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Because the night belongs to lovers
Because the night belongs to lustBecause the night belongs to lovers von Patti Smith Group
Im Refrain ihres größten kommerziellen Hits „Because the night belongs to lovers“ widmete die US-amerikanische Band Patti Smith Group die Nacht den Liebenden. Es scheint naheliegend, dass sich die junge Französin Julien Hilmoine bei der Titelwahl für ihren Debütfilm LA NUIT AUX AMANTS von eben jenem Welthit der 70er Jahre inspirieren ließ. Bei der Veröffentlichung auf dem deutschen Markt fällt diese Parallele jedoch weg und weicht stattdessen einem Titel, den man so eher auf dem Cover eines billigen Groschenromans vermuten würde. In Wirklichkeit könnte ONE-NIGHT-STAND – NACHT OHNE TABUS aber nicht weit von einem trivialen, kitschigen Schundheftchen entfernt sein. Und auch die Einordnung in die Schmuddel-Ecke, die man aufgrund des freizügigen Artworks der deutschen DVD- bzw. Blu-ray-Hülle vermuten könnte, wäre absolut falsch. Stattdessen handelt es sich bei ihrem ersten Langfilm, bei dem sich Julien Hilmoine neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeigt, um ein kleines, intimes Drama, das zwar mit erotischen Reizen spielt, im Kern jedoch eine ganz persönliche Geschichte erzählt.
Darum geht es…
Yoann (Schemci Lauth) feiert seinen Junggesellenabschied. Zumindest tat er das, bis ihn seine Freunde in einem Hasenkostüm gefesselt am Ufer eines Sees zurückgelassen haben. Genauso wird er dort von der fünfundzwanzigjährigen Axelle (Laura Müller) vorgefunden, die ihn aus seiner misslichen Lage befreit. Die beiden kennen sich noch flüchtig aus ihrer Schulzeit. Auch wenn sich Yoann nicht mehr an ihren Namen erinnern kann, scheint Axelle und ihn von Anfang an eine gewisse Anziehung zu verbinden. Als sie sich näherkommen, ist dies der Beginn einer emotionalen Nacht voller Bekenntnisse und sinnlicher Liebe, die das Leben beider auf den Kopf stellen soll.
Rezension
Love is an angel disguised as lust
Here in our bed until the morning comesBecause the night belongs to lovers von Patti Smith Group
ONE-NIGHT-STAND – NACHT OHNE TABUS erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die sich in unterschiedlichen Stadien ihres noch jungen Lebens befinden. Yoann steht kurz vor seiner Hochzeit. Aus dem einstigen rebellischen Freigeist, wie ihn Axelle noch aus der Schulzeit in Erinnerung hat, ist ein konservativer, gesattelter Mann mit einem soliden, aber unaufgeregtem Job als Krankenpfleger geworden. Seine Zukunft mit einem Haus auf dem Land, zwei Kindern – einem Mädchen und einen Jungen – und dem jährlichen Skiurlaub mit der Familie ist schon fest geplant. Für Axelle hält das Leben aktuell dagegen nur flüchtige Bekanntschaften und unbefriedigenden Gelegenheitssex parat – und selbst der hält sich in Grenzen. Selbstgewählt ist ihre aktuelle Situation jedenfalls nicht. Ihre letzte Beziehung hat Spuren hinterlassen, die sie so jedoch nicht akzeptierten will und kann. Sex spielt dabei eine große Rolle.
Weg von hochglanzpolierten Hollywood-Normen – zurück zur natürlichen Schönheit! Mit ihrer ersten Regiearbeit distanziert sich Julien Hilmoine bewusst von der verklärten Sexualität, wie sie meist in der Welt des Films zu finden ist und erzählt stattdessen eine echte Geschichte mit echten Menschen, echten Gefühlen und vor allem echtem Sex. Das Wort „echt“ bezieht sich hier nicht darauf, dass die Darsteller tatsächlich den Liebesakt vollzogen haben, wie beispielsweise in Gaspar Noe‘s LOVE, sondern auf die unverfälschte, realistische Darstellung des Akts und weg vom romantisierten Bild von Sex, wie wir ihn aus Hollywood-Produktionen kennen. ONE-NIGHT-STAND – NACHT OHNE TABUS zeigt die körperliche Liebe mit all ihren physischen und psychologischen Komponenten, die dabei eine Rolle spielen und die menschliche Sexualität beeinflussen, prägen oder gar hemmen. So geht es zum einen zwar um Lust, Begierde und sexuelle Freiheit, aber auch um innere Dämonen und Ängste und nicht zuletzt auch um die Auswirkungen von psychischem Missbrauch und sexueller Gewalt.
