Originaltitel: Enfant Terrible
Kinostart: ursprünglich 28.05.2020 – neuer Termin: 01.10.2020
Länge: ca. 135 Minuten
Produktionsland: Deutschland
Regie: Oskar Roehler
Schauspieler: Oliver Masucci | Hary Prinz | Katja Riemann
Genre: Biografie
Verleih: Weltkino Filmverleih
Am Ende des Krieges geboren, hat Rainer Werner Fassbinder in seiner eher kurzen Karriere, viel für die Theaterbühnen und das Kinogeschäft getan. Er wurde gerade einmal 37 Jahre alt und hat es trotzdem geschafft, in dieser kurzen und produktiven Zeit über 40 Filme zu drehen. Zudem hat er immer wieder auch in seinen eigenen Produktionen mitgespielt und somit die Werke ganz und gar in seiner eigenen Hand gehabt. Diese große Belastung war vermutlich auch einer der Gründe für seinen frühen Tot. Dieser geschah während den Arbeiten an QUERELLE und begründete sich wohl auch in einer Vergiftung durch Drogen, Schlaftabletten und Alkohol.
Bekannt geworden ist er vor allem dadurch, dass er bei seinen Werken nicht den üblichen Konventionen und Techniken folgte und damit seinen ganz eigenen Filmstil entwickelte, welchen er weitestgehend mit dem Ensemble des „antiteater“ realisierte. Um sich herum scharte er einige Leute, die ihn große Teile seines Lebens, sowohl privat als auch beruflich, begleiteten. Viele seiner Filme drehte er zu Ehren seiner Liebschaften oder guten Freunde, was den Werken eine sehr emotionale Basis verschafft.
Darum geht es…
Regisseur Oskar Roehler hat sich nun mit dem Leben dieses recht außergewöhnlichen Mannes befasst und dieses in ENFANT TERRIBLE weitestgehend biografisch aufgearbeitet. Doch ist dies nicht der erste Film über den Ausnahmekünstler, denn seit seinem Tod werden in regelmäßigen Abständen immer wieder Kino- und Fernsehproduktionen veröffentlicht, die sich auf sein Leben und Werke beziehen. Verantwortlich für Werke wie TOD DEN HIPPIES!! ES LEBE DER PUNKT und HERRLICHE ZEITEN, hat sich Roehler für ENFANT TERRIBLE einen recht bekannten deutschen Cast zusammengestellt und dieses Projekt realisiert.
Der Titel des Films stammt aus dem französischen und heißt soviel wie schreckliches Kind und wird häufig für Außenseiter genutzt, die nicht nur sich selbst gerne blamieren. Rainer Werner Fassbinder ist eben ein genau solcher Mensch, von dem wohl niemand erwartet hätte, dass aus einem Rebellen einmal ein bedeutender Filmemacher werden könne. Um seine Träume und Ziele zu erreichen geht er über Leichen und drangsaliert seine nächsten Mitmenschen recht derb. Doch dieser Weg ist für ihn auch äußerst Erfolgsversprechend und gewinnbringend. Zwischen tiefen Krisen und grandiosen Erfolgen werden einzelne Lebensabschnitte und Entwicklungen seiner Karriere in diesem Werk zusammengefasst.
Rezension
Unwissend welche Geschichte ENFANT TERRIBLE erzählen würde, habe ich mich in diesen Film begeben und wurde von einer scheinbaren Theateraufführung überrascht. Jede Szene dieses Werks wurde in sehr offensichtlich gestalteten Kulissen gedreht, die, zumeist recht spärlich ausgestattet, ein Sinnbild des Lebens von Rainer Werner Fassbinder zeigen. So sind Fenster und Türen nur angemalte Wände, ebenso wie große Teile einer Bar, an der sich viele der Sequenzen abspielen. Auch wird sofort ersichtlich, dass der Dreh des Werks ausschließlich im Studio stattfand. Ähnlich einer Theateraufführung gibt es vergleichsweise wenig Darsteller, die jedoch fast ohne Ausnahme alle einen Dialog erhielten. Dieser wurde zumeist in deutscher Sprache gezeigt, doch gab es auch kleinere Passagen, die, um die Szenerie wahrheitsgemäß zu vermitteln, in Englisch abgehalten wurden.
Diese Art ist für mich regelrecht eine Unsitte der modernen Filme geworden, da zumeist die Dialoge dann nicht untertitelt werden und damit für Menschen, die der Fremdsprache nicht mächtig sind, ein unverständliches inhaltliches Loch entsteht. Insbesondere Arthouse-Produktionen wie diese greifen häufiger auf solche Mittel zurück, was vor allem älteren Generationen doch deutlich wiederstreben dürfte.
