Rezension
Zu keinem Zeitpunkt verfällt Kirill Serebrennikovs aktuellster und zehnter Spielfilm der Illusion einer glücklichen Beziehungskonstellation. Die Ehe des Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowskis, dem der Regisseur trotz Streichung staatlicher Fördermittel bereits 2015 einen Kurzfilm widmete, und seiner Angetrauten Antonina Iwanowna Miljukowas scheiterte, – und blieb aufgrund der restriktiven Scheidungsgesetze des russischen Zarenreichs noch bis zum Tod des Ausnahmekünstlers bestehen. MADAME TSCHAIKOWSKI konzentriert die Perspektive seiner titelgebenden Figur und deren Obsessionen, den Zweckcharakter der und die Reaktionen auf die Ehe nicht zu einem umfassenden Biopic, einer konventionellen tragischen Liebesgeschichte oder einer durch äußere Perspektiven geprägten Werkschau Tschaikowskis, sondern zu einer einschnürenden Figurenstudie, die die glücklosen Beziehungsjahre aus weiblicher Sicht auszuleuchten versucht.
Sie beginnt mit einem vorausgreifenden Prolog, der die Schatten seiner melancholischen Bilder bis in die sonnenbeschienenen Zimmeraufnahmen des ersten wirklichen Kennenlernens wirft. Die Hoffnung auf eine glückliche Beziehung färbt am ehesten die Kleider, die die Hauptfigur etwa bei der unbehaglich inszenierten Hochzeitszeremonie trägt, bevor auch deren Farben trostlos erkalten. Romantische Versprechungen und absolute Liebeserklärungen sind dann längst verloren, die Schwerpunkte des Films offengelegt. Unter ihnen die zermürbende Betrachtung des einengenden Ehekonstrukts, ausgedrückt durch Bilder, die der Hauptfigur kaum einen Ausweg ermöglichen, sowie das Ringen mit sich selbst und der Außenwelt einer patriarchal organisierten Gesellschaft.
Reigen am Abgrund
Trotz der Fokussierung ihrer Rolle als Tschaikowskis Frau (schon der Titel des Films verrät weder Vor- noch Nachnamen) ist das Figurenporträt nicht weniger an der Komplexität einzelner Situationen interessiert. Ohne auf Einblicke in die Verfassung und inneren Konflikten der Hauptfigur zu verzichten, skizziert sich ihr Erleben der Zweckehe auf mehreren ineinandergreifenden Ebenen. Auf persönlich-emotionaler Ebene, der das Schauspiel von Alena Mikhaylova eingehend Ausdruck verleiht, in einer von ihrer Familie, aber auch vom Milieu ihres Mannes geprägten Außenwahrnehmungen und auf der unmittelbaren Beziehungsebene zu ihrem homosexuellen Mann, dessen Präsenz trotz des schnellen Auseinanderlebens nie aus ihrem Leben weicht. Geruhsam inszeniert Serebrennikov die oft nur zurückhaltend vertieften, gelegentlich dick aufgetragenen (Dialog-)Szenen sowie den Kontrollverlust, bedingt durch fatal konstruierte, überzeichnete Erzählungen über ihre Ehe mit dem Schwanensee-Komponisten, bis an den Rand zum Grusel- und Psychodrama.
Eines, welches gelegentlich seine Längen hat, wie auch schon Serebrennikovs Vorgängerfilm PETROVS FLU – PETROW HAT FIEBER seine Längen hatte. Anders als dieser surreale Fiebertraum schöpft MADAME TSCHAIKOWSKI aus dem Konzentrat einer Figur und deren Verfassung: einen psychologischen Abriss, zu Teilen alptraumhaft bebildert und durch den Einsatz von Licht und Schatten in seiner Wirkung bestärkt. Ein fast zweieinhalbstündiges Historiendrama, das für die konträren Ehevorstellungen, die Zerrissenheit und das tragische Schicksal beider Hauptfiguren nicht nur die Persönlichkeiten an sich, sondern auch die durch die gesellschaftliche Konventionen auferlegten Umstände und Erwartungen als ausschlaggebend für das Scheitern der Beziehung betrachtet. Und eines, das mit einer soghaften Tanzsequenz einen unerwarteten wie ausdrucksvollen Schlussakkord findet.
Fazit
Ich könnte nur an Ihrer Seite glücklich sein, ist nur eines einer Handvoll Liebesbekenntnisse, welches in Kirill Serebrennikovs neusten Spielfilm stirbt, ehe es auch nur im Ansatz ausgelebt werden kann. In MADAME TSCHAIKOWSKI zeichnet er eine ausschnitthafte, tragisch komponierte Figurenstudie ohne Ausweg aus der einengenden Beziehungskonstellation, den eigenen Gefühlen und einer begierigen Gesellschaft: überlang und stellenweise stilisiert, aber auch aufgewühlt intim und eingehend gespielt.
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Originaltitel | Жена Чайковского |
Kinostart | 11.11.2022 |
Länge: | 144 minuten |
Produktionsland | France |
Genre: | Drama | Historie | Liebesfilm | Thriller |
Regie | Kirill Serebrennikov |
Executive Producer | Mike Goodridge |
Producer | Ilya Stewart | Carole Baraton | Yohann Comte | Pierre Mazars | Celine Dornier | Frédéric Fiore | Olivier Père | Kirill Serebrennikov | Murad Osmann | Pavel Burya | Ilya Dzhincharadze | Elizaveta Chalenko | Rémi Burah |
Kamera | Vladislav Opelyants |
Musik | Daniil Orlov |
Cast | Алёна Михайлова, Один Ланд Байрон, Никита Еленев, Ekaterina Ermishina, Филипп Авдеев, Мирон Фёдоров, Андрей Бурковский, Александр Горчилин, Варвара Шмыкова, Владимир Мишуков, Виктор Хориняк, Акилина Соколова, Юлия Ауг, Наталья Павленкова, Gurgen Tsaturyan, Sofya Reznik, Irina Rudnitskaya, Георгий Кудренко, Olga Dobrina, Aleksey Fokin |
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