Hongs verkürzt, das Zusammenleben mit Tochter Yao Yao nur angerissen.
Ungeachtet der zweckorientierten Zusammenfindung der Figuren bleibt ein Gefühl der Abwesenheit unterschwellig präsent. Es kriecht aus der fremdgewordenen Heimat, aus den verwaisten Wohnhäusern und distanzierten Gefühlen bis selbst Worte absent sind und die Figuren schweigend ein Haus beziehen. Spätestens dann verdeutlicht sich in den geduldig gefilmten und den Ort als eigenen Akteur begreifenden Aufnahmen Wu Langs Gespür für eingängige Bildkompositionen und -sprache. Dort liegen die verzweigten Emotionen des Beziehungsgefüges häufiger verborgen, als in den überschaubar ausgefeilten Dialogen.
Fazit
Gemächlich wie die Fähre, die das Festland mit der Inselheimat der Hauptfigur verbindet, schippert ABSENCE durch die diesjährige Encounter-Sektion. Wu Langs Spielfilmdebüt schildert eine Wiederkehr nach langer Abwesenheit mit äußerst loser Zielorientierung und Abstrichen in einzelnen Figurenzeichnungen, aber mit wirkungsvollen Aufnahmen.
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