Obszön und unorthodox
Um zur visuellen Darstellungsweise zurück zukommen, gab es ein sehr prägnantes Zitat des Protagonisten: „Die Bilder müssen real wirken, fast authentisch“. Dieses beschreibt den Film in vortrefflicher Manier, denn dieser war alles Andere als eben genau das. Diese doch recht seltsamen optischen Mittel, die das Gesamtbild prägen, liefern Grund zur Überlegung, ob hiermit eine Lobeshymne auf die ganz spezielle Art der Hauptfigur angestimmt, oder seine Arbeit verpönt und verspottet wird. Die Grenzen dazwischen zerfließen kaum erkennbar und wägen den Zuschauer in unangenehme Unsicherheit.
Unerkannt gibt es immer wieder mehrere Zeitsprünge, die fast schon episodenhaft wichtige biografische Punkte von Fassbinders Leben zeigen, unter anderem auch die größten Auszeichnungen, die er für seine Tätigkeiten erhalten hat. Diese Geschichte entwickelt sich auf sehr skurrile Weise sogar streckenweise recht interessant, da es fast schon Obszön ist welchen Erfolg dieser Mann erreicht hat, trotz ungebremstem Konsum von Alkohol und Drogen sowie missachtenden Liebesbeziehungen zu allem was irgendwo Beine hat, und dabei wurden, soweit ich erfahren habe, noch lange nicht alle Partnerschaften und Sexskandale aufgegriffen. An den Rand des Wahnsinns dürfte jedoch nicht nur diese exzentrische Person den Zuschauer treiben, sondern vielmehr die andauernden Wutanfälle und Schreitiraden, die Schauspieler Oliver Masucci schon in bestechend absurder Natürlichkeit von sich lässt. Nach einiger Zeit fallen dem Zuschauer jedoch dabei einfach die Ohren ab, egal wie laut der Film letztlich auch eingestellt sein mag.
Respektabel, aber doch eine kleine Katastrophe
Beeindruckend ist in jedem Fall der unglaublich namhafte Cast, den Roehler um sich geschart hat, der zumeist jedoch nur in ganz kleinen Nebenrollen kurzzeitig zu sehen ist. Darunter zählen unter anderem Katja Riemann, Oliver Masucci, Jochen Schropp, Eva Mattes, Alexander Scheer, Ralf Richter, Götz Otto, Antoine Monot, Jr. sowie auch Désirée Nick und Michael Ostrowski – Nicht unbedingt die Elite des deutschen Filmes und Fernsehens, aber dennoch viele allseits bekannte Namen. Auch hinter der Kamera geht es populär weiter. So hat zum Beispiel Martin Todsharow, der aus zahlreichen deutschen Werken wie KOKOWÄÄH, HONIG IM KOPF und DER HAUPTMANN bekannt sein dürfte – die musikalische Gestaltung übernommen.
Zum Abschluss nun natürlich noch einen Blick auf den Gesamteindruck, den das Werk auf mich hinterlassen hat. Grundsätzlich muss man ENFANT TERRIBLE nicht gesehen haben, denn das Bombardement von Unsittlichkeiten und vor allem deren Erfolg für den Protagonisten können den Zuschauer leicht an den Rand des Wahnsinns bringen. Dennoch bietet der Film einige respektable Momente, insbesondere in der Konsequenz in der diese Überinszenierung stattfand. In wie weit der Blick auf Herrn Fassbinder damit geschmälert wird oder ob man diesem Werk bedingungslos glauben schenken kann, ist leider nicht so recht bewertbar. Dennoch wäre es rein handwerklich natürlich wünschenswert, wenn die Handlungen möglichst realitätsnah gestaltet wurden – die biografischen Eckpunkte sind es meines Erachtens auf jeden Fall.
Der Außenseiter, wie der Titel sinngemäß übersetzt werden kann, ist in diesem Werk absolut keiner, denn Rainer Werner Fassbinder liefert mit seinem Leben die Grundlage für all dies. Dennoch wird dem Publikum schnell klar gemacht woher diese Bezeichnung rührt. Inszenatorisch simpel gestrickt werden hier skurrile visuelle Darstellungen verknüpft mit exzentrischen charakterlichen Überzeichnungen von einzelnen Figuren. Bis in die kleinste Rolle mit hochklassig deutschen Darstellern besetzt, zeigt das Werk eine an Absurdität grenzende, schrille Biografie, die sich zwar nah am Leben des realen Vorbilds entlang hangelt, dies aber nur sehr sprunghaft zeigt und damit ein schwer zu verdauendes Bild der Person liefert. Dennoch schafft es Oskar Roehler die Eindrücke der nachlesbaren Biografie inszenatorisch so präzise darzustellen, dass es kaum der Handlung benötigt hätte, um diesen Menschen genauer kennen zu lernen. Abgesehen davon sehe ich dies als eher überflüssiges cineastisches Werk an, dass zwar geschafft hat mir einen Eindruck von Fassbinder zu verschaffen, gleichzeitig mich aber auch deutlich abgeschreckt hat jemals einen Film von ihm zu schauen.