Zu ihrer 21. Auflage zieht es die Französische Filmwoche erneut in zahlreiche Berliner Kinos und vereinzelte Spielstätten in Frankfurt, München usw. Ab dem 24. November ist das französische Kino eine Woche lang mit vielfältigen, klassischen und brandaktuellen Programm deutschlandweit zu Gast. Von Jean-Luc Godards Langfilmdebüt und Nouvelle-Vague Klassiker AUẞER ATEM über Jacques Audiards neustes Drama WO IN PARIS DIE SONNE AUFGEHT bis zum diesjährigen Regiepreisgewinner von Cannes und Dark-Musical ANETTE bietet die Filmwoche ein breites Spektrum an Kinoerlebnissen aus dem Nachbarland.
Zwischen und inmitten den bereits viel gelobten und mitunter auch heiß erwarteten Streifen finden sich auch eine Handvoll Debütfilme wie jener der Regisseurin Charline Bourgeois-Tacquet. Ihre Sommerromanze tritt in die Fußstapfen großer französischer Dramedys, erinnert zum Teil an späte Komödien von Françouis Truffaut und an den hochsommerlich romantischen CALL ME BY YOUR NAME. Dabei ist ihr ein Film gelungen, der seine Themen mit komödiantischer Leichtigkeit, seine Gefühle und Charaktere aber auch gewissenhaft und authentisch angeht.
Darum geht es…
Anaïs ist 30 Jahre alt, hat Geldprobleme und einen Liebhaber. Nur ob sie diesen tatsächlich liebt, ist nicht sicher, wird ihre Aufmerksamkeit doch immer wieder von anderen Menschen aufgesogen. Zunächst ist es der verheiratete Daniel, der sich sofort in sie verliebt und eine Affäre mit ihr beginnt. Es folgt Emilie, eine berühmte Literatin und Intellektuelle, welcher Anaïs zufällig über den Weg läuft. Von ihren Gefühlen geleitet, nähert sie sich der Autorin langsam an. Während Anaïs’ Familie eigenen Herausforderungen gegenübersteht, beginnt Emilie, sich der jungen Frau mehr und mehr zuzuwenden und zu öffnen…
Rezension
DER SOMMER MIT ANAÏS (im französischen Original „Les amours d’Anaïs“, dt. „Die Liebe von Anaïs“) beschwingt sich schon innerhalb seiner ersten Filmminuten, welche sich das Auftreten der Titelfigur unmittelbar zu eigen machen. Leichtfüßige Musik, ein bisschen Aufgeregtheit in der Erzählung und eine unstillbare Kameraarbeit verfolgen die Hauptperson von Beginn an und lösen sich erst mit ihren schicksalshaften Begegnungen von ihr. Und was sich geschrieben nur nach einer von vielen romantischen Komödien mit komplizierten Beziehungsgeflechten liest, ist in filmischer Verarbeitung deutlich weniger kitschig und zurechtgebogen.
Vielmehr spinnt sich die Geschichte organisch entlang seiner zunächst hektischen Hauptfigur. Anaïs ist geladen mit ausdrucksvollen Elan, ist selbstbestimmt, eigensinnig und mit gelegentlicher Naivität und einer Brise Tollpatschigkeit gesegnet. Eine Figur, der auf Augenhöhe begegnet wird und die durch die gleichnamige Hauptdarstellerin Anaïs Demoustier (DAS SCHÖNE MÄDCHEN, WOLFZEIT) lebhaft in Erscheinung tritt. Behutsam wird ihr Charakter in vielen Dialogen und Spaziergängen näher beleuchtet, obgleich die gewöhnlichen Themen wie etwa die Frage nach der letzten Lektüre die Situationen nur seicht ausstaffieren.
