Im Februar stand mit dem zweiten Teil von Denis Villeneuves DUNE nicht nur eine von vielen großen Fortsetzungen, sondern auch einer der meisterwarteten Kinostarts des Jahres bevor. Im Schatten gigantischer Sandwürmer und ebenfalls im Februar erschienener Oscar-Anwärter wollen wir aber auch die vielen kleinen Produktionen des noch jungen Kinojahres nicht vergessen werden: Hier sind die Kinostarts im Februar 2024.
Grenzerfahrungen im Kino
Vor dem Flugzeugfenster ziehen Wolkenteppiche vorüber, darunter glaubt der junge Nur endlich das langersehnte Ziel Schweden zu entdecken. Lächelnd berichtigt ihn sein Großvater, sagt, es sei Belarus, ein Zwischenstopp, aber nicht das Ende ihrer langen Reise. Jene offenbart ihre Bürde erst nach der Landung mit dem Flugzeug beim Durchqueren der ersten Stacheldrahtgrenze. Eine Blume zum Abschied aus dem Flugzeug ist eine der letzten freundlichen Gesten, die die Familie von fremden Menschen erfahren.
Premiere feierte Agnieszka Hollands GREEN BORDER schon 2023 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig, bei denen der Film unter anderem mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Wie im deutschen Kinoprogramm ging das multiperspektivisch angelegte Spielfilmdrama danach auch bei vielen anderen Preisverleihungen unter. Dabei arbeitet die Regisseurin die Lage verschiedener Geflüchteter, humanitärer Hilfskräfte und Ehrenamtlicher mit eindringlicher und bedrückender Schlagkraft aus.
Taschenlampenlichter irren durch den finsteren Wald, schimmernd wie die Hoffnungen, die die Menschen am Grenzübergang haben. Beides erlischt schonungslos in nahbaren Figuren- und Alltagseinblicken, die die Agnieszka Holland mit monochromer Bildkraft, einem konstant eindringlichen Schauspielensemble und einfühlsamen wie zermürbenden Aufnahmen festhält.
Liebe tut weh
Durch stickige Bars geistern verlorene Seelen, Blicke, Gedanken, – manche von ihnen klammern sich ums Bier, andere ums Glücksspiel und wieder andere um die Lieder, die die Hauptfigur in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY singt. Die singt, weil es guttut. Noch mehr als die Zigaretten, noch mehr als der Alkohol. Vielleicht nicht so sehr wie die Beziehung zu seinem Sohn, aber wenn er Musik spielt, dann ist Rickerl (Vodoo Jürgens) befreit und glücklich. Adrian Goigingers Drama über einen Hobbymusiker und seinen Alltag bietet keinen Durchbruch, keinen Aufstieg, kein Hoch hinaus für seinen Protagonisten, dafür weitgehend ungeschliffene Alltagseinblicke und nahbare, ehrliche Figuren, die verzweifeln, schreien, das Publikum verärgern; Figuren, die scheitern, lachen und singen. Und einen der herzlichsten, ehrlichsten deutschsprachigen Filme des Jahres.
In ALL OF US STRANGERS verbreitete sich Anfang des Jahres ein noch undurchsichtigeres Liebesgefühl, das die beiden Hauptfiguren gespielt von Andrew Scott und Paul Mescal zusammenführte. Wenngleich kein weniger eingehendes, wie Lida Bach in ihrer Kritik festhielt:
Die märchenhafte Natürlichkeit, mit der Andrew Haighs hervorragendes Ensemble agiert, nimmt dem geisterhaften Geschehen nicht nur das Unheimliche, sondern Unwirkliche. Gespenster sind in der trotz ihrer Naivität anrührenden Allegorie ein universelles Gleichnis der unaufgelösten Differenzen, die den Protagonisten hemmen. Jenen Selbstverlust in der Vergangenheit forciert die urbane Vereinsamung, aus der die Romanze wächst. Der wahre Schrecken in den von einem melancholischen Schleier umgebenen Szenen ist nicht der Tod selbst, sondern allein und unbetrauert zu sterben.
Zonen der Unmenschlichkeit
Versuche, dem häufig angestaubten Westerngenre neue eindringliche und vor allem frische Perspektiven zu verleihen, gab es in den letzten Jahren immer wieder. COLONOS von Felipe Gálvez Haberle, der Mitte Februar in den deutschen Kinostarts startete, gelang das mit ruhe- und äußert kraftvollen Bildern, die die Reise eines ungleichen Trios begleitet.
