Ari Aster gilt als einer der vielversprechendsten neuen Regisseure der USA. Der 37-jährige Filmemacher hat im Jahr 2011 seinen ersten Kurzfilm THE STRANGE THING ABOUT THE JOHNSONS veröffentlicht und ist mit jedem weiteren seiner Kurzfilme tiefer in die menschliche Psyche abgetaucht. Sein großer Durchbruch ist Aster 2018 mit dem Familien-Horrorfilm HEREDITARY gelungen. Für viele Filmfans und Kritiker*innen gilt das Spielfilmdebüt von Aster als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten. Nur ein Jahr später sollte mit MIDSOMMAR der nächste Horrorstreifen folgen, durch den die Schauspielerin Florence Pugh vielen Zuschauer*innen erstmalig begegnet ist. HEREDITARY, MIDSOMMAR und auch Asters neuester Film BEAU IS AFRAID haben eines gemeinsam: Sie setzen sich mit den Ängsten und Traumata der Hauptfiguren auseinander, sie werfen einen Blick auf die schrecklichen Erfahrungen, die wir verinnerlichen und uns unbewusst zu eigen machen.
BEAU IS AFRAID war immer das Herzensprojekt von Aster. Bereits im Jahr 2011 hat er mit seinem zweiten Kurzfilm BEAU die Grundlage für seinen neuesten Film geschaffen. An diesem Drehbuch hat Aster seitdem kontinuierlich weitergeschrieben und es immer weiter überarbeitet. Statt wieder einen Horrorfilm zu inszenieren, wurde für BEAU IS AFRAID mit verschiedenen Stilen experimentiert, sodass Aster seinen Film nun selbst als eine albtraumhafte Komödie bezeichnet. Wie auch schon seine letzten Filme, wurde Asters neuestes Werk vom Independent-Studio A24 produziert. Darüber hinaus hat Aster erneut mit demselben Team zusammengearbeitet. Auf der einen Seite hat Pawel Pogorzelski wieder die Kamera bedient und Lucian Johnson ist für den Schnitt des Films verantwortlich.
Darum geht es…
BEAU IS AFRAID… Beau (Joaquin Phoenix) hat Angst. Er hat Angst vor den Leuten auf der Straße, er hat Angst vor seinen Nachbarn, er hat Angst vor seiner Mutter. Deshalb lebt er ein zurückgezogenes Leben in einer heruntergekommenen Wohnung. Das Einzige, was seinem Leben Abwechslung gibt, sind die routinierten Gänge zur Therapie. Doch Beaus geordnetes Leben soll sich von einem Tag auf den nächsten ändern. Eigentlich will er seine Mutter besuchen, aber als er kurz den Schlüssel in der Tür stecken lässt, um etwas aus der Wohnung zu holen, wird dieser gestohlen. Als er dann seine Tabletten (die er unbedingt mit Wasser einnehmen soll) schluckt, merkt er, dass das Wasser abgestellt wurde. Sein Tag wird immer chaotischer, bis er wieder seine Mutter anruft und eine schreckliche Nachricht bekommt. Er beschließt, sich trotz aller Umstände auf den Weg zu seiner Mutter zu machen und begegnet auf seiner Reise den unterschiedlichsten Charakteren.
Rezension:
Mit BEAU IS AFRAID hat Ari Aster einen Film geschaffen, der sich grundlegend von seinen anderen Filmen unterscheidet, aber dennoch ganz klar seine Handschrift trägt. Statt uns erneut einen Horrorfilm zu präsentieren, zeigt BEAU IS AFRAID eher eine groteske Komödie. Ein Film, der seinen Humor aus Absurditäten zieht, dabei aber trotzdem eine unheilvolle Stimmung transportiert. Und obwohl kein gradliniger Horrorfilm präsentiert wird, erkennt man in den Themen Ari Aster wieder. Themen wie Angst, Familie und Schuld geben auch in seinem neuestem Film den Ton an. Bereits in HEREDITARY steht das Verhältnis zu den Eltern im Mittelpunkt. Auch Beau musste sich sein Leben lang mit einer kontrollierenden Mutter auseinandersetzen. Trotz (oder vielleicht gerade wegen) dieser Härte versucht Beau ständig, ihre Gunst zu erlangen.
Obwohl das Thema des Films sehr schnell klar wird, ist BEAU IS AFRAID ein Film, der seine Zuschauer*innen immer wieder mit ungewöhnlichen Entscheidungen überrascht. Ari Aster hat hier einen sperrigen Film geschaffen, der von vielen abgelehnt werden wird. Dieses dreistündige Werk scheint auf den ersten Blick eine chaotische Aneinanderreihung absurder Momente zu sein. Wenn man sich auf diesen filmgewordenen Albtraum einlässt, ergibt sich einem allerdings ein mitreißendes Rätsel, das man zu entschlüsseln versucht. BEAU IS AFRAID erinnert dabei an Filme wie INLAND EMPIRE oder MULHOLLAND DRIVE von David Lynch. Ebenfalls zwei kafkaeske Werke, die entweder mitreißen oder abschrecken. All diese surrealen Werke wollen ihre Zuschauenden herausfordern, sie wollen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei sind es keine Filme, die uns bei einer Tüte Popcorn unterhalten wollen; sie versuchen, sich in unsere Gehirnwindungen zu bohren und ein Teil von uns zu werden. Auch Aster gelingt es, einen denkwürdigen Film zu erzeugen, der Emotionen auslöst, sei es nun positiv oder negativ.