Forgive, the yearning burning
I believe it’s time, too real to feelBecause the night belongs to lovers von Patti Smith Group
Die bereits angesprochene Natürlichkeit zieht sich als Motiv durch den gesamten Film. Das spiegelt sich auch in der Inszenierung wieder. Die Kamera fängt das kammerspielartige Setting mit körnigen Bildern und dem authentischen Look fast schon dokumentarisch ein, was durch den vollständigen Verzicht auf eine musikalische Untermalung nochmal unterstrichen wird. Genauso echt und unverfälscht wie die Inszenierung fühlen sich auch die Dialoge der beiden Protagonist*innen über ihre weltlichen Probleme, Liebe und sexuellen Vorlieben an. Zu guter Letzt sind es aber Laura Muller und Schemci Lauth in den Haupt- und gleichzeitigen einzigen Rollen, die den facettenreichen Figuren Axelle und Yoann Authentizität verleihen, was unter anderem am überzeugenden Spiel der beiden, aber auch ihrer körperlichen Präsenz liegt. Die Besetzung mit zwei „echten Menschen“, abseits des durch die Medien suggerierten klassischen Schönheits-Ideals mit Zahnpasta-Lächeln und Size-Zero Körper, verleiht ONE-NIGHT-STAND ebenfalls eine natürliche Ehrlichkeit.
Trotz all der lobenden Worte bring das erotische Drama aber auch einige Mankos mit sich, die den Sehgenuss deutlich schmälern. Dass ONE-NIGHT-STAND – NACHT OHNE TABUS keinen klaren Plot aufweisen kann, mag grundsätzlich kein Problem sein. Die Filmgeschichte hat unzählige Male bewiesen, dass es mehr als ausreichend sein kann, eine Momentaufnahme oder ein bestimmtes Lebensgefühl einzufangen und auf Zelluloid zu bannen. Oft erzählt eine Geschichte über eine alltägliche Situation mehr als ein gesamter Roman. Im Fall von ONE-NIGHT-STAND verliert sich die Erzählung leider immer wieder in repetitiven Szenenabfolgen und tritt vor allem im Mittelteil lange Zeit auf der Stelle. In Verbindung mit der unaufgeregten Inszenierung und dem damit einhergehenden Fehlen von cineastischen Schauwert strapaziert dies mit der Zeit die Geduld des Publikums spürbar.
Have I doubt when I’m aloneBecause the night belongs to lovers von Patti Smith Group
Nun sind die Charaktere, wie bereits erwähnt, zwar durchaus nachvollziehbar geschrieben, gehen dafür, dass sich der gesamte Plot nur um diese beiden Figuren dreht, aber trotzdem nie tief genug um als Zuschauer*in eine echte Bindung mit ihnen eingehen zu können. Gerade die Motive von Yoann bleiben über weite Strecken recht schwammig. Sicherlich sind die aufkommenden Zweifel kurz vor der Hochzeit nachvollziehbar, und auch seine Beziehung zu Axelle lässt sich mit echter Zuneigung, körperlichem Verlangen und selbstloser Hilfsbereitschaft erklären – dies ändert aber nichts am Fakt, dass er im Kern weiterhin ein nur bedingt symphytischer Fremdgeher bleibt. An der spürbaren sexuellen Anziehung und vor allem der glaubhaften Zuneigung zueinander, die die beiden Darsteller vermitteln, ändert dies jedoch nichts. Woran es genau liegt, dass sich diese erotische Spannung nicht auf die Zuschauer*innen übertragen will, lässt sich an dieser Stelle schwer herausarbeiten. Als deutlich effektiveres Beispiel ist hier der ebenfalls aus Frankreich stammende BLAU IST EINE WARME FARBE zu nennen, der in der Gesamtbetrachtung aber auch in einer ganz anderen Liga spielt als ONE-NIGHT-STAND.
Fazit
Die Nacht gehört den Liebenden. Mit ihrem Regiedebüt bildet die französische Regisseurin Julien Hilmoine ein erfrischend ehrliches und authentisches Kontrastprogramm zur in Hollywood weit verbreiteten romantisierten Darstellung von Sex. ONE-NIGHT-STAND – NACHT OHNE TABUS ist dabei viel mehr als nur ein Film über Lust und sexuelle Begierde. Auch wenn sich körperliche Liebe wie ein roter Faden durch die Handlung zieht, ist der eigentliche Akt nur Beiwerk um das Innenleben seiner beiden Protagonist*innen zu ergründen. Leider fehlt es dem Indie-Drama in den entscheidenden Momenten an emotionaler Tiefe um sein Publikum richtig in den Bann ziehen zu können. Sehenswert ist der französische Film dabei allemal.
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