Review Fakten + Credits

Review

DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL von Magnus von Horn ist Dänemarks Beitrag für den besten internationalen Film bei den diesjährigen Oscars. Er nimmt uns mit in das Kopenhagen nach dem Krieg, genauer gesagt in das Jahr 1919. Karoline (Vic Carmen Sonne), eine junge Frau, die Kleidung näht, versucht zu überleben. Ihr Mann ist im Krieg verschwunden und sie erhält keine Witwenrente. Sie hat eine Beziehung mit dem Besitzer der Fabrik und wird ungewollt schwanger. Verzweifelt trifft sie daraufhin auf Dagmar (Trine Dyrholm), eine mysteriös aber charismatisch wirkende Frau. Dagmar gibt vor, einen Süßwarenladen zu betreiben – eigentlich betreibt sie aber eine Adoptionsagentur. Sie verbirgt jedoch noch ein weiteres, grausames Geheimnis…

Zwischen Sozialrealismus und Genrekino

Das Mädchen mit der Nadel ©2025 MUBI

Horn entscheidet sich für einen Stil, der zwischen einem gewöhnlichen Drama und dem Genrekino liegt. Es wird gezeigt, wie schwierig das Leben mit derart wenig Geld ist, wie anstrengend die Arbeit in der Textilfabrik ist und wie verzweifelt unverheiratete Mütter sind. Dadurch entsteht ein bedrückendes Bild dieser Zeit. Die trübe Stimmung wird durch die künstlerischen Schwarz-Weiß-Bilder intensiviert. Der Film weist allerdings nicht nur Dramaaspekte auf, sondern mischt sie mit Horror- und Thrillerelemente. Diese Mischung unterstreicht, wie verzweifelt und am Ende ihrer Kräfte die Figuren sind und welche tiefen psychologischen Probleme sie haben. Dadurch wird der Film interessanter und hebt ihn über ein einfaches Drama hinaus.

Ein großer Kritikpunkt des Films ist, wie Frauen in der dargestellten Gesellschaft unter dem patriarchalen System leiden. Männer benutzen Karoline und lassen sie dann allein zurück. Alleinerziehende Mütter werden schlecht behandelt und in eine aussichtslose Situation gedrängt. In der Fabrik hantiert Karoline oft mit einer Nadel – die für ihre Entmündigung und ihren aussichtslosen Überlebenskampf steht. DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL zeigt, wie schwer es für Frauen ist, in einer Gesellschaft ohne wirkliche Stimme zu leben und ständig um ihr Überleben kämpfen zu müssen.

Psychologische Tiefe der Charaktere

Das Mädchen mit der Nadel ©2025 MUBI

Den Überlebenskampf verkörpern Vic Carmen Sonne und Trine Dyrholm auf eindringliche Art und Weise. Sonne verkörpert die naive, aber zähe Karoline, die sich trotz aller Probleme nie aufgibt. Dyrholm hingegen spielt Dagmar sehr entschlossen und furchteinflößend. Ihre innere Zwiespältigkeit und Gebrochenheit scheinen dabei nur manchmal durch. Der Film vermeidet es, Dagmar ausschließlich als Monster darzustellen, sondern zeigt auch ihre Verletzlichkeit und die Umstände, die zu ihren Taten geführt haben. Die Beziehung zwischen den beiden Frauen ist verzweifelt und kompliziert, aber auch von einer gegenseitigen Abhängigkeit geprägt. Die Charaktere bleiben ambivalent und ermöglichen eine komplexe Auseinandersetzung mit ihren Motiven.

Ähnlich vielschichtig sind die stilistischen Mittel des Films. Die Schwarz-Weiß-Bilder verdüstern die Stimmung und erinnern an alte Fotos, die unsere Vorstellung von dieser Zeit beeinflussen. Die kleinen Räume und die dunklen Straßen betonen die unangenehme und beklemmende Situation der Figuren. Kameramann Michal Dymek hat einen Stil für von Horns Tragödie ausgewählt, der an alte Stummfilme erinnern. Die unterschiedlichen Helligkeitsstufen verstärken des Weiteren die Gefühle, die die Geschichte vermittelt.

Die Märchenmetapher und ihre Grenzen

Das Mädchen mit der Nadel ©2025 MUBI

Magnus von Horn bezeichnet seinen Film als ein modernes Märchen für Erwachsene – also eine Interpretation, die die universellen Themen des Films hervorhebt. Der Film spielt mit bekannten Figuren wie dem Prinzen, der sich als Feigling herausstellt, und dem „Monster“ mit einem Herzen aus Gold. Die Märchenmetapher ermöglicht es, die Handlung auf einer tieferen symbolischen Ebene zu verstehen. Sie betont die Frage nach dem Unerwünscht sein und die Art und Weise, wie die Gesellschaft mit Menschen umgeht, die als anders oder nicht passend angesehen werden. Die Darstellung der Realität mit märchenhaften Elementen betont, dass die im Film behandelten Themen nicht nur auf die Nachkriegszeit beschränkt sind, sondern bis heute wichtig sind.

Fazit

DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL ist mehr als nur ein fiktionales Drama mit historischem Ursprung. Es ist eine tiefreichende Analyse der sozialen Ungerechtigkeit, der menschlichen Existenz und der Grenzen der Freiheit. Der Film ist verstörend und aufwühlend, aber auch packend und vor allem grandios gespielt. Er zwingt die Zuschauer*innen dazu, sich mit den dunklen Seiten der Menschheit auseinanderzusetzen und die Rolle der Gesellschaft in der Entstehung von Verzweiflung und Leid zu hinterfragen. Die Mischung aus Sozialrealismus, Genreelementen und Märchenmetaphern verleiht dem Film eine einzigartige Tiefe und Originalität, die ihn definitiv sehenswert macht.

Wie hat Dir der Film gefallen?
(Bisher gibt es keine User-Bewertung zu diesem Film)

Loading...

Review Fakten + Credits

Wie hat Dir der Film gefallen?
(Bisher gibt es keine User-Bewertung zu diesem Film)

Loading...