Langreview English Version Fakten & Credits
18 Monate lang war Lukas Dhont mit seinem Film GIRL in der Welt unterwegs und präsentierte ihn auf unzähligen Filmfesten und Preisverleihungen. Das Werk über Geschlechtsidentität sorgte für viel Begeisterung, brachte aber auch einige Kontroversen mit sich. Während viele Journalisten das Werk dafür lobten, dass der Film sich nicht auf die Transition der Protagonistin stürzt, sondern dies sensibel als völlig natürlich betrachtet, sind es vor allem queere und transgender Personen, die diesen Wandel nicht als realitätsnah ansehen und ihr Missfallen darüber kund tun. Für seinen neuen Film hat Dhont jeglichen Gedanken an GIRL komplett abgelegt. Nach eigenen Angaben ist es sein Wunsch „intime und persönliche“ Filme zu entwickeln. Für CLOSE greift er dafür auf sein altbewährtes Team zurück. Auch dieses Mal hat Angelo Tijssens am Drehbuch mitgearbeitet, Dirk Impens die Produktion geleitet, Valentin Hadjadj die Musik komponiert, Frank van den Eeden gefilmt und Alain Dessauvage den Schnitt übernommen.
Darum geht es
Léo und Rémi sind seit Ewigkeiten beste Freunde und ihr Zusammenhalt gleicht dem einer Bruderschaft. Es fällt ihnen regelrecht schwer, ohne den anderen zu leben. Doch die beiden bleiben nicht ewig Kinder und zunehmend wirken äußere Einflüsse auf die Jungs ein, wodurch sie sich selbst weiterentwickeln und immer erwachsener werden. Dieser Prozess sorgt dafür, dass der innige Zusammenhalt langsam zu bröckeln beginnt und eine schleichende Distanzierung voneinander ihren Lauf nimmt. Während Léo sich neuen Freunden in der Schule zuwendet, fällt es Rémi schwer mit der Situation umzugehen. Seine ohnehin schon introvertierte Art wird nun noch deutlicher und lässt ihn nicht nur vereinsamen, sondern auch Zweifeln. Werden die Beiden je wieder zueinander finden?
Rezension
Schon früh im Film ist erkennbar, dass hinter dieser Coming-of-Age-Geschichte deutlich mehr steckt als nur die bloßen Gedankenwirrungen eines Filmemachers, der zwanghaft einen neuen Inhalt sucht. Nuanciert balanciert Dhont durch die komplizierten Gefühle, die Jungs im pubertären Alter durchleben. Eine ganz besondere Konstellation entsteht schließlich dadurch, dass sich der Film nicht nur auf einen einzelnen Teenager fokussiert, sondern direkt ein Beste-Freunde-Duo in Szene setzt, welches recht isoliert von der sonstigen Jugend lebt. Der Film durchschreitet Kapitelartig mehrere Ebenen dieser Freundschaft. Angefangen mit der Darstellung der Ist-Situation in welcher eine unglaubliche Dynamik der beiden Hauptdarsteller (Eden Dambrine & Gustav De Waele) präsentiert wird und damit ein Freundschaftsbild zeichnet, welches wir uns alle sehnlichst wünschen, bis hin zur langsamen Entfremdung durch äußere Einflüsse.
Es geling CLOSE überraschend gut den Moment einzufangen, in dem mindestens eine Seite des Duos aus der Kindlichkeit heraustritt und beginnt sich zu sozialisieren und zunehmend eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dabei wird ein Thema aufgegriffen, welches das Publikum wohl zu Hauf aus dem eigenen Leben kennt, denn die schrittweise Distanzierung durch charakterliche Veränderungen hat schon so manche Freundschaft ins wanken gebracht und aufgezeigt. Dhont schafft es diese Beziehung so ehrlich und natürlich zu gestalten, weil er sich immer wieder auf seine eigene Vergangenheit bezieht, auch wenn der Film fernab von einer Biografie entwickelt wurde. Besonders sticht dabei eine Szene heraus, bei der aus einer amüsanten jugendlichen Keilerei schließlich eine ernste Prügelei wird und binnen Sekunden die Stimmung merklich kippt. Zur Realisierung dessen, lässt Dhont lediglich die Bilder wirken und verzichtet auf vorkauenden Dialog.
Zwei wie Pech und Schwefel
Auch in diesem Streifen schwingt leise eine leicht queere Storyentwicklung mit. So kann der Figur Rémi eine mindestens erotische Neigung zum gleichen Geschlecht angedichtet werden, doch sei darauf verwiesen, dass die Indizien sehr dünn sind, die dem Film entnommen werden können. Viel eher unterstreichen die betreffenden Szenen die Innigkeit und Besonderheit der Freundschaft der beiden Hauptfiguren. Um die sehr gefühlvolle Handlung wirken zu lassen, setzt das Team auf ein ruhiges, aber dennoch auch kontrastreiches Pacing, bei welchem ein hervorragendes Gefühl dafür bewiesen wird, wann das Tempo etwas angezogen werden muss, damit die Stimmung nicht kippt. Dennoch hält diese Ausgewogenheit leider nicht bis zum Schluss an. Dhont verliert in der letzten halben Stunde zunehmend das Ziel aus dem Blick und verfällt leider ins Schwafeln, wodurch eine Art retardierendes Moment erzeugt wird, welches jedoch alternativlos bleibt.
Mit einem recht langsamen und melodischen Score passt Valentin Hadjadj sich der Stimmung von CLOSE bravourös an und sorgt stets dafür, dass die Gefühle des Publikums von einem Extremum ins Nächste gelenkt werden. Es fällt schwer die Tränen zu unterdrücken, auch wenn nicht immer klar ist, ob sie von Freude oder Trauer herrühren. Insbesondere der mentale Zerfall einer Nebenfigur, die an sich überhaupt keine Relevanz im restlichen Film trägt, ist so ergreifend, dass wohl kein Auge trocken bleibt. Nicht selten arbeitet der Regisseur dabei mit schleichenden Entwicklungen, die sich irgendwann in einem Schockmoment entladen und lediglich von der teilweise recht unruhigen Kameraführung torpediert werden.
Fazit
CLOSE wird für viele Zuschauende eine große Herausforderung darstellen, denn er konfrontiert das Publikum mit den eigenen Jugendproblemen und schafft zugleich einen Konflikt, der nur schwer zu verarbeiten ist. Emotional packend und zugleich erzählerisch leichtfüßig bietet uns dieser Film eine so banale wie auch lebensverändernde Geschichte die absolut reif für einen Oscar® ist und dank der Nominierung auch beste Chancen dazu hat. Die schauspielerische Dynamik der beiden jungen Akteure sucht seines Gleichen. Sie harmonieren in wunderbarer Perfektion. Es ist fast schon tragisch, dass Regisseur Lukas Dhont vor lauter Liebe zu seiner Geschichte nicht den rechtzeitigen Absprung schafft und sich in einem nicht enden wollenden Geseire verfängt, welches den Film unnötig in die Länge zieht.
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