Carl Schrade wurde am 17. April 1896 in Zürich geboren und lebte seit 1919 in Berlin. Im Jahre 1934 wurde er aufgrund mehrerer Vorstrafen verhaftet und als Berufsverbrecher verurteilt. In den elf folgenden Jahren bis Kriegsende war er in mehreren Konzentrationslagern untergebracht, darunter Sachsenhausen und Buchenwald. Nach Kriegsende versuchte Schrade den Grund seiner Verhaftung zu verschleiern, da er wusste, dass niemand vom Schicksal eines Berufsverbrechers hören wollte. Diese Befürchtung bestätigte sich im Flossenbürg-Prozess, in dem er als Zeuge geladen wurde, die Verteidiger aber seine Glaubwürdigkeit anzweifelten.
Carl Schrade wurde zu Lebzeiten nie als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt und sein Entschädigungsantrag wurde im Jahr 1958 von den Behörden endgültig mit der Begründung abgelehnt, dass er als Berufsverbrecher kein Opfer des Nationalsozialismus gewesen sein könne. Er verstarb am 28. November 1974, aber seine Aufzeichnungen über die Zeit in den Lagern wurden erst im Jahr 2010 im Nachlass eines verstorbenen französischen Freundes und ehemaligen Häftlings gefunden und im Jahr 2011 erstmals auf Französisch veröffentlicht.
Darum geht es
In DER ZEUGE geht es um Carl Schrade (gespielt von Bernd Michael Lade). Dieser war seit 1934 Gefangener im Dritten Reich und erlebte somit den Terror der KZs Lichtenburg, Esterwegen, Sachsenhausen, Buchenwald, sowie zuletzt Flossenbürg an eigenem Leib. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird er als Kronzeuge des Prozesses geladen, um bei der Verurteilung der NS-Verbrecher zu helfen. Dabei wird er mit der Anwesenheit von Gestapoleuten, SS-Offizieren, sowie NSDAP-Mitgliedern konfrontiert und muss sich seiner schrecklichen Vergangenheit stellen.
Rezension
DER ZEUGE ist ein Kammerspiel von und mit Bernd Michael Lade als Hautdarsteller. Er spricht dabei auf Englisch und seine Aussagen werden abwechselnd von zwei Dolmetscherinnen übersetzt. Dies geschieht umgekehrt von Deutsch zu Englisch, wenn die angeklagten NS-Verbrecher die Fragen der Anklage beantworten müssen. Dadurch spart sich der Film Untertitel, schafft es aber trotzdem, das Problem der Zweisprachigkeit zu lösen. Dies funktioniert, da die Dolmetscherinnen während des Filmdrehs in Echtzeit übersetzten sollten und im Drehbuch nur einen Vermerk hatten, was sie übersetzen sollen. Das führt zu typisch authentischen Abweichungen und Fehlern, die beim Simultandolmetschen auftreten und lässt den Film realistischer wirken.
Da der Richter (Ralf Lindermann) und der Ankläger (Hans Hendrik Trost) als Angehörige der US-Streitkräfte nicht der deutschen Sprache mächtig sind, ist die Zweisprachigkeit plausibel und verschleiert die nachvollziehbare Intention, mit DER ZEUGE internationale Bekanntheit erlangen zu wollen.
Ein Blick sagt mehr als tausend Worte
Bewundernswert ist die Leistung von Ralf Lindemann als Richter und die von Hans Hendrik Trost als Ankläger. Diese sprechen während des ganzen Films keine einzige Zeile Text und erlauben sich daher mit stiller Mimik ein Urteil über die Angeklagten. Das wirkt jedoch nicht langweilig, da die Blicke, die sich die beiden zuwerfen, mehr als tausend Worte sagen. Etwa, wenn Bernd Michael Lade von der Situation in einem der Lager erzählt. Aber auch die Blicke der beiden, wenn ein Nazi sich im Verhör zu rechtfertigen versucht, sind strafend und wirken, als ob sie einen durchbohren würden.
Das Schauspiel der darstellenden Personen in DER ZEUGE ist so stark, dass man gebannt von der Leistung ist und gar nicht genug davon bekommen kann. Gerade Lina Wendel, die Ilse Koch darstellt, spielt ihre Rolle mit einer erschreckenden Härte und Kälte, sodass der Eindruck erweckt wird, dass es sich um die echte Ilse Koch und keine Schauspielerin handelt.
Am beeindruckendsten ist jedoch die Leistung von Bernd Michael Lade. Er spielt mit einer unfassbar starken Überzeugung, dass man ihm die Rolle des Carl Schrade abkauft. Wenn er höchst präzise von dem Leid erzählt, das ihm in einem der Lager widerfahren ist, läuft es einem schaurig den Rücken herunter. Bernd Michael Lade schafft es, mit seinen Gesichtsausdrücken und seiner Stimme so sehr zu spielen, dass man mit ihm mitfiebert und zugleich vom Grauen, das er beschreibt, erschrocken ist.
Als ob man dabei wäre
Das Setdesign ist schlicht und die Handlung scheint sich in einer Scheune abzuspielen, was sich an den typischen Wänden, Fenstern und dem Dach einer Scheune vermuten lässt. Das ist jedoch nicht schlecht, da mit Bildern der echten Verhandlung gearbeitet und sich die markantesten Punkte, wie der kalte große Raum, die riesige Fahne der USA oder nummerierte Schilder, die die Häftlinge um den Hals tragen, herausgesucht und umgesetzt wurden.
Durch das Zusammenspiel all dieser Dinge und die Kameraarbeit, die sich immer auf die sprechende Person konzentriert, erzeugt DER ZEUGE das Gefühl, dass man die Verhandlung direkt vor Ort mitverfolgt. Man sitzt nicht nur in einem Kinosaal und schaut sich einen Film an, sondern bekommt die Illusion, dabei sein zu dürfen.
Fazit
DER ZEUGE ist ein Kammerspiel mit kleinem Budget sowie kaum Finanzierungen durch Filmförderfonds und schafft es trotzdem, auf eine Art zu begeistern, die man selten in einem deutschen Film sieht. Der Film muss sich nicht hinter einer großen Produktion verstecken und sollte aufgrund seiner hochaktuellen Thematik unbedingt gesehen werden.
10 von 10 Punkten
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Originaltitel | Der Zeuge |
Kinostart | 2.3.2023 |
Länge: | 93 minuten |
Produktionsland | Germany |
Genre: | Drama |
Regie | Bernd Michael Lade |
Cast | Bernd Michael Lade, Maria Simon, Oliver Breite, Thomas Stecher, Lina Wendel, Andruscha Hilscher, Jerome Hirthammer, Hans Hendrik Trost, Thomas Lehmann, Thomas René Schuch, Katrin Schwingel, Jörg Seyer, Marko Bräutigam, Jonathan Lade, Ludwig Simon, Torsten Spohn, Ralf Lindermann |
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