Kinostart: ursprünglich: 26.03.2020 – aktueller Starttermin: 25.06.2020
Länge: ca. 94 Minuten
Produktionsland: Deutschland | Österreich
Regie: Harald Friedl
Genre: Dokumentation
Verleiher: Real Fiction
Roggen-Mischbrot, Vollkornbrot, Weißbrot, Toastbrot, Fladenbrot, Knäckebrot, Rosinenbrot. Laut deutschem Brotregister des Deutschen Brotinstituts gibt es derzeitig rund 3.000 verschiedene Brotspezialitäten, die in Deutschland produziert und verkauft werden. International ist die Zahl natürlich noch um ein Vielfaches höher. Diese Menge ist jedoch auch nicht weiter verwunderlich, denn rund 98% aller deutschen Haushalte kaufen mindestens einmal Brot im Jahr, die meisten sogar deutlich mehr, denn durchschnittlich landen mehr als 40kg Brot in den Einkaufswägen der Konsumenten. Daraus folgend wird schnell klar, dass dieses Gebäck ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens darstellt, nicht zuletzt, weil dies dafür mitverantwortlich ist, dass die Menschheit sesshaft wurde. Seit 11.000 Jahren wird Getreide nun angebaut, was es erforderlich machte, dass die Farmer sich gezielt auf einen Ort fixierten.
Als Grundnahrungsmittel ist dies Backwerk heutzutage überall zu finden. Weltweit gibt es viele Großbäckereien, die in unfassbar riesigen Stückzahlen produzieren, während lokale kleine Bäckereien immer noch viel Wert auf klassische Herstellungsweisen setzen und zum Teil fast gänzlich auf moderne Hilfsmittel dabei verzichten. Harald Friedl ist österreichischer Staatsbürger und hat sich dieser Thematik mit viel Ehrgeiz angenommen, um daraus einen entsprechenden Dokumentarfilm zu produzieren. Ein wenig Vorerfahrung hat der studierte Germanist und Anglist bereits sammeln können, denn seit 1994 ist er unter anderem als freischaffender Filmemacher tätig. Auf das Thema ist er eigentlich erst durch seine vielen Reisen gekommen die ihm einen untypischen Lebensrhythmus verschafften, welcher dazu führte, dass er frühzeitig wach war und zur benachbarten Bäckerei gegangen ist, wo er den fleißigen Mitarbeitern bei der Arbeit zugesehen hat.
Darum geht es…
Da das Thema dieser Produktion unschwer aus dem Filmtitel und meinem kleinen Einführungstext erkennbar sein dürfte, bleibt natürlich die Frage, was dem Zuschauer nun eigentlich vermittelt wird? Harald Friedl ist mit seinem Filmteam zu verschiedenen Bäckereien gereist und hat den Alltag dieser einmal eingefangen, aufgearbeitet und zusammengefasst, um den Menschen die Komplexität der Prozesse hinter einem so einfachen Produkt verständlich zu machen. Dabei konzentriert er sich auf fünf unterschiedliche Produktionsstätten: die Großbäckerei und Marktführer Harry-Brot in Deutschland, die französische Ökobäckerei Du Pain et des Idées, die Pariser Traditionsbäckerei Poilane, die österreichische Familienbäckerei Öfferls sowie das international ausgerichtete Unternehmen der Puratos Gruppe.
Für industrielles Brot zahlt ihr drei Mal: einmal für das Brot, einmal für den Arzt und einmal für die Umwelt. (freies Zitat)
Jeder dieser Orte wird Stück für Stück vorgestellt und es wird Interviewartig auf Herausforderungen, Chancen, Ideen, Herstellungsweisen und ähnliche wichtige Aspekte eingegangen. Dabei wird zudem auch ein Bogen geschlagen zur Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit sowie den biologischen Voraussetzungen durch die Grundzutaten und deren Entwicklung in der heutigen Konsumgesellschaft. Es wird also umschweifend über alle Bestandteile der Herstellung und des Fortschritts berichtet und dabei kaum eine Frage für den Konsumenten offengelassen.
Rezension
Schon die ersten 2 Minuten stimmen wunderbar auf die folgende Dokumentation ein. In einem American Sandwich Werbespot wird ein Toastbrot von einem nackten Mann erotisch und fast schon anzüglich ausgepackt und anschließend zu einem nicht identifizierbaren Einheitsbrei zerdrückt. Im Prinzip kann in diesen kleinen Moment fast der ganze Film hineininterpretiert werden, weshalb die Auswahl des Videos kaum besser hätte erfolgen können. Insgesamt formt sich nämlich aus einer recht objektiven Berichterstattung eine eindeutige Meinungsgestaltung mit Ausrichtung gegen die Großkonzerne. Dieses Motiv durchzieht das ganze Werk und ist nicht einmal dem Regisseur vorzuwerfen, da versucht wird alle fünf Bachstationen gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen, die eigene Produktion vorzustellen und Vor- und Nachteile aus eigenen Gesichtspunkten zu beleuchten.