Zwar rütteln Trommeln wiederholt an den stimmungsvollen wie bildgewaltigen Aufnahmen, den Film selbst können sie aber nicht aus der Ruhe bringen. Gediegen entfalten sich bekannte Genremotive und mit dem zusammengewürfelten Hauptcharaktertrio eine ebenso vertraut erscheinende Figurenkonstellation. Westernelemente gleichermaßen ausspielend wie unterwandernd entsteht ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt (…)
Während COLONOS die chilenische Einreichung für den Oscar für den Besten Internationalen Film darstellte, wäre wohl kaum ein Jahresrückblick aus filmischer Sicht vollständig ohne den Gewinner jener Kategorie, der hierzulande Ende Februar seinen Starttermin hatte. Jonathan Glazers THE ZONE OF INTEREST, über das Leben der Familie Höß, deren Vater, Rudolph Höß, Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz war, und die neben dem Gefangenenlager lebte, geht nicht nur auf auditiver Ebene nahe. Die banale Alltagsaufnahmen, die zermürbende Geräuschkulisse und das historische Wissen des Publikums verdichteten sich zu einem der einschüchterndsten Werke des Kinojahres.
Unser Video zur Premiere von THE ZONE OF INTEREST in Berlin findet ihr hier:
Von Sandstürmen und Wasseradern
Das erste große Ausrufezeichen im Blockbuster-Bereich gehörte dann der lang ersehnten Fortsetzung Villeneuves Roman-Adaption: DUNE: PART TWO brachte das Kino wieder zum Beben und zum Schwitzen. Ganz so schweißtreibend hat der Film unsere Autorin Lida Bach jedoch nicht zurückgelassen:
Mit opulenten Kulissen, prominenter Cast, organischem Soundtrack und ausgefeilten Effekten entfaltete die Inszenierung eine biblische Wucht, passend zur archaischen Essenz Frank Herberts klassischer Sci-Fi-Saga. Jegliche kritische Reflexion deren problematischer Ikonographie von Exotismus, Kolonialismus, Elitarismus und Homophobie ist bestenfalls behauptet in diesem messianischen Movie-Mythos.
Abkühlung vom Wüstenplaneten gab es indes nicht nur vor den Türen der Kinosäle, sondern auch im Kino selbst, etwa im parallel gestarteten ONLY THE RIVER FLOWS, in dem ein routinierter Polizist in einer südchinesischen Kleinstadt mit einem Mordfall konfrontiert wird. Schneller als sich diesem bei der Aufklärung erste Spuren offenbaren, zeigt sich das strikte Genregerüst des historischen Kriminalfilms, welches die Handlung erst im letzten Drittel des Films aufzubrechen versucht:
Bis dahin folgt der Film der gewissenhaften Suche, die sich überwiegend überraschungsarm entwickelt. Formelhaft reihen sich Verhöre, polizeiliche Auswertungen und private Einblicke ins Leben des Ermittlers aneinander, ohne stereotypische Elemente der Filmgattung konsequent zu umschiffen. Je weiter sich der Fall jedoch entwickelt und scheinbar zu einer Auflösung findet, desto mehr weichen die Krimianteile einer persönlichen Auseinandersetzung mit den Begebenheiten, die zuletzt in Traumsequenzen münden, die den Film und seine Struktur dankenswerter Weise aufrütteln.
Weitere Kinostarts im Februar
EINE MILLION MINUTEN von Christopher Doll
=> Unser Video von der Weltpremiere mit Interviews mit Tom Schilling, Wolf Küper und vielen mehr
ARGYLLE von Matthew Vaughn
“Doch die witzlosen Dialoge, mangelnde Spannung und Figuren-Chemie und sichtbar unechten Kampfszenen wecken jetzt schon Angst vor dem nächsten Teil der geplanten … Trilogie. Was sonst?” (Lida Bach)
DIE FARBE LILA von Blitz Bazawule
GELIEBTE KÖCHIN von Tran Anh Hung
REALITY von Tina Satter
MY SAILOR, MY LOVE von Klaus Härö
“… so fesselnd zu sein wie Howard, der neugierigen Kindern von seinen angeblichen Abenteuern auf hoher See erzählt, gelingt dem Film nur selten.” (Paul Seidel)
SCHOCK von Denis Moschitto
MADAME WEB von S. J. Clarkson
BOB MARLEY: ONE LOVE von Reinaldo Marcus Green
“Kingsley Ben-Adirs dynamische Darstellung scheitert letztlich an der unzureichenden psychologischen Differenzierung des charakterlich und körperlich modellhaften Helden einer optisch und dramaturgisch ernüchternd konformen Feel-Good-Fließbandproduktion.” (Lida Bach)
LINOLEUM _ DAS ALL UND ALL DAS von Colin West
HAO ARE YOU von Dieu Hao Do
SPUK UNTERM RIESENRAD von Thomas Stuber
LISA FRANKENSTEIN von Zelda Williams
ALMAMULA von Juan Sebastian Torales
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