Ein Einblick in die Psyche
Der spannendste Aspekt an BEAU IS AFRAID ist die Welt, die Aster kreiert. Auf den ersten Blick scheint der Filmemacher die Straßen von Beaus Heimatstadt mit allem zu füllen, was ihm beim Schreiben des Drehbuchs in den Sinn kam. Die Welt wirkt überfordernd, gefüllt mit sonderlichen Gefahren. Je weiter der Film fortschreitet, desto mehr fragt man sich, ob die Elemente wirklich real sind. Mit Beau begleiten wir eine Figur, die an einer schweren Angststörung leidet. Was der Film uns präsentiert, ist die Welt, wie Beau sie wahrnimmt. In Wirklichkeit gibt es keinen nackten Messerstecher, der vor Beaus Wohnung sein Unwesen treibt. Nur für Beau gibt es diese unzähligen Gefahren. Die Welt soll uns genauso überfordern wie seine Hauptfigur. Immer wieder spielt der Film mit diesem Thema. Was ist echt und was bildet sich Beau nur ein. Spätestens dann, wenn Beau sich anhand eines Theaterstücks ein besseres Leben ausmalt, wird klar, dass wir uns in seinem Kopf befinden.
Für die Hauptrolle in BEAU IS AFRAID hätte Ari Aster niemanden besseren wählen können als Joaquin Phoenix. Der Schauspieler ist dafür bekannt, dass er seinen ganzen Körper und seine ganze Seele in Rollen investiert. Auch hier gibt er wieder alles. Wir sehen durch Phoenix einen gebrochenen Mann, der sein komplettes Leben mit Selbstzweifeln verbracht hat. Durch die harte Hand seiner Mutter hat er eine Angststörung entwickelt und befindet sich in einem toxischen Abhängigkeitsverhältnis. Auf der einen Seite liebt er niemanden mehr als seine Mutter, auf der anderen Seite verabscheut er sie mit jeder Faser seines Körpers. Diese Ambivalenz ist ebenfalls eines der zentralen Themen des Films und wird auch in anderen Momenten immer wieder aufgegriffen. Phoenix wirkt während des Films konstant wie ein ängstliches Kind, das in einem viel zu großen Körper steckt. Erneut schafft er es durch vollen Einsatz zu überzeugen und bleibt dabei trotzdem subtil.
Ein eingespieltes Team
Wie bereits oben beschrieben, hat Aster wieder mit Kameramann Pawel Pogorzelski und Editor Lucian Johnson zusammengearbeitet. Durch die Arbeit dieser beiden herausragenden Filmschaffenden erzeugt der Film beeindruckende Bilder, die noch lange nachhallen. Wie auch schon in MIDSOMMAR oder HEREDITARY sehen wir Gebäude, in denen die Figuren wie Puppen wirken. Insbesondere das Haus von Beaus Mutter strahlt dadurch eine wahnsinnige Bedrohlichkeit aus. In BEAU IS AFRAID erfüllt das Haus eine symbolische Funktion und steht für die Psyche von Beau. Neben den gewohnt beeindruckenden Bildern präsentiert uns Aster in der Mitte des Films visuell sehr besondere Sequenzen, die uns kurz aus den absurden Schrecklichkeiten entführen und uns verzaubern.
Fazit:
BEAU IS AFRAID ist kein Film, den man ohne weiteres empfehlen kann. Es handelt sich um einen Film, bei dem man vorher eine Warnung aussprechen sollte. Ari Aster hat keinen leichten Film geschaffen, den man mal nebenbei auf dem Sofa schauen kann. BEAU IS AFRAID lädt seine Zuschauer*innen zum Nachdenken und Interpretieren ein. Selbst wenn man darauf eingestellt ist, kann es immer noch sein, dass der Film viel zu sperrig scheint. Wenn man sich aber darauf einlässt und in die verletzte Seele von Beau Wassermann eintaucht, wird man mit einem kafkaesken Rätsel belohnt, das zum Miträtseln verleitet. Gerade wenn man sich in den Filmen von David Lynch verlieren kann, wird man vermutlich genauso große Freude mit BEAU IS AFRAID haben. Auf jeden Fall ist Aster erneut ein handwerklich herausragender Film gelungen, der voller kreativer Ideen steckt. Ari Aster zementiert mit BEAU IS AFRAID seine Stellung als einer der interessantesten Regie-Newcomer Amerikas.
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Originaltitel | Beau Is Afraid |
Kinostart | 14.4.2023 |
Länge: | 179 minuten |
Produktionsland | Finland |
Genre: | Komödie | Abenteuer | Fantasy |
Regie | Ari Aster |
Executive Producer | Timo Argillander | Len Blavatnik | Elisa Alvares | Danny Cohen | Ann Ruark |
Producer | Luca Borghese | Tyler Campellone | Ari Aster | Lars Knudsen |
Kamera | Pawel Pogorzelski |
Visual Effects | Louis Morin | Yuval Levy |
Musik | Bobby Krlic |
Cast | Joaquin Phoenix, Patti LuPone, Amy Ryan, Nathan Lane, Kylie Rogers, Denis Ménochet, Parker Posey, Zoe Lister-Jones, Armen Nahapetian, Julia Antonelli, Stephen McKinley Henderson, Richard Kind, Hayley Squires, Julian Richings, Bill Hader, Alicia Rosario, James Cvetkovski, Catherine Bérubé, Stephanie Herrera, Bradley Fisher |
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