Durch die umfangreiche, fast zweijährige, Recherche von Regisseur und Drehbuchautorin hat sich ein enormer Wissensschatz angesammelt, der in diesem Film großartig vermittelt wird. Nicht nur, dass erklärt du gezeigt wird, woraus Brot besteht, wie es hergestellt wird und wie es am besten zu genießen ist, nein es wird auch – wie bereits erwähnt – auf die wirtschaftliche Entwicklung eingegangen sowie die Herkunft der Grundzutaten und Auswirkungen für die Ökologie und Medizin. Auch ein Ausblick auf die Zukunft wird geliefert, der angesichts der aktuell eher schwierigeren Zeiten vielleicht etwas in der Genauigkeit leiden könnte. Harald Friedl hat es damit geschafft einen wirklich weitsichtigen und umfassenden Informationsgehalt in die Handlung hinein zu produzieren und das völlig, ohne über eine Off-Stimme stupide Fakten einzusprechen.
Ein Unterschied wie Tag und Nacht
Besonders gefällt dabei der Versuch von Ausgewogenheit zwischen Großkonzernen und Kleinstbetrieben zu zeigen. Scheinbar ist es der Wunsch des Regisseurs, dass sich jeder Zuschauer seine eigene Meinung bilden kann und fasst daher die einzelnen Blickwinkel auf das Thema recht fair und gleichgewichtig zusammen. Dabei wird auch deutlich, dass kleine Bäckereien, die häufig wirtschaftlich etwas angeschlagener sind als Großbetriebe, sich auch nicht immer einig über alle Feinheiten ihres Produkts sind, aber dennoch ähnliche Herausforderungen zu bewältigen haben.
In der Landwirtschaft verdient man nichts – an der Landwirtschaft! Sonst hätte ja Bayer nicht 66 Milliarden ausgegeben, um Monsanto zu kaufen.
Die daraus entstehende tendenzielle Meinungsentwicklung hin zu der herkömmlichen Herstellung wird zudem vor allem durch Bild und Ton um ein Vielfaches verstärkt, ohne jedoch dabei mit unlauteren Mitteln eine der Parteien zu bevorteilen. Es werden die einzelnen Produkte der Bäckereien vorgestellt und deren individuellen Vorteile vorgestellt und ich muss euch sagen: Es läuft einem kalt den Rücken runter, wenn ein frisch gebackenes Krustenbrot kracht und knackt beim Aufschneiden, während das immer gleiche Sandwichtoast aus der Massenproduktion schon visuell weich und geschmacklos daliegt. Durch wundervolle Bilder wird es fast schon geschafft dem Zuschauer den einmalig tollen Geruch eines frisch gebackenen Brotes durch die Leinwand zukommen zu lassen und ihn in absolute Ekstase zu versetzen.
Brot als neues persönliches Luxusgut
Ich hätte es nie geglaubt, aber mich hat diese Dokumentation unfassbar stark gefesselt und mir einen völlig neuen, wenn auch eigentlich nur logischen Blick auf die Gegenwart vermittelt. Gezielt werden sinnvolle Vergleiche durch die Produzenten aufgestellt, die dem Publikum die unausgesprochene Realität direkt vor Augen halten und zum Nachdenken insbesondere auch über das eigene Konsumverhalten anregen. Spannend werden dabei die verschiedenen Themenkomplexe abgearbeitet in fast schon kapitelartiger Darstellungsform. Insbesondere der letzte Part liefert dabei einige Kopfschüttelmomente, denn ob man es glaubt oder nicht: Es gibt bereits Forschungen zu Brot und dessen Konsum im All in Hinsicht auf eine mögliche zukünftige Bevölkerung des Mars.
Auch sehr spannend waren die kurzen Abstecher in die Medizin und Politik, in denen heutzutage dieses Thema ebenfalls ausgiebig debattiert wird und dem Zuschauer weitere abschreckende Informationen zugeführt werden. Zudem ist es unfassbar, dass es sogenannte „modulare Brotverbesserer“ gibt, die ganz nach Wunsch und Bedarf Frische, Schneidefähigkeit, Aussehen und noch vieles mehr beeinflussen können. Niemanden dürfte es neu sein, dass Zusatzstoffe und Aromen Einzug in die moderne Brotkultur genommen haben, aber dieser Forschungsstand ist schon fast erschreckend.
Diese Dokumentation spiegelt so ziemlich alle Aspekte wider, die sich rund um die Produktion von Brot und Broterzeugnissen ergeben. Wirtschaft, Medizin, Umwelt, Herstellung, Entwicklung und vieles mehr werden dabei thematisiert und damit ein großer und umfassender Pool an Informationen aufgebaut, der kaum etwas unberücksichtigt lässt. Dieses Wissen wird spannend aufgearbeitet und versetzt das Publikum zunehmend in Erstaunen und Faszination angesichts der Möglichkeiten der heutigen Industrie. Durch die weitestgehend gleichberechtigte Darstellung durch verschiedenste Unternehmen – vom kleinen Handwerks- und Familienbetrieb hin bis zum Weltkonzern – wird eine breite Informationsebene geschaffen, die es dem Zuschauer ermöglicht sich ein eigenes Bild des Konflikts klein gegen groß zu machen. Für mich selbst hat dieser Film viel verändert, denn nun gehe ich bewusster einkaufen, da vor allem die vielen herausragenden visuellen Darstellungen in Kombination mit dem unverkennbaren Sound eines Brotes, dass gerade frisch aufgeschnitten wird, mich von einem neuen Konsumverhalten überzeugt haben.