Porträt zweier Frauen (ohne Flammen)
Näher verfolgt der Film Anaïs sobald ihre unverhoffte Liebhaberin das erste Mal das Bild betritt, eine gestandene und erfolgreiche Buchautorin, mit ruhigen aber ebenso selbstbestimmten Wesen, gebunden und dennoch aufgeschlossen. Valeria Bruni Tedeschi (SOMMER 85, MEINE SCHÖNE INNERE SONNE) als Emilie verkörpert dabei nicht nur einen Gegenpol zur stürmischen Anaïs, sondern eine gleichermaßen sehnsüchtige und über sich selbst lernende Frau, die dem ganzen Geschehnis und dessen Entwicklungen mit Verantwortung begegnet. Sie ist es schließlich, die Hauptfigur Anaïs zu wahrer Sinnlichkeit und Liebe führen wird, wie es keiner ihrer Liebhaber zuvor geschafft hat.
Ihre Beziehung sorgt für die Schlüsselmomente des Films, die in ihrer bedächtigen Ruhe und sanften Gefühlsregungen an die Liebesgeschichte Celine Sciammas PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN erinnert. DER SOMMER MIT ANAÏS bleibt jedoch deutlich offener der Komödie zugewandt und lockert seine intimen Momente durch geringe Situationskomik oder seine unglücklichen Verstrickungen auf. Zu Gunsten dieser leichtfüßigen Herangehensweise scheinen sich einzelne Nebenhandlungen zu verlieren, und das Treffen beider Protagonistinnen und die optimistische Aufgeschlossenheit der Autorin werden dramaturgischen Entwicklungen zugestanden. Die Fremdvermietung ihrer Wohnung insbesondere aber die Beziehung zu Emilies Ehemann stechen daher eher unsauber hervor.
Hoffnungsfreudige und helle Bilder schmücken die Geschichte vielfarbig und wertig aus, der titelgebende Sommer dringt aus vielen Einstellungen hervor. Beinah übermalen die Bilder schwerwiegendere Themen, etwa wenn Anaïs nach der wiederholten Krebsdiagnose ihrer Mutter entsetzt gen Meeresküste läuft, den Strand entlang und schließlich im Wasser treibend. Doch der Film fängt seine Gedanken häufig wieder auf und bewahrt sich vorm Versinken in den eigenen, sonnendurchfluteten Wunschvorstellungen.
Fazit
In den richtigen Momenten verzichtet der Film auf komödiantische Überhöhungen und fängt eine intime, greifbare und authentisch gespielte Beziehung zwischen seinen Hauptfiguren ein. DER SOMMER MIT ANAÏS bietet zwar kein Spektakel, dafür jedoch viele kleine Momente, zwei hervorragende Darstellerinnen und eine erfrischende Romanze. Stets verpackt in leuchtende Bilder und leichtfüßige Musik, kurzum ein beschwingter, kurzweiliger und rührender Ausflug ins sommerliche Frankreich mit wenigen Zugeständnissen an konventionelle Tragikomödien.
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Originaltitel | Les amours d’Anaïs |
Kinostart | 21.07.2022 |
Länge | ca. 98 Minuten |
Produktionsland | Frankreich |
Genre | Komödie | Drama | Romanze |
Verleih | Prokino |
FSK | unbekannt |
Regie | Charline Bourgeois-Tacquet |
Drehbuch | Charline Bourgeois-Tacquet |
Produzierende | Igor Auzépy | Stéphane Demoustier | Philippe Martin | Olivier Père | David Thion |
Musik | Nicola Piovani |
Kamera | Noé Bach |
Schnitt | Chantal Hymans |
Schauspieler:in | Rolle |
Anaïs Demoustier | Anaïs |
Valeria Bruni Tedeschi | Emilie Ducret |
Denis Podalydès | Daniel Moreau-Babin |
Jean-Charles Clichet | Yoann |
Xavier Guelfi | Balthazar |
Christophe Montenez | Raoul |
Anne Canovas | La mère d’Anaïs |
Bruno Todeschini | François, le üère d’Anaïs |
Annie Mercier | Odile |
Grégoire Oestermann | Christian Jouannet |
Marie-Armelle Deguy | La propriètaire |
Sabrina Delarue | Catherine |
Seong-Young Kim | Le touriste coréen |
Estelle Cheon | La touriste coréenne |
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