Rom, 1970er Jahren: Die Hauptfigur, das älteste Kind einer fünfköpfigen Familie, muss nicht nur beobachten, wie sich die Beziehung ihrer Eltern am Tiefpunkt befindet und die Mutter unter dem gewaltsamen Vater leidet, sie ist außerdem mit ihrer eigenen Identität beschäftigt, denn der weibliche Name, der der Hauptfigur bei Geburt gegeben worden ist, passt nicht zu dem, was sie wirklich sein möchte.
Rezension
Erinnerungen, Imaginationen, Hommage und verschiedene Emanzipationskämpfe verknüpfen sich in Emanuele Crialeses L’IMMENSITÀ zu einem themenreichen Debütfilm mit historischen Hintergrund. Nicht nur schildern sich vor diesem eigene biografischen Erfahrungen in der Geschichte der jungen Hauptfigur auf Identitätssuche, sondern auch die Geschichte einer Mutter, die sich nach Ausbrüchen aus ihrer gewaltvollen Beziehung und tradierten Rollenbeschränkungen sehnt. Beide fordern sie Umstände und Konventionen ihrer aktuellen Lebensrealität heraus, mehr als es die Erzählung und Inszenierung je mit narrativen oder film(techn)ischen Mitteln versucht.
Aus der überwiegenden Perspektive des ältesten Kindes entfalten sich beide Handlungsstränge häufig als Alltagsbeobachtungen und Coming of Age Geschichte, seltener als komplex herausgearbeitete Charakterstudien oder tiefgreifende Auseinandersetzungen mit den Konfliktthemen. Vergangenheitsverarbeitung treffen dabei auf die Diskrepanz zwischen der Hauptfigur und deren jüngeren Geschwistern, Träume und Vorstellungen der Charaktere auf eine ausschnitthafte Liebeserklärung an die Mutter. Die Schwere einzelner Themen kristallisiert sich zwar in Einzelmomenten drastisch heraus, überwiegt jedoch nie die einblicksartigen Episoden des Familienlebens. Diese verschreiben ihren Fokus niemals nur einer einzelnen Biografie und vertrauen am Rande auf oberflächliche Umrisse von Milieus und Nebenschauplätzen.
Fremde in der Gesellschaft
Energisch füllt Luana Giuliani ihre Rolle als nach Selbstbestimmung und eigener Artikulation suchende Hauptfigur mit Leben, die, wie jede andere Figur und jede*r andere Darsteller*in der unbestreitbaren Leinwandpräsenz Penélope Cruz’ gelegentlich blass gegenübersteht. Von letzterer genügen eine Handvoll Close-ups, um mehr über die Figuren zu erzählen, als es Dialoge zu erfassen wissen. Das gilt auch für einige weitere einfühlsame Momente, die die Verfassung ihrer Figuren ganz ohne Worte porträtieren. Viele deren unter anderem von Religion und Gesellschaft beeinflussten Facetten obliegen darin oft Andeutungen.
Steht etwas aus der soliden und risikoarmen Erzählung hervor, dann sind es imaginierte und symbolisch aufgeladene (Musical-)Sequenzen. Gestalt annehmende Vorstellungen, die einerseits die Inszenierung auflockern und andererseits unmissverständlich die Sehnsucht der Figuren bebildern, sich von gesellschaftlichen Zwängen und dem Alltag loszureißen. Das gelingt in der farbenfrohen Ausstattung und energetischen Tanz- und Gesangsmomenten, die, etwa während eines zur Musicalshow verwandelten Kirchenbesuchs, eine kurze Auszeit von den patriarchal und religiös bestimmten Strukturen geben.
Fazit
Unaufgeregtes Charakterdrama vor historischen und persönlichen Hintergrund. Die geerdete Erzählung L’IMMENSITÀs schmücken nahezu märchenhafte Schleifen, während die Auseinandersetzung mit den Figuren und ihren Konflikten überwiegend seicht bleibt. Eine Wirkungskraft jedenfalls, wie sie etwa Penélope Cruz Präsenz hat, erreichen die behandelten Themen leider nur im Ansatz.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Originaltitel | L'immensità |
Kinostart | 15.9.2022 |
Länge: | 98 minuten |
Produktionsland | France |
Genre: | Drama |
Regie | Emanuele Crialese |
Executive Producer | Olivia Sleiter |
Producer | Lorenzo Gangarossa | Dimitri Rassam | Mario Gianani |
Kamera | Gergely Pohárnok |
Visual Effects | Filippo Robino | Alessandro Tibiletti | Massimiliano Pareschi |
Cast | Penélope Cruz, Luana Giuliani, Vincenzo Amato, Aurora Quattrocchi, Elena Arvigo, Laura Nardi, Francesco Casisa, Filippo Pucillo, Patrizio Francioni, Penélope Nieto Conti, India Santella, María Chiara Goretti, Rita de Donato, Alvia Reale, Pippo Pattavina, Carlo Gallo, Mariangela Granelli |
Wie hat Dir der Film gefallen?
Hinterlasse einen Kommentar